Frei im Theater: Freiheit in Krähwinkel
Ein junger cooler Nestroy

Eine junge selbstbewusste Nestroy-Aneignung: Marion Reiser (Ratsdiener Klaus), Tommy Fischnaller-Wachtler (Ultra) und Pasquale di Filippo (Sigmund) in Moritz Franz Beichls Inszenierung der 1848er-Revolutionsposse "Freiheit in Krähwinkel" in den Kammerspielen.  | Foto: Birgit Gufler
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  • Eine junge selbstbewusste Nestroy-Aneignung: Marion Reiser (Ratsdiener Klaus), Tommy Fischnaller-Wachtler (Ultra) und Pasquale di Filippo (Sigmund) in Moritz Franz Beichls Inszenierung der 1848er-Revolutionsposse "Freiheit in Krähwinkel" in den Kammerspielen.
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Das sitzen sie also in der weißkalten Wartehalle ihres (Schauspieler:innen-)Lebens, in einem gänzlich uncoolen Jeans-Alltags-Look (Ausstattung: Monika Rovan), haben sich, wie es scheint, nahezu alle in der selbstauferlegten Stille eingerichtet, bis auf den einen mit der Gitarre und die später Dazugestoßene. Die einzige vorhandene (Tages-)Zeitung ist vergeben, aber ausgerechnet Reclamhefte sind in Fülle da: Nestroys 1848er-Revolutionsposse „Freiheit in Krähwinkel“, die er damals im Affentempo schrieb und aufführen ließ und schon wenige Monate später wieder in der Versenkung eines neuen Absolutismus verschwinden sollte. Wie also sich so einem Text eines österreichischen Säulenheiligen nähern, auch angesichts einer immer mehr um sich greifenden Polit-Lethargie. Die Antwort, die Regisseur und Autor Moritz Franz Beichl gemeinsam mit seinem Leading-Team und dem hinreißend engagierten Ensemble vergangenen Samstag in den Kammerspielen präsentierte, ist gleichermaßen klug und couragiert. Denn mit dem Textbuch ist plötzlich etwas im Raum. Der Musiker wird zum Spiel-Anleiter, und die sechs auf der Bühne wachsen mehr und mehr in einen „Cry Freedom“ hinein, selbst wenn in Krähwinkel, wie wir gleich im ersten Song erfahren, alles sehr viel später passiert.

Warten auf bessere Zeiten ist keine Option
Erfolgreicher Widerstand, das arbeitet diese Produktion großartig heraus, ist nicht nur ein explosiver, sondern auch hochkreativer Überrumpelungsprozess, der blitzschnelle Rollenwechsel erfordert und daher niemals perfekter Hochglanz sein kann. Was Nestroy damals schon hellsichtig erkannte und einem irgendwie verdächtig neuzeitig vorkommt (bestimmte Dinge ändern sich offenbar nie): Das sich fast immer gnadenlos selbst überschätzende und nebenbei natürlich auch hochkorrupte Establishment schlägt man am besten mit seinen eigenen Waffen, indem man es gewitzt und unerschrocken an der eigenen Nase herumführt und so austrickst. Und noch etwas zeigt diese selbstbewusste Nestroy-Aneignung unmissverständlich auf: Selbst wenn in der Vergangenheit viele Widerstände scheiterten oder niedergeschlagen wurden, das Warten auf bessere Zeiten ist keine Option, weil es uns dessen beraubt, was uns letztlich ausmacht: unserer Lebendigkeit. Zudem lässt der Vergleich mit dem wirklich nur mehr sehr schwer verständlichen Originaltext keinerlei Zweifel offen: Unreflektierter Klassikerkult ist ebenso eine Form der Reaktion.

Indie-Popsongs statt Couplets
Und ja, man muss sich auf diese Art Theater vertrauensvoll einlassen, wird aber im Gegenzug mit einer gleichermaßen jungen wie überraschend reifen Lesart belohnt. Allein mit der Idee, Nestroys Couplets durch Indie-Popsongs neu zu beleben, ist dieser Produktion bereits ein echter Coup geglückt: Denn Beichls Liedtexte sind schlichtweg großartig und Stefan Laskos Popmelodien richtige Ohrwürmer. Zudem ist Lasko, der schon bei den Mondscheinern spielte und unter anderem auch die Musik der Uraufführung von Felix Mitterers „Jägerstätter‘ komponierte, auch als schauspielernder Live-Musiker ein wichtiger Katalysator dieses ganz anderen Nestroy-Abends. In dem ausnahmslos alle Darsteller:innen funkeln und schillern: angefangen von Nestroy-Preisträger Tommy Fischnaller-Wachtler (der übrigens für seine Effi-Interpretation in Moritz Franz Beichls Effi Briest-Überschreibung ausgezeichnet wurde) über die weiteren Ensemblemitglieder Florian Granzner, Pasquale di Filippo, Marion Reiser bis hin zu Josephine Bloéb, die erstmals als Gästin am TLT zu sehen ist. Einziger Wermutstropfen: Trotz konsequenter Textentschlackung verliert man im Rollengewusel zuweilen ein wenig den Überblick. Andererseits: auch in der gegenwärtigen politischen Gemengelage ist man schnell mal „Lost“.

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