Regional und innovativ: Südtirols wirtschaftliches Erfolgsrezept

Weinkellerei Meran Burggräfler
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SÜDTIROL (anh). Schroffe Berge neben fruchtbaren Tälern, raue Winde, aber 300 Sonnentage im Jahr: Südtirol ist ein Land der Gegensätze. Herausfordernd sind daher auch die Voraussetzungen in puncto Landwirtschaft: Nur acht Prozent der 7.400 Quadratkilometer sind besiedelbar, die meisten der 20.000 Bauernhöfe haben nur zwei bis drei Hektar, viele eine Hangneigung von über 50 Prozent. Trotzdem gibt es kaum aufgelassene Höfe und die autonome Provinz hat sich in den letzten Jahren als Apfel-, Wein- und Milch-Gebiet einen Namen gemacht. Welche Faktoren zum Erfolg beitragen, wo sich für Oberösterreich aufgrund ähnlicher Agrarstrukturen Chancen ergeben könnten und wo man in Zukunft besser zusammenarbeiten könnte, erläuterte Landesrat Arnold Schuler seinem Amtskollegen Landesrat Max Hiegelsberger bei einem Besuch in Südtirol. Gemeinsame Kooperationen, eingeleitet durch den 2016 geschlossenen Forschungs- und Innovationspakt zwischen Südtirol, Österreich und Bayern sind vor allem im Bereich der agrarischen Bildung und Forschung geplant. "Durch die Vernetzung unserer Forschungseinrichtungen, den Ausbau innovativer Kooperationen und den ständigen Wissensaustausch heben wir nicht nur Synergien, sondern bündeln auch unsere gemeinsamen Anliegen hinsichtlich der Ausrichtung der zukünftigen Agrarpolitik", sagt Landesrat Hiegelsberger.

Produkt steht im Vordergrund

Egal ob beim Obst, beim Wein oder bei der Milch, im Mittelpunkt steht in Südtirol ganz klar das Produkt selbst – in möglichst hoher Qualität. "Um mit deutschen Großbetrieben nicht in direkter Konkurrenz zu stehen, setzen wir auf Differenzierung und erzielen so eine höhere Wertschöpfung", erklärt Landesrat Arnold Schuler. So werden etwa 95 Prozent der 380 Millionen Liter Milch, die im Jahr erzeugt werden, zu Käse oder Joghurt veredelt. Dadurch konnte sich auch der Milchpreis halten. 2015 betrug dieser 50 Cent netto, 2016 um einen Cent weniger. Beim Wein reduzierte man die produzierte Menge bewusst von durchschnittlich 400.000 Hektolitern in den 1990ern auf derzeit etwa 320.000 Hektolitern pro Jahr und fand mit Hilfe eines dafür gewonnenen, höheren Qualitätsbewusstsein aus der Krise heraus. Der Südtiroler Wein ist damit für eine anspruchsvolle Kundschaft bestimmt.

Synergien nutzen

Hauptabsatzmarkt ist beim Weinbau Südtirol selbst, weil sich Wein auch im Tourismus gut vermarkten lässt. "Nirgends funktioniert die Synergie zwischen Landwirtschaft und Tourismus so gut wie beim Wein", sagt Schuler. Das Potential der Verbindung dieser beiden Bereiche wird auch bei "Urlaub am Bauernhof deutlich. Da in Südtirol etwa zwei Drittel aller Landwirte ihren Betrieb nur als Nebenerwerbs- oder Zuerwerbsbetrieb führen, haben sich viele dadurch ein zweites Standbein aufbauen können. Gleichzeitig stärken sie so den Tourismus, indem sie nicht nur Landwirtschaftspflege betreiben und die unverwechselbare Kultur Südtirols erhalten, sondern auch Urlaubsgäste in die Provinz locken, die das Familiäre, Bäuerliche und Ursprüngliche suchen.
Ein typischer "Urlaub am Bauernhof"-Betrieb ist der Pirchhof in Naturns. Erstmals urkundlich erwähnt im 13. Jahrhundert, wird der Bauernhof auf knapp 1500 Metern Höhe seit 1992 als Erbhof geführt und ist auch ein zertifizierter "Roter-Hahn"-Betrieb. Mit 12 Hektarn Wiese, 30 Stück Tiroler Grauvieh, 80 Gebirgsziegen, Schweinen, Hühnern und Katzen haben die Landwirte, die den Hof im Vollerwerb führen, alle Hände voll zu tun. Von März bis November haben sie ohne Ruhetag geöffnet, die Nachfrage nach "Urlaub am Bauernhof" steige stetig, die zwei Zimmer und das Bettenlager für Wanderer seien daher bis auf wenige Tage immer ausgebucht. Im Laufe des Jahresrhythmus' werden am Pirchhof etliche heimische Lebensmittel zu verschiedensten Produkten verarbeitet. "90 Prozent unserer Speisekarte sind hofeigene Erzeugnisse", so die Inhaber.

