Psychologie / Psychotherapie
Verinnerlichte Homophobie im Alter

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Verinnerlichte Homonegativität im Alter:


Homophobie unter älteren und alten schwulen und bisexuellen Männern

Viele ältere, alte und hochbetagte Menschen mit homosexuellen oder bisexuellen Neigungen haben auch heute noch immer verinnerlichte homophobe States in sich.

Sie haben über Jahrzehnte hinweg strafrechtliche Verfolgung während der Zeit des westdeutschen § 175 bzw. des ostdeutschen § 151 miterlebt und wurden lange Zeit durch die WHO als psychisch schwer krank, pervers bzw. pathologisch eingestuft.

Diese Heteronormativität und gesellschaftliche Homophobie haben bei ihnen Wunden, manchmal auch Traumafolgestörungen hinterlassen. Internalisierte Homophobie ist somit ein klassisches Traumafolgesymptom.

Dabei ist verinnerlichte Homonegativität keine Frage des Alters. Denn auch junge und jüngere LGB tragen diese in sich.

Als Psychotherapeut habe ich immer wieder junge und jüngere schwule / bisexuelle Männer und lesbische / bisexuelle Frauen in meiner Praxis, die sich ihrer homosexuellen Bedürfnisse massiv schämen und oft einen regelrechten Selbsthass entwickeln.

Meine Power Point Präsentation zum Thema Homophobie unter älteren schwulen und queeren Männern ist zugleich als Hand-Out konzipiert. Sie finden die Folien hier als PDF.

Mein Vortrag im Waldschlösschen bei Göttingen am 9. November 2023

In meinem Vortrag schildere ich die Ursachen und typischen Symptome von internalisierter Homophobie, um dann aufzuzeigen, wie mittels Selbstregulierung und Positiver Psychologie Menschen einen sanfteren und freundlichen Umgang mit sich selbst entwickeln können.

Wichtig ist es, dass wir eine innere, erwachsene Beobachter-Instanz in uns etablieren, mit der wir unsere eigenen homonegativen Gefühle, Emotionen, Gedanken und Impulse beobachten und integrieren lernen, um dann konstruktiv und selbstfürsorglich mit uns umzugehen.

Wie Du verinnerlichte Homophobie bei Dir erkennen kannst

Verinnerlichte Homonegativität geht mit tiefer Scham einher, die uns ständig einflüstert: "Ich bin nichts wert. Ich bin nichts."

Diese Scham ist nicht gesund, sondern eine toxische Scham - ein typisches Traumagolgesymptom. Wir fühlen uns dabei nichtig, als ob wir keinen Anspruch hätten, zu leben. Am liebsten würden wir im Erdboden versinken, kollabieren und aufhören zu existieren. Diese toxische Scham erklärt neben Diskriminierungserfahrungen und Stigmatisierungen die höheren Suizidraten und die erhöhte Suizidalität unter LGB.

Die toxische Scham sagt uns, dass wir völlig falsch und verkehrt seien (hier: "Schäme Dich Deiner Homosexualität. Du darfst nicht lieben oder gar geliebt werden. Du bist nichts wert!")

Nun wird auch klarer, warum es schwer ist, eine erfüllte Partnerschaft zu führen, wenn wir uns für unsere Homosexualität schämen.

Verinnerlichte Homophobie als Überlebensstrategie

Dennoch sind eigene homophobe Seiten nicht nur unser Feind, sondern sie waren einst Selbstschutz- und Überlebensstrategien unserer Psyche, d.h. sie waren Protektoren, Beschützer und Freunde in einer unerträglichen gesellschaftlichen, sozialen und psychischen Situation. Das Symptom der verinnerlichten Homophobie war zugleich eine hochkompetente Lösung. Da Körper und Psyche ökonomisch, d.h. auch faul sind, bewahren sie Altbewährtes und zwar auch dann, wenn es im Jetzt nicht mehr adaptiv oder sinnvoll ist oder uns sogar schweren Schaden zufügt. Das Umlernen erfordert dann viel Zeit und Übung.
Verinnerlichte Homophobie war somit eine Überlebensressource.

