Kultur
Wie Herkunft Tragödien produziert

Eskalation beim Pessachfest: Eine arabische Schwiegertochter ist für Eitans Vater David ein No-Go.
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INNSBRUCK (cf). Mit „Vögel“ hat Wajdi Mouawad einen der zentralen globalen Konflikte unserer Zeit sinnfällig auf den Punkt gebracht. Es gibt Theaterabende, die bleiben einem auch Jahre später noch leibhaftig in Erinnerung — so wie „Verbrennungen“, die Susi Weber in der Spielzeit 2009/10 an den Kammerspielen inszenierte. Darin zeigt der ursprünglich aus dem Libanon stammende kanadische Autor und Regisseur Wajdi Mouawad auf ungemein drastische Weise, wie Menschen im Krieg blind füreinander werden. Und auch Mouawads aktuelles Stück „Vögel“ aus dem Jahr 2018 zieht sich in dieser Spielzeit nicht von ungefähr wie ein roter Faden durch die Spielpläne der österreichischen Theater. Martin Kušej wählte es etwa als Einstandsstück fürs Akademietheater, nach Graz und Salzburg erlebte es nun vergangenen Sonntag auch seine Premiere in Innsbruck, erneut in der Regie von Susi Weber.

Machtvolle Identität

Denn „Vögel“ verhandelt das Zwingende wie die Absurdität von nationaler, kultureller und religiöser Identität. Weil sie sich einerseits als Konstruktion entpuppt, aber durch eine anhaltende Polarisierung derart machtvoll wirkt, dass im Stück sogar die vermeintlich große Liebe unter die Räder kommen wird. „Vögel“ hat insofern etwas von einer Parabel, und führt uns ähnlich wie schon in „Verbrennungen“ klar vor Augen, dass sich tragödische Konstellationen wie der Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern in einer globalisierten Welt über den ganzen Globus ziehen. Wenn Wahida, die amerikanische Dissertantin, ihre Liebe Eitan, einen Berliner jüdischer Herkunft und Doktoranden der Genetik, der herausfinden wird, dass er ebenfalls arabisches Blut in sich trägt, ausgerechnet in Israel verlässt, weil sie sich dort erstmals ihrer arabischen Wurzeln bewusst wird, dann mag das zunächst befremdlich wirken. Doch es ist ein Stück weit auch die Geschichte des Autors. So sagt er etwa über sich selbst: „Ich spreche sehr ungern Arabisch in der Öffentlichkeit, weil es mich sofort emotional überwältigt. Es ist, als ob die Person mich verfolgt, die ich hätte sein können, wenn ich den Libanon nicht mit acht Jahren hätte verlassen müssen.“

Verheerende Folgen

Und auch Eitan bleibt am Grab seines Vaters David, den der Schlag trifft, als er von seiner Herkunft erfährt, als Zerrissener zurück. Ungemein bewegend auch Mouawads Fabel über den Amphibienvogel, die er den im 16. Jh. von Papst Leo X. zum Christentum zwangsbekehrten marokkanischen Diplomaten al-Hasan al-Wazzan erzählen lässt. David vermag sie zwar nicht mehr zu trösten, aber vielleicht irgendwann seine Nachfahren. Susi Webers Regie zeigt einfühlsam die ohnmächtige Verzweiflung, mit der die Figuren in ihren ideologischen Identitätskorsetten umeinander ringen. Die monströsen Einschlaglöcher in Isabel Grafs Bühne demonstrieren dabei augenfällig die verheerenden Folgen jahrelanger Luftanschläge, nicht nur in den Mauern, sondern auch in den Seelen der Menschen. Das Ensemble besticht einmal mehr durch großartiges engagiertes Spiel. Hinreißend Christina Constanze Polzer und Phillip Henry Brehl als Wahida und Eitan. Berührend in ihrer Überforderung Johannes Gabl und Sara Nunius als Eitans Eltern. Herzerwärmend in seiner Güte Andreas Wobig als Großvater Etgar, nicht minder Janine Wegener als resche Großmutter Lea. Auch dieser Abend wird lange nachwirken.

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hre Liebe kommt unter die Räder: Phillip Henry Brehl und Christina Constanze Polzer als Eitan und Wahida | Foto: Larl
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