Bezirk Kufstein
Darum steigen die Strompreise derzeit überall an

Auch die Stadtwerke Wörgl seien auf dem europäischen Strommarkt tätig und müssten daher internationale Entwicklungen mittragen, erklärt GF Reinhard Jennewein. | Foto: Christoph Klausner
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Stadtwerke-GF Reinhard Jennewein erläutert, wie der europäische Energiemarkt funktioniert und warum die teuerste Energiequelle den Preis bestimmt.

WÖRGL/BEZIRK KUFSTEIN. Viele Fragen sich, warum die Strompreise derzeit so stark ansteigen. Reinhard Jennewein, Geschäftsführer der Stadtwerke Wörgl, erklärt im Gespräch mit den RegionalMedien, wie sich der Preis am Markt zusammensetzt.

Regionalmedien: Der Energiemarkt ist für Außenstehende nicht einfach zu begreifen. Welche grundliegenden Dinge muss man zuerst verstehen, um sich diesem Thema anzunähern?
Reinhard Jennewein: Ganz Grundsätzlich muss man wissen, dass wir hier bei uns nicht von lokalen oder regionalen Strommärkten reden, sondern vom europäischen Strommarkt. Wir als Stadtwerke Wörgl sind beispielsweise ein ganz kleines Energieversorgungsunternehmen (EVU) und trotzdem Teil des gesamten Systems. Seit der Strommarktliberalisierung (2001) unterteilt sich dieser in zwei wesentliche Komponenten, nämlich in Netzbetreiber und Energielieferanten. Wir als Stadtwerke Wörgl füllen beide Rollen aus.

Was genau ist der Unterschied dieser zwei Rollen?
Als Netzbetreiber dienen wir einerseits der Daseinsvorsorge, indem wir Umspannwerke, Stromverteiler, Leitungsnetze usw. errichten und somit eine sichere Stromversorgung gewährleisten. Für ein bestimmtes Konzessionsgebiet haben wir also eine Monopol-Stellung. Dabei werden wir aber von der E-Control Austria überwacht, welche auch die Preise, die sogenannten Systemnutzungstarife, vorgibt. Diese sind ebenfalls Bestandteil der Stromrechnung. Durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien musste das Netz erweitert werden, dadurch sind die Systemnutzungstarife ebenfalls gestiegen, allerdings auf ein überschaubares Niveau. 
Kommen wir von den Netzbetreibern zu den Energielieferanten. Jeder Stromkunde – egal ob Industrie, Kleingewerbe oder Haushalt – kann sich seinen Energielieferanten selber aussuchen. Diese Vertragsfreiheit besteht ebenfalls seit 2001.

Die Stadtwerke Wörgl haben durchschnittlich im Jahr rund 40 Prozent an Eigenerzeugung. Den Rest müssen sie ebenfalls zukaufen. | Foto: Christoph Klausner
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Wie viele Energielieferanten gibt es in Österreich und wo findet man diese?
Man kann beispielsweise auf den Tarifkalkulator der E-Control Austria oder auf durchblicker.at gehen, seine Postleitzahl eingeben und dann werden da automatisch passende Energielieferanten inkl. Angebot aufgelistet. Da gibt es sozusagen eine maximale Transparenz, die jeder nutzen kann. In Österreich gibt es insgesamt rund 140 Energielieferanten, zwischen denen die Kunden aussuchen können. In Wörgl haben sich auch einige Haushalte für einen anderen Energielieferanten entschieden. Aus diesem Grund müssen wir als Unternehmen auch über die Gemeindegrenzen hinweg aktiv sein, um an diesem Wettbewerb teilzunehmen. So haben wir beispielsweise auch 3.500 Kunden in Wien. 

Wie sehen die Verträge zwischen den Kunden und den Energielieferanten aus?
Bei großen Firmenkunden gibt es Einzelverträge. Da steht drinnen, wann Strom zu welchen Konditionen geliefert wird. Bei den privaten Haushalten und den kleinen Gewerbebetrieben ist das Regelwerk in den Allgemeinen Lieferbedingungen (ALB) definiert. In den ALB ist festgehalten, wer was einhalten muss und auch wie die Preise angepasst werden dürfen. Letzteres ist sehr wichtig.

