Industrieviertel/Fortsetzungsroman
Geh hin, wo der Pfeffer wächst – Teil 7

Geh hin, wo der Pfeffer wächst schrieb Erika Hager. | Foto: Hager
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Fortsetzungsroman: Mit der Buchverkauf wird das Projekt "AIDS-Waisenkinder in Theni", Indien, unterstützt.

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Er ist eingeschlafen, während ich über mein Gepäck wache, denn Diebstahl hier und im Zug ist nicht ungewöhnlich. Plötzlich hebt er seinen Kopf und schaut mich verwundert an. Nach kurzem Überlegen fragt er mich, ob ich nicht ein indisches Mädchen heiraten möchte. Er könnte eine richtige Hochzeit in kurzer Zeit arrangieren. Er hält mich offensichtlich für einen Mann, denn in seinem Weltbild ist wahrscheinlich kein Platz für eine allein reisende Frau mit kurzem Haar und Rucksack.
Dass es tatsächlich nicht ungefährlich ist, sich als Frau allein in diesem Land zu bewegen, wird mir auf meiner letzten Station in Rajasthan noch einmal voll bewusst. Ich komme zurück vom Besuch des Jantar Mantars, dem Observatorium in Jaipur. Es gehört zu den eindrucksvollsten Anlagen, die 1728 von Jai Singh II zum Zweck der Beobachtung der Himmelsgestirne, zur Messung der Zeit oder zum Berechnen von Sonnenfinsternissen erbaut wurde. Die Ansammlung der bizarren Bauwerke gleicht monumentalen modernen Skulpturen. Voll freudiger Vorstimmung auf meine baldige Abreise treffe ich in der Herberge eine junge Französin. Sie hat Zeit in einem Ashram verbracht, in dem Drogen verabreicht wurden, deshalb weiß sie nicht mehr, ob sie dort auch sexuell missbraucht worden war, und von wem. Sie ist verzweifelt und total kraftlos. Ich biete ihr an, sie zum Flughafen mitzunehmen und die Rückreise nach Frankreich mit ihr zu organisieren. Doch es fehlt ihr an nötigem Willen, um an dem vereinbarten Treffpunkt zu erscheinen.
Als ich im Flugzeug sitze, bin ich überglücklich und doch von zwei, vollkommen widersprüchlichen Gefühlen beherrscht, die Indien zu jenem Zeitpunkt in mir hinterlässt – Faszination und Abscheu.

Indien − der Süden – Sommer 1999

Was habe ich eigentlich begriffen von diesem unfass­baren Subkontinent? Fast zehn Jahre liegt meine letzte Indien-Reise zurück und es zieht mich wieder hin, sodass ich mich einer kleinen Gruppe von zwei Südtirolern und fünf Österreichern anschließe, um den Süden des Landes kennenzulernen. »Empezamos«, eine kleine Gruppe von Studenten aus Wien, und die »Madurai Social Services Society« in Tamil Nadu organisierten »Eine-Welt-Wochen«, in denen wir nicht nur soziale Einrichtungen aufsuchten, sondern auch das Leben in den Dörfern erspüren konnten. Die Erfahrungen dieser fünf Wochen waren so einzigartig, wie sie das beste und teuerste Reisebüro nicht hätte anbieten können.
Zu den täglichen Ausflügen gehörten Besuche in Schulen, Krankenhäusern, Heimen für Kinder, Zündholz- und Feuerwerksfabriken, Dörfern, in denen Dalits (Unberührbare) leben oder Siedlungen von Adivasi (Ureinwohner) in den »Blauen Bergen« von Nilgiris.
An einem Tag haben wir besonders viel vor: In Tirunelvelli besuchen wir eine Schule, die sich um Behinderte und um Schulaussteiger kümmert, um ihnen eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Unterwegs sehen wir an einem Fluss, wie sie Matten aus Korai Gras weben. Zwei bis fünf Tage liegt das Gras gebündelt im Fluss, dann kann es fein gespalten werden. In Naturfarben und dunklem Weinrot ist das Muster gewebt, weich und glänzend sieht die Matte aus, wie aus Seide.
Etwas verspätet treffen wir in der nächsten Schule ein, wo 450 Kinder auf uns warten. Mit großer Freude heißen sie uns willkommen, keine Spur von Verdruss über die lange Wartezeit, die sie mit orientalischer Gelassenheit hinnehmen. Bevor wir uns ihre Theateraufführung ansehen, halte ich, von der Gruppe zur Sprecherin gewählt, eine kurze Rede als Begrüßung und Dank, dass wir bei ihnen sein dürfen. Der Inhalt des Dramas ist so eindrucksvoll, dass ich es noch immer bildhaft vor mir sehe:
Ein Fremder kommt am Flughafen an und findet einen großen Stein, den er von seinem Weg entfernt. Als er sich umsieht, trifft er auf einen Menschen, der aus dem Stein eine Statue meißelt. Der erste Vorübergehende ist ein Hindu, mit Sandelholz und roter Farbe in seinem Reisebündel, diese streicht er auf die Stirn der Statue und verehrt sie dann. Es folgt ein Christ, in dessen Wahrnehmung die Statue zur Jungfrau Maria wird. Schließlich geht ein Moslem vorbei und betet vor der Statue zu Allah. Als alle drei aufeinander treffen, beschimpfen sie sich, denn jeder will Recht haben. Bis der Künstler zu ihnen sagt: »Ich habe keinen Gott geformt, nur eine Statue«. Einer von ihnen ergreift die indische Fahne und hisst sie über dem Ort der Auseinandersetzung.
Diese Einheit in der Vielfalt zu erkennen und zu leben, ist in dem Milliardenvolk sicherlich ein wichtiger Aspekt, wenn es auch dort und da zu Konflikten kommt.
Theater, vor allem Straßentheater, ist für die Menschen in den südindischen Dörfern eine wesentliche Form der Vermittlung von Botschaften. Um Probleme im Zusammenleben von Familien darzustellen, sowie auch mögliche Lösungen, lassen sich öffentliche Plätze am besten als Bühne benützen. Zu den häufigsten Ursachen von Konflikten gehören Alkoholismus und die Diskriminierung von Mädchen. Ich habe mich beim Verkosten der herrlich süßen, nach Muskateller schmeckenden Trauben öfter gewundert, warum sie keinen Wein daraus machen. Es ist die unglaubliche Angst vor den Folgen des Alkoholismus. Der einzige Fusel, den die ärmeren Schichten zu kaufen bekommen, macht schnell betrunken, führt zu Erblindung und nicht selten sogar zum Tod. Wenn ein Familienvater dem Alkohol zugetan ist, sind die Konsequenzen für Frau und Kinder meist Gewalt und erschreckende Armut. Deshalb sind auch die »Sangams« immer Vereinigungen von Frauen, denn sie sind es, die für die Familien letztendlich die Verantwortung tragen. Wir sind in mehreren Dalit Dörfern zu einem Sangam eingeladen, aber am spannendsten ist das Treffen von Frauen aus verschiedenen Orten.

Zur Sache
Geh hin, wo der Pfeffer wächst
Reisenotizen aus Nepal und Indien | A travelogue from Nepal and India
Erika Hager
ISBN: 978-3-99028-491-9
19 x 12 cm, 174 S
€ 18

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