Theater der Jugend
Schuld und Sühne: Mord, na und?
Im verarmten St. Petersburg treffen Menschen auf Menschen, die im Elend leben. Nach dem der Student Radion Raskolnikow – man glaubt, in ihm schizophrene Züge zu erkennen – zwei Morde an „minderwertigen“ Frauen begeht, wankt er zwischen Schuld und Sühne. Anfangs leugnet er die frevelhafte Schandtat. Er ist hochbegabt, sein Weltbild ist das eines Unfehlbaren. In seinem sozialen Umfeld ist er bald ein Ausgegrenzter, weil er ausgegrenzt sein möchte. Nur sein Freund Rasumichin hat gelegentlich Zugang zu ihm. Auch wenn er von ihm beschimpft wird, ist er an seiner Seite.
Das Geld ist knapp, Raskolnikows Schwester Sonja soll an einen reichen Potentaten verschachert werden. Die Mutter freut sich, der Tristesse zu entkommen, sie hat ja schon kassiert. Der Bruder – sonst am ausgelaugten Umfeld uninteressiert – hält dagegen. Der Streit nimmt irrationale Züge an, da der Raskolnikows nicht versteht, dass so ein Deal überhaupt möglich ist. Letztlich setzt sich der Mammon gegen den erzwungenen Eros durch. Der Frivolität nicht genug, tritt ein weiterer Mitspieler auf den Plan. Ein ehemaliger Geliebter Sonjas möchte sie noch einmal wiedersehen. Er wird zudringlich. Sonja – der überheizten Stimmung überdrüssig – zieht eine Waffe und verletzt ihn. Den Streifschuss überlebt er.
Inzwischen rückt die Polizei Radion Raskolnikow immer näher, der anfängliche Beamten-Charme wird zur Bedrängung. Früher wurde er nicht als Verdächtiger geführt. Und weil sich das Netz zuzieht, gesteht Raskolnikow den Mord, ohne viel Reue zu zeigen. Man muss das Gesindel – die Pfandleiherin und deren Tochter, die das Kapitalverbrechen gesehen hat, und deswegen auch sterben muss - beseitigen. Die Grausamkeit der Menschen wird auch in einem Nebenschauplatz deutlich. Eine Familie wird von einem Alkoholiker und Spieler beherrscht. Er verprasst das wenige Geld. Die älteste Tochter geht auf den Strich, um das Notwendigste für die Mutter und die jüngeren Geschwister aufzustellen. Als der Vater von einem Zug überfahren wird, ist die Trauer enden wollend, zu prekär ist die Situation der Familie.
Fjodor M. Dostojewskij legt die Sünden der Zarenzeit frei. Das Aufzeigen der Wunden sozialer Ungerechtigkeiten wird als ungerechtfertigte Kritik wahrgenommen. Dafür wird er mit dem Tod bedroht, später wird dies in eine Arbeitslagerstrafe und Militärdienst in Sibirien umgewandelt. Abweichen und Reformer sind eine Gefahr für das System. In „Schuld und Sühne“ lässt er Radion Raskolnikow sagen: Durch die Beseitigung wertloser Mitmenschen entsteht Neues (Gutes?).
Im Psychokrimi, in dem viele Tabus gebrochen werden, und von der Würde des Menschen nicht mehr viel übrig bleibt, lässt Regisseur Thomas Birkmeir den Emotionen seiner SchauspielerInnen freien Lauf. Der Hauptakteur Jakob Eisenwenger ist der Mittelpunkt im Sozialdrama. Er spielt den irren, verwirrten, doch mit großem Intellekt ausgestatten Studenten so perfekt, dass man fürchten muss, er springt jeden Moment von der Bühne und richtet ein Blutbad an. Was man aber bekritteln muss, ist die ständige Schreierei. Gefährlichkeit in leisen Tönen ist manchmal das bessere Mittel, um der Bösartigkeit Ausdruck zu verleihen. Kim Bormann, die zum Ende der Vorstellung aus den High Heels kippt, wünsche ich baldige Besserung. Mit „Schuld und Sühne“ legt das Theater der Jugend ein sehenswertes Werk auf.
Noch zu sehen bis am 27.3.2019.
Infos und Tickets: www.tdj.at
Reinhard Hübl
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