Nun hört man überall, dass die Preise auf dem Markt durch die Decke gehen. Wie wirkt sich das auf Ihren Betrieb und auf die Endkunden aus?
Seit September 2021 sind wir in der Situation, dass wir den Strom, den wir nicht selbst produzieren, teurer einkaufen, als wir diesen derzeit wieder verkaufen. Die dadurch entstandenen Handelsverluste haben wir eine zeitlang ausgehalten, aber so weiter machen konnten wir nicht. Daher haben wir uns lange den Kopf zerbrochen, wie wir Anpassungen durchführen können. Dass wir schlussendlich einige Kunden kündigen müssen und zeitgleich einen neuen Tarif anbieten, hängt mit der Höhe des Preisanstiegs zusammen. In den ALB sind nämlich nur geringe Anpassungen vorgesehen, um aber diesen Preissprung abzufedern, braucht es einen komplett neuen Tarif. Diese Vorgangsweise wurde natürlich rechtlich sowie vom Aufsichtsrat geprüft.

Viele Energielieferanten sind also mit dem gleichen Problem konfrontiert. Warum schlägt der neue Tarif "wörglSTROM" nun aber so hohe Wellen in der Stadtgemeinde?
Wir waren jahrelang sehr günstig, weil wir uns das haben leisten können und weil wir den Kunden ein möglichst attraktives Angebot bieten wollten. Unsere Devise lautete nicht umsonst sauberer, sicherer Strom aus der Region, der leistbar ist. Für uns ging es nicht um Gewinnmaximierung. Wir müssen nun aber die Preise so anpassen, damit unsere Kosten gedeckt sind. Und diese Anpassung fällt nun höher aus, weil wir sozusagen von weiter unten starten als andere Anbieter.

Wie sehr beeinflusst die Eigenerzeugung den Stromtarif?
Im Durchschnitt sind wir bei rund 40 Prozent Eigenproduktion. Im April bis Juni haben wir die ertragreichsten Monate bei der Stromproduktion. Jetzt im Moment federt die Eigenproduktion das Minus daher noch etwas ab, spätestens ab dem Herbst wird uns der hohe Beschaffungspreis allerdings treffen. Wichtig dabei ist auch, dass wir im Frühjahr und im Sommer eher viel, im Herbst und im Winter eher wenig Strom produzieren. Beim Verbrauch hingegen ist es aber genau umgekehrt. Dieses Delta müssen wir mit Zukäufen ausgleichen. Zugekauft wird immer dann, wenn mehr verbraucht als eingespeist wird. Die Werte dafür werden jede Viertelstunde automatisch gemessen. So können auch unvorhersehbare Schwankungen ausgeglichen werden. Wenn beispielsweise ein Gewitter aufzieht und wir daher gezwungen sind ein Kraftwerk abzuschalten, dann müssen wir diesen Ausfall durch Zukäufe - bewertet zu Börsenpreise - wettmachen.

Stichwort Börsenpreise: Warum ist es so, dass das momentan sehr teure Erdgas den Börsenpreis für Energie so derart in die Höhe treibt?
Das System funktioniert so, dass alle Energieerzeuger in einen großen Pool einspeisen. Die Händler bedienen sich dann daraus. Im Endeffekt ist es ein großer Mix aus Gas-, Wind-, Wasser-, Atomenergie usw. Wir in Österreich haben zum Beispiel viele erneuerbare Energiequellen, wodurch relativ günstig viele Megawattstunden an Strom erzeugt werden. Um aber den Bedarf zu decken, brauchen wir zusätzlich noch Erdgaskraftwerke, und die sind aufgrund des Ukraine-Krieges momentan sehr teuer. Und die letzte benötigte Energiequelle gibt den Preis an der Börse vor. Man spricht dabei vom "Merit-Order-Prinzip" (zu deutsch "Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit", Anm. d. Red.). Wenn es uns aber gelingt, die Erneuerbaren weiter auszubauen, dann könnten wir in Zukunft ohne Erdgaskraftwerk den Bedarf decken. Folglich würden die Börsenpreise für Energie sowie auch die Abhängigkeit stark sinken. Allerdings hat Deutschland den Ausstieg aus Kohle und Atomkraft bereits in die Wege geleitet. Dieser Wegfall kann derzeit nur durch Erdgas kompensiert werden.

