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1918: Letztes Kriegsjahr

Militärfriedhof der Retablierungsstation Kramsach | Foto: Archiv Norbert Wolf
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  • Militärfriedhof der Retablierungsstation Kramsach
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In der Weidachkapelle in Kramsach erinnert eine Gedenktafel an die 49 im 1. Weltkrieg gefallenen Kramsacher Frontsoldaten. Grund genug für einen Rückblick. – von Norbert Wolf.

Die damalige triste Wirtschaftslage, Hungersnot, Elend, Seuchen u.v.a. kennt unsere heutige Generation nur mehr aus der Geschichte und Erzählungen unserer Vorfahren. Manchmal kommt auch unerwartet ein Zeitdokument zum Vorschein, wie im vergangenen Jahr, als der Rattenberger Glasermeister Helmut Schmidhammer bei einem Dachbodenumbau das Kriegstagebuch seines Großvaters Josef Laimgruber fand. Warum gerade in Kramsach die Retablierungsstation der Gebirgsartillerie errichtet wurde, in der ständig bis zu 1.000 Soldaten stationiert waren, lässt sich heute schwer beantworten – wahrscheinlich waren es strategische Gründe. Neben der Unterkunft für das Militär gab es auch ein Pferdespital, in dem jeweils zwischen 200 und 300 Pferde untergebracht waren. Es handelte sich meist um kranke Pferde, die für den Kriegsdienst nicht mehr eingesetzt werden konnten. Viele verendete Pferde wurden in der Nähe der Pferdestation verscharrt. Teilweise fand das Fleisch für Schweinefutter Verwendung. Im letzten Kriegsjahr wurde das Fleisch der verendeten Pferde für die Militärverpflegung und für die Verpflegung der Kriegsgefangenen verwendet.
Für die Einwohner war die Militärstation eine erhebliche Belastung. Von den auch im Lager untergebrachten russischen Kriegsgefangenen ergriffen viele die Flucht, brachen zur Nachtzeit in Bauernhäuser ein und stahlen Lebensmittel und aus den Ställen Kleintiere, die sie an Ort und Stelle schlachteten.
Das letzte Kriegsjahr war für die Einwohnerschaft besonders schlimm. Einerseits traten erhebliche Versorgungsmängel an Lebensmitteln auf, weil alles für das Militär reserviert war, andererseits nahm die Teuerung derart überhand, dass sich die Bevölkerung die nötigen Lebensmittel nicht mehr leisten konnte. Zur allgemeinen Notlage kamen die behördlichen Pflichtablieferungen dazu. Landwirte mussten Lebensmittel, Getreide, Fleisch u.v.a. abliefern.
Im Sommer 1918 starben im Kramsacher Barackenlager 70 Soldaten an Bauchtyphus. Dass diese Epidemie nicht auf die Zivilbevölkerung übergriff, grenzt an ein Wunder. Mit dem Waffenstillstand zog kolonnenweise Militär mit Fahrzeugen durch Rattenberg. Vieles wurde von den Soldaten an die Bevölkerung verkauft. Ein Pferd mit Wagen war zum Beispiel für rund 60 Kronen (heute etwa 120 Euro) erhältlich. Rund 100 LKW und Geschütze blieben in Rattenberg zurück. Sie wurden dann im Frühjahr 1919 nach Innsbruck gebracht.
Die Bevölkerung versuchte, die von der Retablierungsstation errichteten Lebensmittelmagazine zu plündern. Die aufgestellte Bürgerwehr konnte dies jedoch weitgehend verhindern. Kanonen und anderes Kriegsmaterial stand unter strenger Bewachung der Bürgerwehr.

Missachtung des Waffenstillstandes

Bei der Durchführung des Waffenstillstandes zwischen Italien und Ungarn befahl die österreichische Armee am 3. November 1918 früh die Einstellung der Kampfhandlungen. Die italienische Heeresleitung erklärte jedoch, dass der Waffenstillstand erst 24 Stunden später nach Unterzeichnung am 4. November 1918, 15 Uhr in Kraft treten könne. Dadurch gerieten rund 350.000 (!) österreichische Soldaten „kampflos“ in italienische Gefangenschaft. Proteste der k.k. Heeresleitung blieben ohne Erfolg. Der Rattenberger Josef Laimgruber war einer dieser 350.000 Gefangenen. „Die Gefangenschaft war geprägt von Hunger, Entbehrungen, Seuchen und anderen Greueltaten“, schreibt Laimgruber in seinem Tagebuch. An Verpflegung standen Kraut- und Rübenpletschen an der Tagesordnung. Mit 200 Gramm Brot täglich musste man das Auslagen finden. „Die Nachtlager mussten wir, befallen von Läusen und anderen Ungeziefern, auf nassem Erdboden verbringen.“ Mehrmals wurden die Gefangenenlager verlegt. Die Entfernungen mussten in Tagesmärschen bewältigt werden. Soldaten, die zu schwach waren, blieben am Boden liegen und mussten sich dem Schicksal ergeben. „Bei dieser Lagerverlegung wurden wir“, so schreibt Laimgruber, „vom italienischen Militär und Zivilpersonen angegriffen, angespuckt und mit Steinen und Flaschen beworfen.“

Damals

Auch dieses Mal ließ uns Norbert Wolf an seinem Archiv teilhaben. Er schilderte die Ereignisse zum Kriegsende 1918 im Raum Kramsach/Rattenberg.
Quellen: Archiv und Zollchronik Norbert Wolf, Kirchenchronik Kramsach, Gendarmerieprotokolle Rattenberg, Tagebuchaufzeichnungen Laimgruber.

Mehr dazu

Übersicht

Editorial

Glosse: Weihnachten naht

Literatur: Stadtschreiberin Simone Scharbert

Austropop: Sebastian Krieger im Musikhimmel

Hilfe: Joe Höllwarth im Irak

Literatur: Gabriela Proksch-Bernabé über Pferde

Damals: Letztes Kriegsjahr im Raum Kramsach

Schmuckstück: Burg und Park Matzen

Buchtipps:
Verena Rossbacher: Ich war Diener im Hause Hobbs
99 Dinge, die du offline tun kannst
Ingrid O Volden: Unendlich mal unendlich mal mehr
Martin Suter: Allmen und die Erotik

Militärfriedhof der Retablierungsstation Kramsach | Foto: Archiv Norbert Wolf
Ein russischer Gefangener (l.) in Kramsach | Foto: Archiv Norbert Wolf
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