Organisiert in Genossenschaften

Eine weitere Besonderheit Südtirols ist das Genossenschaftssystem. Schuler sieht vor allem den gemeinsamen Auftritt dieser Zusammenschlüsse als große Chance für kleine Bauern. "So können sie auf Augenhöhe mit den großen Handelsketten verhandeln", sagt auch Hiegelsberger.
Die Obstgenossenschaft Texel, die 370 Mitglieder zählt, hat beispielsweise ihren Sitz in Naturns. Die auf 1.200 Hektar erzeugten Äpfel – und auch eine kleine Menge an Marillen, Erdbeeren und Kirschen – werden zum Standort Naturns geliefert, dort sortiert, verpackt und vermarktet. "Etwa 16.000 Großkisten haben wir hier lagernd", gewährt Geschäftsführer Christoph Tappeiner einen Einblick in das Werk. Umgerechnet sind dies etwa 5.000 Tonnen Äpfel. Diese können sich dann bis zu zwölf Monate lang im "Winterschlaf" befinden, wie Tappeiner es bezeichnet, das heißt, sehr kühl gelagert, bis sie verkauft werden. "Unsere Bauern müssen bzw. dürfen alles liefern", so Tappeiner. Jeder Landwirt hat eine Quote, die Qualität seines gelieferten Obstes wird in Naturns ermittelt und am Ende des Jahres bekommt er das entsprechende Geld ausbezahlt. Übrigens: Zehn Prozent aller Äpfel in der EU und jeder zweite Bio-Apfel sind aus Südtirol.
Ebenfalls auf das System der Genossenschaften setzt die Weinkellerei Meran Burggräfler. Sie ist ein Zusammenschluss der beiden traditionsreichen Kellereigenossenschaften Burggräfler Kellerei und Weinkellerei Meran, die 2010 fusionierten. Knapp 400 Landwirte liefern die Trauben ihrer 280 Hektar Rebflächen zu dieser Kellerei und bekommen den Preis dafür in drei Raten ausbezahlt. Etwa 60 Prozent des dortigen Gesamterzeugnisses sind Weißweine, 40 Prozent Rotweine. Generell läuft in Südtirol 80 Prozent des Weinverkaufs über Genossenschaften, 15 Prozent entfallen auf Privatkellereien und fünf auf die Freien Südtiroler Weinbauern.