Das heißt also, je weniger Gas wir benötigen, desto niedriger werden die Börsenpreise?
Nicht ganz. Egal ob viel oder wenig Erdgas in das System eingespeist wird, die letzte benötigte Energie bestimmt sozusagen den Preis. Reduzieren wir allerdings die Menge an Erdgas weiterhin, dann stimmt schon mal die Richtung. Das untenstehende Diagramm veranschaulicht das nochmals.

Das "Merit-Order-Prinzip" beschreibt, wie der Energiepreis am Markt zustande kommt. | Foto: Austrian Energy Agency
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Und warum profitieren gerade viele heimische Energieunternehmen davon?
Energieerzeuger, die günstigen Strom aus erneuerbaren Quellen produzieren, haben enorme Gewinne, weil sie diesen Strom entsprechend teuer an der Börse handeln können. Allerdings muss hier diversifiziert werden. Energielieferanten, die mehr produzieren, als sie benötigen, befinden sich sozusagen in dieser vorteilhaften Lage. Diejenigen, die zukaufen müssen, müssen gegen die enormen Beschaffungskosten ankämpfen. Und je weniger Eigenproduktion, umso mehr schmerzt die Entwicklung der steigenden Preise. Dass die Preissteigerungen daher an den Endkonsument weitergegeben werden, ist daher unumgänglich. 

Kann man bzw. sollte man diese EU-Verordnung bzgl. "Merit-Order" ändern?
Wenn sich alle EU Staaten darüber einig sind, dann kann das geändert werden. Meiner Meinung nach sollte man das auch machen. Es wäre ratsam, jede Energiequelle fair zu bewerten. Und aus der Mischkalkulation der unterschiedlichen Energiequellen ergibt sich dann der Marktpreis. Ich vermute, dass sich dadurch die Preise im Großhandel halbieren ließen. Das wär eines der besten Instrumente, viel besser als Preisdeckel jeglicher Art. Die Rechnungsdeckelung, wie es WIFO-Präsident Gabriel Felbermayr vorschlägt, ist in Ordnung, allerdings entsteht dadurch ein enormer administrativer Aufwand. 

Jetzt wissen wir, wie der Börsenpreis zustande kommt. Wie genau läuft nun aber der Stromeinkauf im Detail ab?
Betrachten wir zum Beispiel das erste Halbjahr 2022. Wir haben lange im Vorlauf eine Terminmarktbeschaffung. 45 Prozent von der Menge, die heuer von Jänner bis Juni von uns geliefert wurde, haben wir also bereits mit Preisen von 2020, sprich zu niedrigeren Börsenpreise gekauft. Weitere 45 Prozent haben wir 2021 gekauft, da waren die Preise bereits etwas höher. Und die restlichen 10 Prozent müssen wir zu aktuellen Preisen kaufen. Und das schlägt nun extrem durch. Durch diese Mischkalkulation wissen wir, dass wir nun einen Preis von rund 25 Cent netto pro Kilowattstunde weitergeben müssen, um unsere Kosten zu decken. 

Wie werden sich die Energiepreise in nächster Zeit entwickeln?
Solange der Ukraine-Krieg tobt, werden die Preise weiter steigen. Irgendwann wird auch wieder eine Phase kommen, wo die Preise sinken. Energielieferanten passen die Stromtarife ihrer Kunden sowohl nach unten als auch nach oben an. Wir von den Stadtwerken machen das zweimal im Jahr, andere, wie beispielsweise der Verbund, macht das monatlich. 

Warum zogen die Energiepreise eigentlich bereits 2021 an? 
Als man die Pandemie halbwegs unter Kontrolle hatte, haben viele Betriebe ihre Produktion wieder hochgefahren und teilweise gesteigert, sodass der Strombedarf nach oben ging und somit - ganz nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage - auch der Preis zu steigen begann. Und dieser Mehrbedarf wurde dann durch bereits teureren Strom aus Gaskraftwerken kompensiert. Der Ukraine-Krieg hat den Gaspreis dann nochmals in die Höhe schnellen lassen. Unterm Strich kann man sagen, dass eine Kombination aus Pandemie, der daraus resultierenden hohen Nachfrage und der Ukraine-Krieg für die Energiepreisexplosion verantwortlich ist.

Weitere Beiträge zum Thema Strompreis findest du hier.
Weitere Beiträge über die Stadtwerke Wörgl findest du hier.

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