TTIP: Sehr umstritten - Vortrags- und Diskussionsabend in Zell am See

- Hinten das grüne Organisationsteam aus dem Pinzgau (Klaus Horvat-Unterdorfer, Irene Rieder und Ferdinand Salzmann) sowie vorne Michel Reimon und Heidi Reiter.
- hochgeladen von Christa Nothdurfter
Die Befürworter hoffen auf Export-Impulse, die Gegner haben moralische, soziale und wirtschaftliche Bedenken.
ZELL AM SEE (cn). Im Lohninghof in Thumersbach ging am Freitag die von den Pinzgauer Grünen organisierte Veranstaltung "Unser Pinzgau muss TTIP-frei bleiben!" über die Bühne.
Am Podium: Der EU-Abgeordnete Michel Reimon und Bundesrätin Heidi Reiter. Die beiden gewährten dem Publikum - an der Zahl wohl auch angesichts des lauen Sommerabends nicht allzu groß, aber dafür umso interessierter - einen aufschlussreichen und kurzweiligen Einblick in das mittlerweile äußerst umstrittene Thema TTIP (Transatlantic and Investment Partnership), ein sehr spezielles Freihandelsabkommen, das seitens der USA und der EU verhandelt wird.
Freund oder Skeptiker?
Eines vorneweg: Insider Michel Reimon geht davon aus, dass es sich während der folgenden neun Monate, in denen Barack Obama noch Präsident der USA ist, nicht ausgehen wird, das Ganze fertig auszuverhandeln bzw. zu beschließen - vor allem auch angesichts ständig zunehmender Vorbehalte von vielen Seiten. Nach den Neuwahlen in den USA wird es Reimonds Einschätzung noch etwa ein Jahr dauern, bis seitens der USA weiterverhandelt wird, wobei man auch noch nicht sagen könne, ob der zukünftige Präsident ein TTIP-Freund oder -Skeptiker sein wird.
Vom ÖGB bis zur ÖH
Nicht nur als Skeptiker, sondern als absoute Gegner des Abkommens haben sich hierzulande rund 50 zahlreiche Institutionen wie etwa der ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund), die IG Milch, die ÖH (Österreichische Hochschülerschaft), die Katholische Jugend, die Katholische Frauenbewegung oder die Volkshilfe deklariert. Zudem haben bis dato über 250 Gemeindevertretungen beschlossen, eine TTIP-freie Gemeinde sein zu wollen - im Pinzgau sind dies Saalfelden, Mittersill und Bruck. Was die Parteien betrifft, sind die Grünen und die FPÖ in seltener Einigkeit ganz klar gegen das Freihandelsabkommen. Bei Rot und Schwarz gibt es innerhalb der Parteien kontroversielle Ansichten. Widerstand regt sich auch in anderen Ländern; in Deutschland z. B. ist der mächtige Gewerkschaftsbund TTIP-Gegner.
Zwei große Säulen
Michel Reimon schilderte, dass das Freihandelsabkommen vor allem auf zwei Säulen ruht: "Das ist neben dem Handelsabkommen auch noch der Investitionsschutz. Letzterer bedeutet, dass ein Staat Investoren aus anderen Staaten garantiert, dass die zum Zeitpunkt des Investments herrschenden Gesetze bzw. Regeln eingefroren werden. Werden diese aber doch geändert, können diese Firmen bei eigens eingerichteten Schiedsgerichten den Staat auf Schadenersatz klagen, wenn sie durch diese Änderungen finanzielle Nachteile haben."
Kluft zwischen Arm und Reich
Zum Thema Freihandel: Reimon und Reiter schilderten, dass im Falle von TTIP die EU-Länder und die USA wechselseitig die jeweiligen Produktstandards anerkennen müssten. Dadurch würde es in Österreich viele Produkte geben, die unter den heimischen Standards liegen. Natürlich könne sich der Kunde für die bessere Qualität entscheiden. Doch obwohl in Österreich das Qualitätsbewusstsein höher liegt als in den meisten anderen Ländern, greifen viele Konsumenten eben doch zum billigeren Produkt. "Abgesehen vom moralischen Aspekt wie zum Beispiel in der Massentierhaltung, die in den USA viel größere Dimensionen als bei uns hat, wären in weiterer Folge europäische bzw. österreichische Produzenten preislich nicht mehr konkurrenzfähig. Um doch mithalten zu können, müssten gemeinsame Standards - freilich niedrigere - entwickelt werden. Zu diesem Zweck ist ein sogenanntes ,regulatives Gremium' vorgesehen. Dieses Gremium ist aber nicht als Gesetzgeber-Institution geplant, sondern diesem würden nur Vertreter aus dem Industriebereich sowie Beamte angehören. Und billigere Produktionsbedingungen hätten schließlich auch eine Senkung der Sozialstandards zur Folge. Die Kluft zwischen Arm und Reich würde dadurch enorm auseinanderdriften."
Bezüglich Standards gibt es übrigens nicht nur diesseits des Atlantiks Sorgen. In den USA hat man vor allem im Bankwesen TTIP-Bedenken, denn in diesem Bereich liegen die dortigen Standards, was den Konsumentenschutz betrifft, um einiges höher als in der EU.
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