Ein Beispiel:
Herr A., 85 Jahre alt, erzählt mir, dass ihn sein Vater erschlagen hätte, wenn er von seiner Homosexualität erfahren hätte. Herr A. entwickelte homophobe States, die ihm halfen, seine Homosexualität gut zu verbergen und auf heterosexuell zu spielen. Seine verinnerlichte Homophobie rettete ihn vor schwerer körperlicher Gewalt, u.U. sogar vor Mord vonseiten seines Vaters.

Film: "Schwuler Sex - früher per Gesetz verboten"

Die eigene Homonegativität würdigen

Wenn wir uns dies vor Augen führen, so kann uns das in finsteren Stunden helfen, freundlicher, sanfter und gnädiger mit uns selbst umzugehen. Wir brauchen uns dann nicht mehr für unsere verinnerlichte Homophobie zu verurteilen, sondern können uns leichter vergeben, haben mehr Mitgefühl mit uns und kommen mit unserer gesunden Trauer in Berührung.

Fragen, die Dir hier helfen können, sind:

  • Was war das Sinnvolle an der internalisierten Homonegativität? Wovor hat sie Dich beschützt und bewahrt?
  • Was wäre passiert, wenn Du damals Deine Homosexualität völlig frei ausgelebt hättest? Was ist Dir durch das Verheimlichen erspart geblieben?

Heute sind die homonegativen Überlebensstrategien jedoch meist nicht mehr funktional und dürfen auch mal früher in den Feierabend gehen.

Trotzdem kannst Du sie würdigen und wertschätzen. Der Kampf gegen unseren Selbstschutz und das Unterdrücken der eigenen Homonegativität führen nämlich zu noch mehr innerer Spaltung, Zerrissenheit und saugen Kraft und Lebensenergie. Viel wichtiger sind Selbstregulation und Selbstfürsorge.

Die positive Nachricht ist hier: Durch üben, üben und üben können wir unsere alten homonegativen Muster umlernen, überschreiben und adaptieren. Dies erfordert freilich Geduld, Zeit und Training, wie wenn wir ein neues Instrument oder Handwerk erlernten.

Wie werde ich meine verinnerlichte Homophobie bzw. mein Trauma los?

Die ursprünglichen biographischen Wunden bekommen wir nicht weg, weil diese ja bereits in der Vergangenheit liegen. Wir können aber die Traumafolgen bzw. die internalisierte Homonegativität heilen oder zumindest lindern. Wir leiden dann nicht mehr unter den Folgen des Traumas.

Im Gegenteil: Wir können sogar daran wachsen und besonders achtsame, empathische und gesprüge Menschen werden. Diese Entwicklung bezeichnet die moderne Traumatologie auch als "Posttraumatisches Wachstum".

Wir können unsere Traumata nutzen, um daraus zu lernen, daran zu wachsen und etwas Gutes daraus zu machen. Manche Menschen geben dieses Wachstum dann an andere Menschen weiter, so wie ich das etwa als Traumatherapeut tue.

Wege aus der verinnerlichten Homophobie

Es gibt etliche psychotherapeutische Methoden, die hier hilfreich sind.

Dabei geht es nicht um Narzissmus oder Egozentrismus, sondern um einen ehrlichen und freundlichen Umgang mit uns selbst und um ein sich-Einstimmen auf unsere Bedürfnisse und Gefühle.

Wir können in unsere gesunde männliche Energie gehen und diese nutzen, um uns selbst weiterzuentwickeln, um an uns dran zu bleiben und uns selbst die Treue zu halten.

Um gut mit uns selbst umzugehen, müssen wir uns selbst und unseren Körper spüren, da Emotionen und Bedürfnisse immer im Körper sitzen.

Welche Methoden können mir helfen, meine Homonegativität zu regulieren?

  • Meditationen zu Achtsamkeit und Akzeptanz
  • Autogenes Training
  • Progressive Muskelentspannung
  • Defusionsübungen zu negativen inneren Bildern und Gedanken
  • Containmentübungen
  • Körpertherapeutische Methoden, wie etwa selbstfürsorgliche Gesten, Faszientraining, neue Bewegungsmuster, Selbstberührungen

Verinnerlichte Homophobie als Bindungstrauma

Bei sehr schwerer Symptomatik kann auch eine körpertherapeutische, bindungsorientierte und beziehungsorientierte Traumatherapie sinnvoll sein, wie etwa das Neuroaffektive Beziehungsmodell (NARM®) oder die Somatisch Emotionale Integration (SEI®). Bei verinnerlichter Homonegativität handelt es sich nämlich um ein typisches Symptom von Entwicklungs- und Bindungstraumata.