Jugend glaubt an Landwirtschaft

Der Landwirtschaft in die Hände spielt in Südtirol auch die Tatsache, dass der Bevölkerung nach wie vor großes Heimatgefühl nachgesagt wird. "Die Menschen hier fühlen sich sehr mit der Provinz verbunden und sind deshalb auch bereit, Geld, das sie anderwertig verdient haben, in den Hof zu stecken, damit dieser erhalten bleibt. Aus wirtschaftlichen Gründen wird heutzutage keiner mehr Landwirt, sondern es ist eine reine Herzenssache. Die Menschen wollen nicht, dass der Generationsfaden an einem Hof reißt, denn sie wissen auch: Ist die Stalltüre erst einmal geschlossen, so geht sie nicht mehr auf", meint Schuler. Unterstützend griff die Regierung den Bauern unter die Arme, indem Straßen auch bis zu den entlegensten Höfen gebaut wurden.
Auch in den Schülerzahlen schlage sich diese Rückbesinnung auf die Landwirtschaft laut Paul Mair, geschäftsführender Abteilungsleiter für die Land-, forst- und hauswirtschaftliche Berufsausbildung in Südtirol, positiv nieder. In der autonomen Provinz kann der Abschluss des Fachmanns bzw. der Fachfrau für Landwirtschaft übrigens in fünf Fachrichtunge erreicht werden: Berglandwirtschaft-Nutztierhaltung, Berglandwirtschaft, Ökologische Berglandwirtschaft, Obst- und Weinbau, Obstbau.

Forschen auf Augenhöhe

Ausbauen will man daher auch den Forschungsbereich, der mit dem Versuchszentrum Laimburg, zu dem 21 landwirtschaftliche Betriebe gehören, ein kompetentes Zentrum bekommen hat. Experten und Interessensvertreter kommunizieren und experimentieren dort auf Augenhöhe. Somit wird gewährleistet, dass die Forschungs- und Versuchsprogramme direkt auf die konkreten Erfordernisse der landwirtschaftlichen Praxis in Südtirol ausgerichtet sind. "Hier wird Forschung betrieben, die sich Kleinbetriebe oft nicht leisten können", ist Schuler überzeugt vom Konzept. Im Jahr 2015 wurden etwa 321 Projekte durchgeführt, das erarbeitete Wissen wird auch Studenten an der Freien Universität Bozen und an den Landwirtschaftlichen Fachschulen vermittelt. "In Laimburg werden gute Modelle entwickelt. Das ist überaus wichtig, denn gut ausgebildete Menschen sind der Garant für eine gute, zukünftige Bewirtschaftung", ist auch Hiegelsberger begeistert.

Einheimische entdecken Regionalität

Der Trend, doch wieder verstärkt auf Landwirtschaft und Regionalität zu setzen, ist auch im Konsumverhalten der Menschen zu spüren. Weinhändler Ulrich Wallnöfer und sein Partner Günther Hölzl sind speziell auf diesen Zug aufgesprungen und gründeten unter dem Namen "Pur Südtirol" 2010 vier Genussmärkte in Meran, Bozen, Bruneck und Lana sowie einen Onlineshop. Sie möchten ein "Sprachrohr" für heimische Bauern sein und beziehen die Lebensmittel von ihren 248 Lieferanten direkt, ohne Zwischenhändler. Erreichen wollen sie mit ihrem Konzept keineswegs nur Touristen, sondern in erster Linie Einheimische. "Die Ausgaben der Südtiroler selbst für qualitative Lebensmittel haben sich in den letzten 30 Jahren stark verringert. Zum einen weil das Bewusstsein dafür fehlte, zum anderen aber auch weil Angebot und Vermarktungsstruktur nicht vorhanden waren, denn lange Zeit waren regionale Lebensmittel ausschließlich ein Thema für Touristen", erklärt Wallnöfer. Wichtig seien ihnen Qualität und Saisonalität. "Finden die Kunden beispielsweise ein bestimmtes Produkt nicht im Sortiment, so ist das für uns die Gelegenheit, mit ihnen in Dialog zu treten, ihnen die Hintergründe zu erklären und Alternativen aufzuzeigen", sagt der Geschäftsführer. Dafür werden die Mitarbeiter laufend geschult, die Produktionspartner im Jahreskreis besucht und kontrolliert.

