Theater in der Josefstadt
Es gibt immer zwei Möglichkeiten
Wirklich frei ist nur der, der weiß, wovon er nächsten Monat lebt.
Friedrich Naumann, Liberaler im Kaiserreich
Es ist sicher kein Zufall, dass sich das Programm des Theaters in der Josefstadt mit dem Thema „Flucht“ auseinandersetzt. „Die Reise der Verlorenen“ von Daniel Kehlmann, und jetzt Franz Werfels „Jacobowsky und der Oberst“. Es ist die Aufgabe eines Theaters, sich mit aktuellen Ereignissen der Politik zu befassen und Stellung zu beziehen. Es wird leider viel zu selten gemacht. Anknüpfungspunkte gäbe es au masse. Die derzeitige Regierung bettelt geradezu, Widerspruch auszulösen. Unmenschlichkeit, türkis/braun/blaues Begehren, unsoziales Verhalten muss kommentiert werden.
Wer ist dieser Jacobowsky: Ein überzeugter Lebenskünstler, der mit Witz und Ironie optimistisch das Leben bewältigt. Wir sind in Frankreich. Ein polnischer Oberst samt Laufburschen trifft auf den Juden Jakobowsky, der ihm nicht geheuer erscheint. Er vergisst sogar ständig seinen Namen. Allen gemeinsam ist, die Flucht nach England anzustreben. Der eine wegen seiner Herkunft, der andere, weil er geheime Dokumente dem britischen Militär übergeben möchte. Es ist ein Spiel um Angst, Verzweiflung und Besorgnis, von den deutschen Besatzern entdeckt zu werden. Der erfahrene Geschäftsmann Jakobowsky eröffnet seinen Mitflüchtlingen immer zwei Optionen. Die zweite ist zumeist die Fahrt ins Elend, oder es wird nach einer anderen Lösung gesucht. Mit etwas Barem beschafft er ein Auto, Benzin und Ausreise-Papiere, um einen Hafen zu erreichen. Die Gestapo ist ihnen auf den Fersen. Durch allerlei Tricks gelingt es, dem Hinterhalt zu entgehen.
Ein Mittelsmann der Briten sorgt dafür, dass der Oberst unbeschadet den Kanal nach England überqueren kann. Eine weitere Person ist zulässig - die Geliebte des Oberst oder Jakobowsky. „Ich sehe dich wieder als britischer Soldat“ beendet sie die Diskussion. Der Jude ist gerettet, wiewohl er schon mit dem KZ gerechnet hat. “Lasst mich hier, ich habe keine Angst mehr vor dem Tod“, sagt er der Reise müde. Und doch tritt wieder die zweite Option ein. Jakobowsky hat ein gutes Karma. Der Oberst besteht darauf, dass der vorher ungeliebte und mit Verachtung behandelte Jakobowsky ins Boot einsteigen darf. Die Geliebte wird Mitglied der Résistance.
Janusz Kica führt das Ensemble durch alle Fallstricke, die dem Werk inhärent sind. Die Regie zeigt mit viel Raffinement ein Stück, in dem die Akteure auf der Bühne ihre ganz spezielle Profession ausleben können. Eine Sternstunde der Schauspielkunst zeigt Johannes Silberschneider, der den ausgefuchsten Jacobowsky genial spielt und als Titelheld den Anspruch auf Bühnenpräsenz mehr als gerecht wird. Sein Widerpart ist Hausherr Herbert Föttiger als Oberst. Sein Polnisch wird ihm verziehen. - In meinem Haushalt versuchen zwei polnische Frauen Deutsch zu sprechen. Das hört sich anders an. Egal, ihn versteht man, meine Polinnen eher nicht.
Franz Werfel, obwohl keine Jude, flüchtete vor den Nazis nach Amerika. In „Jacobowsky und der Oberst“ arbeitet er seine bedrohliche Schifffahrt ab. Es ist ein Sittenbild der Schikanen und Demütigungen. Der Schriftsteller übersteht die Reise und trifft sich mit Seinesgleichen, etwa Bert Brecht, Theodor Adorno, Arnold Schönberg. 1940, im Jahr der Flucht, schrieb er „Eine blassblaue Frauenschrift“ (zu sehen bei den Festspielen Reichenau).
Das Publikum ist aufgeweckt, spendet heftigen Applaus. Wenn nur ein paar verstanden haben, welche Dimension ein solches Werk hat, ist schon viel getan. Herbert Grönemeyer sagte einmal in einem Interview: Es ist wichtig, das richtige Kreuz bei der Wahl zu machen.
Next „Jacobowsky und der Oberst“: 3.4.2019
Infos und Tickets: www.josefstadt.org
Reinhard Hübl
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