Anhand der gesunden Beziehung mit dem Psychotherapeuten können wir dann als Referenzmodell für eine gesunde Beziehung lernen, uns selbst mehr zu lieben und bis in den Körper hinein erleben, dass wir okay und wertvoll sind, so wie wir sind. Ein guter Psychotherapeut ist wie eine platonische Liebesbeziehung auf Zeit (d.h. begrenzt auf etwa eine Stunde pro Woche).

Ich schreibe dies nicht, um Werbung für Psychotherapie zu machen, sondern weil ich selbst schwere körperliche Gewalt und emotionalen Missbrauch überlebt habe, und die Folgen dieser Traumata durch eine eigene Traumatherapie gut zu regulieren lernte.

Film: "Geschichte einer Verfolgung - Der Schwulenparagraph"

Vorsicht vor der Selbsthilfeindustrie

Vertraue dabei nicht der Selbsthilfeindustrie, welche rasche und billige Heilung verspricht. Das Erlernen von Selbstfürsorge und Selbstregulierung ist wie das Erlernen eines neuen Berufes, den wir nicht in nur 50 Stunden erlernen. Es erfordert Neugier, Forschergeist, Experimentieren und Freude an der persönlichen Weiterentwicklung. Der konstruktive Umgang mit verinnerlichter Homophobie benötigt also Zeit, Aufmerksamkeit und Freiräume. Es ist nichts, was wir mal schnell nebenbei erledigen.

Wenn wir dranbleiben, dann können wir wachsen und weiser werden und entwickeln langfristig eine gute Beziehung zu uns selbst, zu unserem Körper, zu unseren Bedürfnissen und Emotionen. Emotionen, Körper, Bedürfnisse und Verstand sind dann nicht mehr gespalten oder fragmentiert, sondern erfahren eine Integration. Wir erleben neue Lebendigkeit, Lebenssinn, personale Freiheit und innere Fülle.

Meine eigene schwierige Biographie - ein Leben in Extremen

Mein Background: Ich komme aus einer konservativen, christlich-sozialen Familie und bin sehr heteronormativ und homophob sozialisiert und erzogen worden. Meine Familie hat sich mit meinem Coming Out äußerst schwer getan. Ich habe Jahre lange um Anerkennung gekämpft und mich sehr rebellisch verhalten. Dabei bin ich immer wieder selbst psychisch gewaltvoll und übergriffig geworden. Ich wurde selbst zum Täter: So wurde ich im Alter von 23 Jahren aufgrund körperlicher Gewalt und einer Schlägerei mit einem Bruder einmal polizeilich weggewiesen und erhielt ein Betretungsverbot.

Als ich mich selbst mehr gefunden habe, mehr inneren Halt entwickelt habe und mir die Anerkennung meiner Familie nicht mehr wichtig war, habe ich sie auf einmal bekommen - das (scheinbare) Paradox des Lebens.

Im Alter von 36 Jahren habe ich im Rahmen meiner Ausbildung zum Psychotherapeuten aufgrund meiner frühkindlichen Bindungs- und Schocktraumata selbst eine Traumatherapie gemacht. Bis dahin hatte ich immer wieder emotionale Achterbahnfahrten, zuletzt wurde ich immer verkopfter und von meinen Gefühlen abgeschnittener. In jungen Jahren hatte ich tendenziell emotional-instabile-Copingmechanismen, später dann narzisstische.

Meine eigene Traumatherapie hat mich viel freundlicher und sanfter mit mir selbst und meinen Mitmenschen werden lassen. Mein Kontakt zu meiner Familie und meinen Geschwistern ist heute sehr gut und ausgeglichen. Ich kann meine Emotionen gut regulieren und Trigger rasch erkennen, um dann gut mit emotionalen Flashbacks umzugehen. Ich fühle mich, als ob ein neues Leben für mich begonnen hätte.

Die eigenen Traumatisierungen kommen mir heute sogar in meinem Beruf entgegen, was natürlich nicht heißt, dass ich diese bagatellisiere oder verharmlose. Ich wünsche niemandem meine Vergangenheit. Dennoch möchte ich andere ermutigen, sich auf den Weg zu machen. Es zahlt sich aus und ist nie zu spät.

Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Salzburg / Hamburg
(Existenzanalyse)

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