Genusswelt Südtirols präsentieren

Hinter den meisten Produkten Südtirols steckt eine Marketing-Maschinerie, die sich vor allem auf die Werte Qualität und Herkunft besinnt. "Es geht darum, den Menschen zu vermitteln, was man mit dem Produkt machen und erleben kann", sagt Helmuth Zanotti, IDM-Bereichsleiter für den Schwerpunkt Agrar-Marketing. IDM (Innovation, Develpment und Marketing) lanciert im Auftrag der Südtiroler Agrarkonsortien daher hauptsächlich Marketingmaßnahmen, die Qualität "erlebbar" machen, dem Kunden quasi die Genusswelt Südtirols eröffnen. Herkunftsbezeichnungen und Qualitätssiegel spielen dabei eine genauso wichtige Rolle wie Messen, Marketingevents oder die Schulung der Verkäufer in Premium-Handelsketten. Ähnliches verfolgt hierzulande "Genussland Oberösterreich".

Weitere Betriebsbesuche

Besucht wurden zudem die Gärten von Schloss Trauttmansdorff in Meran, als wichtiger Tourismus-Magnet sowie zwei Betriebe in Tirol – quasi an der Schwelle zu Südtirol –, nämlich der Schörgererhof in Oberndorf in Tirol und das Werk Wörgl von Tirol Milch.

Die Gärten von Schloss Trauttmansdorff
Die Gärten von Schloss Trauttmansdorff erstrecken sich auf einer Fläche von 12 Hektar in Form eines natürlichen Amphitheaters über einen Höhenunterschied von 100 Metern. In über 80 Gartenlandschaften blühen und gedeihen verschiedene Pflanzen aus aller Welt. In den Räumlichkeiten des Schlosses befindet sich das Touriseum – Landesmuseum für Südtirols Tourismus.

Schörgererhof
Der Hof Schörgern besteht seit 400 Jahren und steht für Ursprünglichkeit, Nachhaltigkeit und respektvollen Umgang mit Ressourcen. Auf dem Hof, im Hotel mit derzeit noch 90 Betten oder in der Skihütte von Stefan Lindner und seiner Familie kann man hautnah miterleben, wie Tourismus und Landwirtschaft harmonieren können. 50 Hektar Nutzfläche, 50 Milchkühe, 20 Jungtiere und 20 Molkeschweine decken nicht nur den eigenen Bedarf, sondern der Betrieb ist auch offizielle "Mc-Donalds-Flagship-Farm", das heißt, er beliefert die Fast-Food-Kette mit Fleisch und Milch.

Tirol Milch
Die genossenschaftlich organisierte Tirol Milch ist seit 2011 Mitglied der Berglandmilch und verarbeitet am Standort in Wörgl etwa 80 Prozent des Tiroler Milchaufkommens oder 230 Millionen Liter Milch pro Jahr. Dafür wird Rohmilch von knapp 2.400 Tiroler Familienbetrieben gesammelt und an sieben Tagen in der Woche zu Milchprodukten verarbeitet, wobei die Produktpalette stetig wächst. So wurde seit 2013 auch die Käseproduktion erheblich ausgebaut. 30.000 Tonnen Käse verlassen pro Jahr das Werk. Es gilt zudem als nachhaltigste Molkerei Europas. Die Bemühungen beginnen schon am Hof der Bauern. Diese füttern ihre Tiere naturnah und verzichten auf den Einsatz von gentechnisch veränderten Futtermitteln und ab 1. Oktober auch auf Futtermittel aus Übersee. Die Molkerei selbst bezieht seit 2013 ausschließlich Ökostrom aus Wasserkraft. Wärme gewinnt sie über ein eigenes Biomasse-Heizwerk, wobei Überkapazitäten in das Nahwärmenetz der Stadtwerke Wörgl eingespeist wird. Zudem befindet sich eine Photovoltaikanlage auf den Werksdächern. Bei Tirol Milch setzt man verstärkt auf Innovationen und die Besonderheiten der Milchwirtschaft in Tirol. Denn: Die topographischen Nachteile Tirols verhindern zwar eine intensive, industrialisierte Milchproduktion, fördern aber gleichzeitig eine naturnahe und vielfältige Landwirtschaft.

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