Sigmar Gabriel
"Wenn sich Putin durchsetzen kann, dann Gnade uns Gott"

Sigmar Gabriel sieht die größte Gefahr für 2024 darin,  "dass die USA nach der Präsidentschaftswahl so zerrissen sind, dass sie als westliche Führungsmacht ausfallen." | Foto: Oberbank/Krügl
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  • Sigmar Gabriel sieht die größte Gefahr für 2024 darin, "dass die USA nach der Präsidentschaftswahl so zerrissen sind, dass sie als westliche Führungsmacht ausfallen."
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Der ehemalige deutsche Vizekanzler, Umwelt-, Wirtschafts- und Außenminister sowie frühere niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) war Gastredner beim Neujahrsempfang der Oberbank im mit 1.500 Gästen gefüllten Donau-Forum.

LINZ. In seiner Rede und in einem Vorabgespräch mit Medienvertretern nannte Gabriel als "größte Gefahr für dass Jahr 2024, dass die USA nach der Präsidentschaftswahl – egal wer sie gewinnt – so zerrissen sind, dass sie als westliche Führungsmacht ausfallen." Das habe Folgen für den Rest der Welt - "insbesondere für uns Europäer. Übrigens auch für die, die glauben, sie seien neutral." Wenn die aus Gabriels Sicht einzige echte Supermacht mit sich selbst beschäftigt sei, "ist das eine Einlandung an Leute wie Putin. Wenn wir es jetzt nicht schaffen als Europäer, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie wenigstens das halten kann, was sie jetzt hält, dann könnten die Gebietseroberungen der Russen noch größer werden." Das bedeute aber nicht, "dass der Krieg zu Ende ist. Er wird sich dann vielleicht verändern in einen Guerillakrieg." Gabriel warnt jedenfalls davor, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen: "Wenn sich Wladimir Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine durchsetzen kann, dann Gnade uns Gott. Wenn jemand heute mitten in Europa seinen Nachbarn mit Waffengewalt mit Panzern, mit Raketen auf Zivilisten überfällt, wer soll ihn daran hindern, es auch bei wem anderen zu machen." 

Sanktionen wenig wirksam aber alternativlos

Die Sanktionen gegen Russland hält der ehemalige deutsche Minister nur für überschaubar wirksam: "Wir erleben, dass sich die Länder, die von Sanktionen betroffen sind, erstens zusammentun, zweitens sich so eine Ersatzökonomie bildet. Und wenn man jetzt ganz ehrlich ist, dann ist doch die Sanktionspolitik der Versuch, beim internationalen Konflikt nicht zu schweigen, aber auch keinen Krieg anzuzetteln. Ich bin auch für die Sanktionen gewesen, weil die Alternative gewesen wäre, wir tun gar nichts."

Sigmar Gabriel zu den militärischen Fähigkeiten Europas: "Wir tun bei der Debatte immer so, als ob wir morgen beim Masters-Golf-Turnier mitmachen wollen. Aber eigentlich können wir noch nicht mal Minigolf." | Foto: Oberbank/Krügl
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Europas Verteidigung nicht mal auf Minigolf-Niveau

An der Europäischen Sicherheitspolitik übte Gabriel im Zusammenhang mit dem immer wieder beschworenen Aufbau militärischer Fähigkeiten heftige Kritik: "Wir tun bei der Debatte immer so, als ob wir morgen beim Masters-Golf-Turnier mitmachen wollen. Aber eigentlich können wir noch nicht mal Minigolf." Es werde für Europa sehr lange dauern, "um auch nur in die Nähe dessen zu kommen, was heute die Vereinigten Staaten mit der NATO für uns an Sicherheitsmöglichkeiten schaffen." Auch deshalb werde man international nicht immer ganz ernst genommen: "Wir gelten als die letzten Vegetarier in einer Welt der Fleischfresser – und seitdem die Briten die EU verlassen haben als die letzten Veganer."

Kein Fortschritt ohne Risiko

Die Politik solle aber nicht nur an Europas Verteidigungsschwäche arbeiten sondern sich auf  seine ökonomische Stärke besinnen und diese weiter stärken: Es sei "nach wie vor der größte Binnenmarkt. Deutschland mit seinen 82 Millionen ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt." Aber Deutschland müsse aufpassen, nicht zum Museum zu werden. Der Ausbau des individuellen Rechtsstaats habe dazu geführt, dass jeder gegen alles klagen könne – und das auch tue. Dadurch hätten sich jedoch die politischen Handlungsspielräume stark verringert – und: "Wir sind insgesamt risikoaverser geworden. Ich kenne keinen wirtschaftlichen Fortschritt, der nicht auch bereit ist, Risiken einzugehen. Wir glauben immer, das Risiko mit noch mehr Regulierung wegregulieren können. Das wird nicht gehen. Wir werden manche Dinge auch einfach ausprobieren müssen. Wir werden viel schneller sein müssen als bisher. Und auch pragmatischer." Gabriel zeigte das am Beispiel der USA auf, die Klimaschutz durch Subventionen und Steuererleichterungen fördern, anstatt wie in Europa Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zu verbieten: "Das halten die Amerikaner für einigermaßen verrückt. Ich halte das für, freundlich ausgesprochen, mutig."

