Frei im Theater: Medea
Atemberaubender Klassiker im Kellertheater

Groß in jeder kleinsten Regung: Lisa Hörtnagl spielt alle Facetten dieser vielschichtigen archaischen Figur Medea aus. Jason (Markus Oberrauch) verkennt in seiner Selbstüberschätzung, dass sich eine Frau wie Medea nicht einfach so abschütteln lässt.  | Foto: Grießenböck
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  • Groß in jeder kleinsten Regung: Lisa Hörtnagl spielt alle Facetten dieser vielschichtigen archaischen Figur Medea aus. Jason (Markus Oberrauch) verkennt in seiner Selbstüberschätzung, dass sich eine Frau wie Medea nicht einfach so abschütteln lässt.
  • Foto: Grießenböck
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Was, wenn sich der beste aller Ehemänner, auf dessen Seite man sich aus blinder Liebe schlug, für den man selbst auch zur Täterin wurde, als ganz kleines windiges Licht herausstellt. Als ein sich selbst überschätzender Opportunist, der seine jeweiligen Partnerinnen schlichtweg nur für sein eigenes Fortkommen nutzt. Und auch noch vorgibt, dass er sich nur deshalb zur jungen schönen Königstochter ins Bett legt, um seinen im Flüchtlingslager zurückgelassenen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Da steigt sogar in Euripides‘ Ursprungstext, der 431 v. Chr. erstmals aufgeführt wurde, der alles-wissende und durchblickende Chor aus. Klaus Rohrmoser setzt diese antiken Über-Ich-Stimmen in seiner vibrierend dichten Kellertheater-Medea, die vergangenen Samstag ebendort Premiere hatte, ebenfalls ein, indem er sie als erblindete oder womöglich auch gewaltvoll geblendete Sehende auftreten lässt. Jason, der sich in elegantem Anzug mit Weste ins Flüchtlingselend zur eben von ihm abgelegten Mutter seiner zwei Kinder Medea bequemt, hat es sich also wieder mal gerichtet (überzeugend in seiner Skrupellosigkeit: Markus Oberrauch; groß in jeder kleinsten Regung: Lisa Hörtnagl)

Glasklares strategisches Kalkül

Anders als König Kreon (Jan-Hinnerk Arnke), der Medeas magische Fähigkeiten und ihre Wildheit grundrichtig als Sicherheitsrisiko einschätzt und sie daher verbannt, hält Jason sie nur für eine Frau wie jede andere. Sieht nur ihre Wut und ihre Eifersucht, nicht aber, dass er ihren höchsten Wert mit Füßen trat: jene bedingungslose Loyalität, die sie dieses ungemein schwierige Leben mit Jason ertragen ließ. Doch Medea ist alles andere als jener Racheengel Zorn, den Lisa Hörtnagl letzten Sommer am Telfer Birkenberg in der von Lisa Wentz verfassten Todsünde Zorn so furios verkörperte. Mit unerbittlichem, glasklar strategischem Kalkül wird sie Jason die Grundlage seiner gesamten Existenz entziehen, indem sie die Königstochter vergiftet und die gemeinsamen Buben eigenhändig tötet. Ihn rührt sie gar nicht erst an. So monströs und verstörend ihre Tat, geht doch andererseits eine ungeheure, zeitlose Faszination von dieser Figur aus. Euripides stellte sie interessanterweise sogar unter den Schutz des Sonnengottes Helios, der ihr am Ende die Flucht ermöglichen wird, weil sie ganz offenkundig Züge jener alten, archaischen und gefürchteten Mutter-Göttin in sich trägt, die Leben gab und Leben nahm, wie wir dies auch von der heimischen Percht kennen.

Ganz großes Theater
In dieser Medea-Inszenierung und Textfassung von Klaus Rohrmoser, der auch für die Ausstattung verantwortlich zeichnet, überrascht uns Lisa Hörtnagls Medea zuletzt mit einer geradezu abgeklärten Weichheit und Verletzlichkeit. Und dem emotional ebenso verstörenden wie verständlichen Satz, dass sie nun endlich sie selbst sei. Mucksmäuschenstill ist es im Keller, als Medea langsam ihre blutbefleckte Kleidung auszieht, sich in die kleine Wanne setzt und alles abzuwaschen scheint, was sie hierher brachte: falscher Glaube, blinde Liebe, Wut und Enttäuschung. Man spürt instinktiv: In dieser patriarchalen Welt kann man als Kollaborateurin und Zuarbeiterin nur scheitern. Keine Frage: dieser Abend ist ganz großes Theater, was durch die unmittelbare Nähe im Keller noch verstärkt wird. Und es ist schlichtweg wunderbar, wie das erstklassige Ensemble – angefangen von Tamara Burghard als Medeas treue Gefährtin Gora über Markus Oberrauch als Jason, Jan-Hinnerk Arnke als Kreon und Tom Hospes als König Aigeus – Lisa Hörtnagls atemberaubend vielschichtiger Medea den entsprechenden Raum gibt. Unbedingte Empfehlung!

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