So kommen EU-Gesetze zustande
Pommes-Verordnung oder Gurkenkrümmung: EU-Gesetze sorgen oft für Empörung in den Mitgliedsstaaten. meinbezirk.at hat sich angesehen, wer alles beim Gesetzgebungsverfahren mitmischt.
ÖSTERREICH. Ab 2025 müssen alle EU-Mitgliedsstaaten strengere Regeln bei der Abfallentsorgung sowie höhere Recyclingquoten einhalten. Die entsprechende Richtlinie des Abfallpakets wurde am 30. Mai dieses Jahres von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani und EU-Ratspräsident Donald Tusk unterzeichnet und im Europäischen Amtsblatt veröffentlicht. Nun müssen alle Mitgliedsstaaten diese EU-Richtlinie rasch in nationales Recht umsetzen.
EU beeinflusst nationale Gesetze
Laut Edith Kitzmantel, Ökonomin und ehemals Generaldirektorin in der EU-Kommission, ist bereits der überwiegende Teil der Gesetze in Österreich direkt oder indirekt EU-induziert. Laut dem ehemaligen Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Leitl seien es 80 Prozent der Gesetze. Doch wie genau kommen EU-Gesetze zustande? Und diktiert die EU den Nationalstaaten die Regeln?
Langwieriger Gesetzgebungsprozess
Um beim Beispiel des Abfallpakets zu bleiben: Im Dezember 2015 reichte die Kommission die Änderung der Abfallrichtlinie im Rat, in dem die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten sitzen, und im Parlament, das direkt von den EU-Bürgern gewählt ist, ein. Insgesamt hat es also rund zweieinhalb Jahre bis zur Verabschiedung gedauert. Den Rekord für ein Gesetzgebungsverfahren hält übrigens das Gesetz über die Europäische Aktiengesellschaft ("Europa AG") mit einer Verfahrensdauer von 30 Jahren.
Nationalratsabgeordnete nutzen nicht alle Möglichkeiten
Im Gegensatz zu Österreich, wo neben der Regierung auch aus dem Parlament Gesetzesinitiativen kommen können, hat auf EU-Ebene nur die Kommission das Vorschlagsrecht. "Aber realpolitisch üben sowohl das EU-Parlament als auch der Rat Druck auf die Kommission aus, um Gesetze zu initiieren", sagt Herbert Bösch, ehemaliger EU-Parlamentarier und SPÖ-Mitglied. Bösch betont gegenüber meinbezirk.at, dass Nationalratsabgeordnete hierzulande ihr Recht ein Gesetz zu initiieren leider kaum nützten.
EU-Parlament und Mitsprache
Hat die Kommission den Ball ins Spiel gebracht, wird der Text im EU-Parlament einem Ausschuss zugeordnet, wenn es sich um ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren, auch Standardmodell genannt, handelt. Bei diesem Verfahren, das bei 80 Prozent der Gesetzesvorhaben angewandt wird, sind der Rat und das Parlament gleichberechtigt. Das war nicht immer so: Bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht 1993 hatte der EU-Rat die alleinige gesetzgebende Gewalt. Das Parlament hatte bis dahin vor allem eine beratende Funktion, wurde mit der Zeit jedoch im Rahmen von Demokratisierungsbemühungen immer weiter gestärkt.
Der Parlamentsausschuss kann den Kommissionsentwurf abändern. Wird dieser im Parlament in erster Lesung angenommen und auch vom Rat gebilligt, gilt der Gesetzesvorschlag als angenommen. Ist das nicht der Fall, kommt es zu einer zweiten oder auch dritten Lesung. Das kann sich über Jahre ziehen.
Trilog: Effizient, aber intransparent
Um handlungsfähig zu bleiben, sind jedoch schnellere Verfahren notwendig. Der sogenannte informelle Trilog ist ein Instrument, um die EU-Gesetzgebung zu beschleunigen. Laut EU kommt der Trilog, bei dem Vertreter des Parlaments, der Kommission und des Rats hinter verschlossenen Türen verhandeln, um bis zu 18 Monate schneller zum Ergebnis. In der EU-Legislaturperiode von 2009 bis 2014 kam dieses Verfahren in 93 Prozent der behandelten Rechtsakte zur Anwendung. Das Europäische Gericht kritisiert in einem Urteil vom März diesen Jahres den informellen Trilog, der ursprünglich als Ausnahme für dringende Fälle eingeführt wurde, und fordert freien Zugang zu Verhandlungszwischenständen bei Gesetzgebungsverfahren, berichtet die deutsche Wochenzeitung <a target="_blank" rel="nofollow" href="https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/europaeische-union-gesetzgebungsverfahren-eugh-gekippt-trilog-transparenz">Die Zeit</a>.
Die heiligen Kühe
Es gibt aber auch eine Reihe von Bereichen, in denen sich der Rat, also die Nationalstaaten, das letzte Wort vorbehält. Dazu gehören etwa die Währungspolitik und die Finanzierung des EU-Haushalts. In innenpolitisch sensiblen Bereichen wie Steuer-, Sozial-, Außen- und Sicherheitspolitik sowie bei polizeilicher Zusammenarbeit beharren die Mitgliedsstaaten im Rat außerdem noch auf der Einstimmigkeitsregel. "Die Folge davon ist, dass die Union in diesen Bereichen wenig zustande bringt", so Kitzmantel.
Lobbyingzentrale Brüssel
Und dann gibt es noch die Lobbyisten, die versuchen, EU-Gesetze zu beeinflussen. Nach Washington ist Brüssel der wichtigste Lobbying-Standort weltweit. Laut Transparency International werden für Lobbyingtätigkeiten in der EU jährlich 1,5 Milliarden Euro ausgegeben. Die Zahl der Lobbyisten wird von der Organisation auf 25.000 geschätzt. Das Spektrum der Lobbyistenaktivität reicht dabei vom Einbringen wichtiger Sachinformationen bis hin zu dubiosen Praktiken.
Milliarden für Recycling
Was das Abfallpaket angeht, stellt die EU übrigens für die Erreichung der in der Richtlinie festgehaltenen Quoten den Mitgliedsstaaten insgesamt einen Milliardenbetrag in dreistelliger Höhe zur Verfügung.
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