Geschichte
Verstecktes Leben in Wien
In ihrem Buch arbeitet Anna Goldenberg die Vergangenheit ihrer jüdischen Familie auf.
LEOPOLDSTADT. September 1942, Konradgasse. "Eine kurze Umarmung, ein Glückwunsch, und schon war ich auf der Straße. Dort legte ich den gelben Stern ab", schrieb Hansi Feldner-Bustin in seinem Tagebuch. Seine Eltern und seinen kleinen Bruder sah er nie wieder. Wie unzählige weitere Juden mussten sie ins Sammellager, um danach nach Theresienstadt deportiert zu werden. Der 17-jährige Hansi blieb in Wien und versteckte sich bei dem Kinderarzt Pepi Feldner im 7. Bezirk.
Jahrzehnte später arbeitet Anna Goldenberg, Hansis Enkelin, die Vergangenheit ihres Großvaters auf. In ihrem Buch "Versteckte Jahre" nimmt die Döblingerin die Leser mit auf eine Reise in die dunkle Geschichte Wiens. Dabei erzählt sie nicht nur anhand Hansis Aufzeichnungen nach, sondern reflektiert und ergänzt historische Details.
Unentdeckt in Wien
"Rituale verloren im Kampf um die Existenz an Bedeutung, schrieb Hansi. Die Armut, in der er und Pepi Feldner lebten, kam in seinen Aufzeichnungen kaum vor", erzählt Goldenberg bei ihrer Lesung in der Brigittenauer Bücherei Pappenheimgasse. Doch sei diese zwischen den Zeilen erkennbar. Zu dieser Zeit lebten nur noch rund 8.000 Juden in Wien – sie versteckten sich oder waren geschützt durch arische Angehörige und Ehepartner.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges blieb Hansi unentdeckt. Die Wohnung in der Neubaugasse verließ er nur, wenn im Stiegenhaus niemand zu sehen war. Doch wenn er das tat, verbrachte er seine Zeit gerne in der Bibliothek und las. Auch besuchte er später heimlich Vorlesungen und begleitete Pepi Feldner unter falscher Identität ins Lazarett.
Familiengeschichte
"Mich schmerzt es zu wissen, dass meine Albträume die Vergangenheit meiner Vorfahren war", sagt Anna Goldenberg. Dreieinhalb Jahre recherchierte und schrieb sie an ihrer Familiengeschichte. Interesse an der Vergangenheit hatte sie seit klein auf, doch während ihres Journalismus-Studiums in New York veränderte sich ihr Blickwinkel. "Ich verstand, dass ich mich mit der Geschichte meiner Familie beschäftigen muss, um zu verstehen, warum sie in Wien geblieben sind." Denn nicht nur ihr Großvater, sondern auch ihre Großmutter Helga er- und überlebte den Horror des NS-Regimes.
Gemeinsam mit ihrer Großmutter sowie deren Schwester reiste Goldenberg im Sommer 2013 nach Theresienstadt, um den Ort zu besuchen, wo die beiden und ihre Mutter jahrelang um ihr Leben kämpften. Mittlerweile ist Herta Feldner-Bustin 90 Jahre alt, in Wiener Schulklassen zu Besuch, wo sie von ihren Erlebnissen erzählt.
Zur Sache
Das Buch "Versteckte Jahre: Der Mann, der meinen Großvater rettete" kostet 20,60 Euro. Das 192-Seiten-Werk ist im Buchhandel oder unter www.hanser-literaturverlage.de erhältlich.
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