Experte Schneider zu Wirtschaftsentwicklung
"Pessimismus völlig fehl am Platz"

Volkswirtschafts-Experte Friedrich Schneider: "Es ist sehr in geworden, alles schwarz zu sehen, alles wird schlecht geredet. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau."  | Foto: IWS
  • Volkswirtschafts-Experte Friedrich Schneider: "Es ist sehr in geworden, alles schwarz zu sehen, alles wird schlecht geredet. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau."
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Friedrich Schneider gehört zu den einflussreichsten Wirtschaftsforschern Europas. Im Interview mit BezirksRundSchau-Chefredakteur Thomas Winkler erklärt der emeritierte Wirtschaftsprofessor der Johannes Kepler Uni, warum es keinen Grund gibt, angesichts der aktuellen Wirtschaftslage Trübsal zu blasen, wann eine Verbesserung zu erwarten ist und von welchen Faktoren alles abhängt.

BezirksRundSchau: Die Konsumlaune und die Stimmung bei den Unternehmern sind im Keller – teilweise wird von einer "neuen großen Depression" gesprochen. Die große Depression in den 30er-Jahren führte in die Weltwirtschaftskrise mit all ihren Folgen – stehen wir wirklich vor einer ähnlichen Entwicklung?
Friedrich Schneider:
Wir sind sehr weit weg von einer Depression. Noch boomt der Arbeitsmarkt, wir haben einen enormen Arbeitskräftemangel. Die Lohnsteigerungen gleichen die Inflation aus oder liegen sogar etwas darüber. Wir haben eine schwierige Zeit, aber es ist auch sehr in geworden, schwarz zu sehen. Alles wird schlecht geredet. So ist es aber wirklich nicht. Natürlich wird es schwieriger – aber nicht nur wegen des Krieges in der Ukraine. Lieferkettenprobleme, Rohstoffmangel und vieles mehr haben Preissteigerungen ausgelöst. Aber ich sehe nicht, dass wir dadurch in eine Depression geraten – eine Delle im Wirtschaftswachstum kann sein.

"Läuft denkbar schlecht für Putin"

Und wenn Russland doch die Gaslieferungen stoppen sollte?
Wenn die Industrie aufgrund Gasmangels abschalten müsste, dann gibt es schwerere Verwicklungen wie massive Arbeitskräftefreisetzungen. Und die Frage ist auch, ob die Firmen das überstehen würden. Aber ich sehe diese Gefahr nicht. Die Gasspeicher sind voll, der Ukraine-Krieg läuft nicht so, dass Putin die Gaszufuhr auf 0 stellen könnte, die Wahrscheinlichkeit dafür liegt meiner Ansicht nach unter 20 Prozent. Es läuft ja denkbar schlecht für Putin. Ich glaube, dass der Druck auf ihn, einem Waffenstillstand zuzustimmen, stark zunehmen wird.

"Mittelstand verarmt nicht"

Aktuell ist Österreichs Bevölkerung aber mit rund zehn Prozent Inflation konfrontiert, es wird vor einer Verarmung des Mittelstandes gewarnt und Menschen mit niedrigen Einkommen sind auf die Hilfe des Staates angewiesen – wie lange dauert dieser Zustand an?
Berechnungen zeigen, dass der Ukraine-Krieg nur zu einem Fünftel für die Inflation verantwortlich ist. Ich glaube, dass wir 2023 den Höhepunkt von etwas über zehn Prozent überschreiten werden. Die Inflation wird dann Stück für Stück zurückgehen auf vier bis fünf Prozent in den nächsten zwei, drei, vier Jahren – wenn sich die Lieferkettenproblematik und Rohstoffknappheit auflöst auch in Richtung zwei Prozent. Zwanzig Prozent der Inflation sind dem schwachen Euro geschuldet – das wird auch noch einige Zeit so bleiben. Es wird also nicht möglich sein, den hohen Wohlstand zu halten – wir sind ja eines der reichsten Länder der Welt. Aber der Mittelstand verarmt nicht. Die viel gescholtene Regierung hat erreicht, wozu andere Regierungen Jahrzehnte nicht imstande waren: die Abschaffung der kalten Progression. Dazu wurden die Transferleistungen indexiert – beides kann man als großen Wurf bezeichnen. Die Bäume werden also in den nächsten Jahren nicht in den Himmel wachsen, aber wir jammern auf hohem Niveau. Pessimismus ist völlig fehl am Platz. 

"Österreichische Probleme lösen!"

Ist eine echte Entspannung erst zu erwarten, wenn der Krieg in der Ukraine endet oder es zumindest zu einem Waffenstillstand kommt?
Nein, wir werden die Inflationsrate zum Sinken bringen. Dazu müssen wir aber unsere Hausaufgaben machen, die österreichischen Probleme lösen. Dazu tun wir derzeit herzlich wenig. Wir müssen etwa ein aktives Einwanderungsland werden. Denn das sinkende Arbeitskräfteangebot wegen Überalterung ist eine Ursache für eine Lohn-Preis-Spirale. Wir können etwa  in der Pflege nicht weiterhin mit Schwindellösungen die Probleme auf die lange Bank schieben, indem Pflegerinnen für drei Wochen aus Rumänien nach Österreich kommen. Wir müssen stattdessen Flüchtlinge integrieren, in Arbeit bringen. Wir müssen zurück zu einer Kreislaufwirtschaft – Reparieren muss sich lohnen, das senkt die Inflation. Und der Staat wird es sich nicht leisten können, alles zu subventionieren und zu ersetzen.