"Dämliche" Deutsche und Österreicher

Heftige Kritik übte Gabriel an der Ablehnung der Freihandelsabkommens mit den USA und Kanada. Europa könnte heute von der guten Wirtschaftsentwicklung in Nordamerika profitieren, "wenn wir nicht so dämlich gewesen wären, die Österreicher und die Deutschen vorneweg. Aber wir haben ja erklärt, dass wir von Chlorhühnchen bedroht werden und von allem möglichen anderen Unfug. Wir waren ja auch noch nicht mal bereit, ein Freihandelsabkommen mit Kanada zu unterschreiben. Kanada, ein Land, das europäischer ist als mancher europäischer Mitgliedsstaat." Dass auch das Freihandelsabkommen Mercosur mit Südamerika nie unterzeichnet worden sei, habe China ausgenutzt – "und dann jammern wir, dass die Chinesen uns schon wieder irgendwas wegnehmen. Das Problem ist nicht, dass China eine Strategie hat, sondern dass wir keine haben."

"China hat Menge eigener Probleme"

Trotz seiner aggressiven wirtschaftlichen Expansionsstrategie werde China "erstmal so schnell nicht wieder zu alten Wachstumszahlen kommen, weil China eine Menge eigener Probleme hat. Sie haben ein Riesenproblem auf dem Immobilienmarkt, sie haben ein Riesenproblem mit der Demografie. Erstmal wird China alt, bevor es reich wird. Sie haben die Folgen der Null-Covid-Politik noch nicht überstanden." Dazu komme abnehmendes Vertrauen unter den chinesischen Konsumenten. Dass es in den USA gleichzeitig wirtschaftlich gut laufe, werde auch Vorteile für Europa haben: "Ich persönlich habe, was Deutschland angeht, nicht so sehr Sorge vor der Konjunkturkrise. Krise ist in Deutschland dann, wenn die Arbeitslosigkeit steigt. Also wenn die nicht steigt, ist von Krisen nicht viel zu spüren".

Heftige Kritik übt Sigmar Gabriel an der aktuellen Bundespolitik in Deutschland – und damit auch an seinem Parteigenossen, Bundeskanzler Olaf Scholz: Sie habe die Menschen enorm verunsichert. | Foto: Oberbank/Krügl
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Kritik an deutscher Ampel-Koalition

Seine Festrede im Oberbank Donau-Forum hatte Gabriel mit dem Gruß "Wir waren besser als die heute" an seinen früheren österreichischen Politikkollegen, den ehemaligen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, eingeleitet. Dementsprechende Kritik übt der ehemalige deutsche Vizekanzler und Minister an seinen Nachfolgern: "Die Politik hat in einem Maße für Verunsicherung sorgt, das in Zeiten einer ohnehin unsicherer gewordenen Welt, besonders hart zu Buche schlägt. Ich würde meinem Land auch empfehlen, den politischen Parteien weniger über die AfD zu reden, und mehr über die Frage, warum Menschen eigentlich so zornig sind, dass sie bereit sind, die zu wählen, und dann zu überlegen, was man gegen diesen Zorn macht."

Sigmar Gabriel über die EU: "Das ist bis heute ein Wunder, dass es von Ausschwitz bis zu Brüssel nicht die Spanne eines Menschenlebens gebraucht hat." | Foto: Oberbank/Krügl
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Von Auschwitz bis Brüssel

Aufgabe politischer Führer sei jetzt, "den Menschen klarzumachen: Es wird anstrengend, aber es lohnt sich. Wir müssen uns jetzt anstrengen, sonst müssen unsere Enkel nach den Spielregeln anderer leben." Politische Führung bedeute, zu zeigen, wozu Menschen imstande sind, wenn sie nur wollen – herausragendstes Beispiel dafür: die EU. "Ein paar Jahre, nachdem wir Deutschen brandschatzend durch Europa gezogen sind, kommen Italiener, Franzosen und andere Leidtragende auf die Idee, uns in eine Gemeinschaft einzuladen. Das ist bis heute ein Wunder, dass es von Ausschwitz bis zu Brüssel nicht die Spanne eines Menschenlebens gebraucht hat."

Wagenknecht keine Gefahr für AfD

Die von Sahra Wagenknecht gegründete Partei werde die AfD kaum Stimmen kosten sondern nur die "Linkspartei kaputt machen" sowie SPD und Grüne Stimme kosten.. 
Dir AfD sieht Gabriel trotz des europaweiten Erstarkens der Rechtspopulisten als Sonderfall: "Nur in Deutschland haben sie mit der AfD eine Partei, die nach ins Rechtsextreme geht, ins Rechtsradikale. Wir haben in Italien eine Wahl einer Ministerpräsidentin erlebt, wo sozusagen kurz vorher der Untergang des Abendlandes beschrieben wurde. Und dann ist die pro NATO, pro EU und verhält sich ja eher unauffällig."
 

Spaltung nichts im Vergleich zu den USA

Die gesellschaftliche Spaltung in Deutschland habe Maße angenommen, "wie ich sie noch nie erlebt habe". Aber es gehe im Vergleich zu den USA nicht so sehr um eine Spaltung zwischen zwei Parteien oder Polen, sondern "ich erlebe eine totale Entfremdung zwischen den politischen und ökonomischen Eliten und großen Teilen der Bevölkerung." In den USA seien dagegen die politischen Lager verfeindet: "60 oder 70 Prozent der Eltern antworten auf die Frage, wie wichtig ist es für sie, dass ihr Kind jemanden heiratet, der der gleichen Partei angehört wie sie, mit 'ganz wichtig'. Bei uns gibt es noch nicht die Situation, dass man den Stadtteil wechselt, wenn man den Eindruck hat, dass zu viele die andere Partei wählen." In Deutschland sei das zum Glück nicht so: "Demokratische Parteien dürfen nie etwas anderes sein als Wettbewerber, keinesfalls Feinde, wie in den USA."

Sigmar Gabriel sieht die größte Gefahr für 2024 darin,  "dass die USA nach der Präsidentschaftswahl so zerrissen sind, dass sie als westliche Führungsmacht ausfallen." | Foto: Oberbank/Krügl
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