Wohin werden sich angesichts der Inflation die Zinsen entwickeln?
Die Europäische Zentralbank muss bis mindestens vier bis fünf Prozent gehen. 

Welche Maßnahmen kann und soll die EU jetzt setzen?
Erst einmal dürfen die Bundeskanzler der EU-Länder nicht ständig selbst zum Gaseinkauf zu irgendwelchen Potentaten fliegen, wenn die EU zum zentralen Einkäufer für Energie werden soll. Die EU könnte die Sonnenländer wie Griechenland und Spanien zu Wasserstoffproduzenten entwickeln, so könnte eine nachhaltige Versorgung gelingen. Aber die große Herausforderung ist gerade jetzt die eigentliche Reform der EU mit einer Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips und einer klaren Regelung ihrer Kompetenzen. Alle schimpfen etwa immer über die EU in der Flüchtlingsfrage – dabei hat die EU da null Kompetenzen. Dort wo sie Kompetenzen hat, etwa in der Landwirtschaft, klappt das ganz gut - sicher besser, als wenn jedes Land seine Landwirtschaftspolitik einzelstaatlich gestalten würde.

Sind aus der aktuellen Krise gesellschaftliche Folgen absehbar - wird sich aufgrund der Wohlstandverluste etwa die Einstellung zu Arbeit und Einkommen wieder verändern?
Die Frage ist: Was will die jüngere Generation? Wenn sie nicht voll arbeiten will, muss sie akzeptieren, dass sie weniger Geld zur Verfügung hat, der lange Urlaub im Sommer und im Winter nicht möglich ist. Es gibt einen Wertewandel, der durch Corona noch dramatisch beschleunigt worden ist. Früher war normal: Papa kommt nicht vor acht Uhr nachhause, muss auch am Wochenende noch arbeiten. Überstunden waren eine Selbstverständlichkeit – ja, und das hat einen hohen Preis gekostet. Inzwischen hat Familie mehr Wert bekommen. Eine Gesellschaft ist aber nicht schlechter, wenn sie weniger arbeiten will und sich mehr um die Familie kümmert. Die sogenannte familiäre Haushaltsproduktion, die immer noch meist von den Frauen geleistet wird, ist viele, viele Milliarden Euro wert. Gut, wenn sich die Männer da stärker einbringen. 

"Handel ist gute Strategie des Miteinanders"

Die EU als großes Friedensprojekt basiert ja auf der wirtschaftlichen Verflechtung der Staaten, um kriegerische Konflikte zu verhindern. Wenn sich die EU in Folge des Ukraine-Kriegs im Energiebereich zunehmend unabhängig von Russland macht, geht die wirtschaftliche Verflechtung verloren – die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen nimmt zu.
Wir müssen mit Russland wieder reden, aber Putin klarmachen, dass er nicht barbarisch in ein Land einfallen kann. Die Frage ist, ob Russland den Wandel zu einer respektierten europäischen Macht schafft – mit Werten, denen man zustimmen kann. Bisher kennt Russland nur eine Haltung: Ein Land erobern und die halbe Bevölkerung ermorden oder es ganz zerstören. Wandelt sich Russland, müssen wir den Handel intensivieren. Das Signal muss lauten: Du kannst an der EU-Gemeinschaft teilhaben, aber es muss selbstverständlich sein, dass es keine militärischen Interventionen gibt. Handel ist eine gute Strategie des Miteinanders, der Öffnung. Aber wie soll ein Zugehen auf Russland funktionieren, ohne unsere Prinzipien zu verraten. Eine Souveränität der Ukraine muss klar sein, die Krim ist ein schwieriger Brocken, sie könnte einen Sonderstatus wie Gibraltar erhalten, da funktioniert das.

Wie schnell kann die Ukraine dann wirklich Teil der EU werden?
Für die EU fängt die harte Arbeit überhaupt erst an, wenn der Krieg vorbei ist. Der Prozess, die Ukraine an die EU anzunähern, wird sehr, sehr schwierig. In Bezug auf Rechtsstaatlichkeit oder eine gefestigte Demokratie muss die Ukraine noch einen langen Weg gehen. Wir dürfen nicht den gleichen Fehler machen wie bei Bulgarien, Rumänien oder Kroatien, die viel zu früh in die EU aufgenommen wurden. Für die nächsten 20 Jahre ist eine Vollmitgliedschaft der Ukraine in der EU undenkbar. Alleine für eine Angleichung des Lebensniveaus müssten 90 Prozent aller EU-Hilfsgelder in die Ukraine fließen.

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