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"Wir jammern auf höchstem Niveau!

Franz-Josef Höllwarth bei einer Essensverteilung an bedürftige Familien im Irak | Foto: Joe Höllwarth
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  • Franz-Josef Höllwarth bei einer Essensverteilung an bedürftige Familien im Irak
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Ein Gespräch mit Franz-Josef Höllwarth, Helfer an erster Front

Im Normalfall verbindet man Urlaub mit Entspannung und Erholung. Franz-Josef Höllwarth ist eine Ausnahme, denn seine Destinationen sind nicht die Strände der Welt, sondern „Abenteuerurlaube“ der besonderen Art: die Krisenregionen dieser Welt. – von Florian Warum.

Trifft man Franz-Josef Höllwarth (den die meisten Joe nennen) nach einem Aufenthalt tausende Kilometer von Österreich entfernt, gibt’s erst mal eine herzliche Umarmung. Genauso wie der Schreiber dieser Zeilen, Joe, davon überzeugt ist, dass Menschen ohne Rücksicht auf Herkunft, Aussehen oder Glauben eigentlich gut miteinander leben könnten. Und wenn man ihn trifft, dann trifft man gleich zwei Persönlichkeiten. Hier ist es der Arbeiter und Vater einer Tochter, da ist es ein Idealist mit Hang zum Traum von einer lebenswerteren Welt.

Genug der Worte

Der Blick seiner Augen geht ins Leere. Physisch sind sie mit ihm gemeinsam zwar wieder in Münster angekommen, gleichzeitig verharren sie noch immer im Norden des Irak. Zum ersten Mal mit geflüchteten Menschen hatte er 2015 zu tun. „Es waren Bilder vom Grenzübergang in Spielfeld. Von Kindern, die in Kartons geschlafen hatten. Das kann es im 21. Jahrhundert hier in Mitteleuropa doch nicht geben“, habe er sich mit einem Auto voll Kinderbekleidung auf den Weg gemacht.

Mittendrin im Elend

Hatte er vor der Fahrt nach Spielfeld das Schicksal von Menschen aus sicherer Entfernung gesehen, war er nun mittendrin in diesen für uns unvorstellbaren Lebensumständen. „Durch die Kontakte in Spielfeld hat es mich dann nach Griechenland verschlagen. Dort habe ich die Misere in Idomeni miterlebt, als die Grenzen geschlossen wurden. In Griechenland habe ich in den verschiedenen Lagern mitgeholfen“, erinnert er sich. Wenn von Politikern nach außen hin zwar immer wieder von ‚Hilfe vor Ort’ und ‚Bekämpfung möglicher Fluchtursachen’ gesprochen, aber nichts Konkretes unternommen werde, „dann möchte wenigstens ich selbst mit meinen Mitteln helfen“.

Keine Alternativen

Durch Kontakte zu anderen Helfern aus aller Welt hätte es ihn dann von Griechenland in den Irak verschlagen. „Dort wollte ich ursprünglich im Feldlazarett eines befreundeten Arztes aus den USA nahe Mossul mitarbeiten. Im vorigen Jahr bin ich erstmals in den Nahen Osten geflogen, und zwar nach Erbil in der kurdischen Region des Irak“. Dann habe sich alles nahezu verselbstständigt. „Als ich nach Mossul kam“, erzählt Joe Höllwarth, „war noch die Befreiung der Stadt vom IS im Gange“. Genaue Zahlen, wie viele Menschen einst in Mossul gelebt haben und wie viele es heute noch sind, gäbe es nicht. Es dürften um die zweieinhalb Millionen sein. Aufgeteilt in mehr oder weniger zerstörte Stadtteile. „Die Ungewissheit darüber, was in den nächsten fünf Minuten passieren wird, sorgt für ein beklemmendes Gefühl aus Angst und Respekt“. Joe erzählt, wie er vor dem wichtigsten Hotel der Stadt, in einer christlichen Kirche und in einer Moschee gestanden sei. Alles in Schutt und Asche gelegt. Bilder und Videos auf seinem Mobiltelefon erinnern genauso an diese befremdliche Erfahrung, wie ein mitgebrachter Stein aus der zerbombten Stadtmauer von Mossul.

Angst und Terror

Ich kann kaum noch eine passende Frage stellen. In meinem Kopf vermischen sich Ungläubigkeit und Wut über so viel blanken Tötungs- und Zerstörungswahnsinn. Zugleich habe man weniger Scheu und wisse instinktiv, „welcher Schritt als nächstes notwendig“ sei, sagt der Bauarbeiter. Solche Situationen würden ihn an die Zeit als Skispringer erinnern, denn „am Balken sitzend gibt es auch nur eine definitive Entscheidung“. Man müsse sich in so einem Gebiet genauso im Klaren darüber sein, was man mache. „Manche Menschen, die zu uns gekommen sind, fristeten schon vor der IS-Herrschaft ein ‚Leben’ in Angst, Terror und Unterdrückung. Das ist schon damals kein ‚halbwegs normales Leben‘ gewesen“. Um sich als Ausländer einigermaßen ‚sicher’ bewegen zu können, seien vor allem Kontakte sehr wichtig. In seinem Fall seien es jene zur Barsani Charity Foundation (gegründet vom ehemaligen kurdischen Ministerpräsidenten).

Konkrete Hilfe

Hilfe ist an allen Ecken und Enden (Nahrungsmittel, Trinkwasser, medizinische Versorgung, Schulen etc.) dringend vonnöten. Er und seine Unterstützer könnten aber nur einem Bruchteil von Menschen helfen. Der Wiederaufbau gehe sehr schleppend weiter und werde wohl noch viele Jahre dauern. Mit den organisierten Hilfstransporten würden u. a. medizinische Gerätschaften (die bei uns keine Verwendung mehr finden, aber voll funktionsfähig sind) in das kriegsgebeutelte Land gebracht. Hier arbeite er mit Ärzten und Krankenhäusern im Land zusammen. „Während man hier für jede Hilfe aus dem Ausland für die Gesundheitsversorgung dankbar ist, jammern wir in Österreich auf hohem Niveau. Wenn wir beispielsweise mal beim Arzt warten müssen“.

Wann folgen Taten auf Worte?

In einem mehrheitlich von Jesiden bewohnten Stadtteil seien schon behelfsmäßige Häuser für 1000 Familien gebaut worden. „Doch ihnen fehlt das Geld für den Transport ihrer Kinder in die Schule nach Erbil. Direkt neben den Häusern könnte hingegen eine Schule gebaut werden. Die Pläne dafür werden gerade gemacht. In diesem Fall könnte Österreich ‚Hilfe vor Ort’ wörtlich nehmen, anstatt die notwendigen Budgetmittel drastisch zu kürzen“. Bei der Verteilung von Lebensmitteln musste er sich beschränken, und zwar auf Waisen- und Halbwaisenkinder. „Gerade hier spielt der Selbstschutz eine wesentliche Rolle, denn die betroffenen Menschen sehen uns als diejenigen, die ihnen ein besseres Leben möglich machen.

Familie als Kraftspender

Während des Tages sei kaum Zeit für Gedanken an Zuhause, die Freizeit oder Freunde. Doch spätestens am Abend gebe ihm ein Video-Telefonat mit seiner kleinen Tochter und der Familie genau jene Kraft, die Franz-Josef Höllwarth während seines ungewöhnlichen „Urlaubs“ tagtäglich für aktive Hilfe investiert. „Und wenn ich dann wieder nach Hause komme und mir meine Tochter schon von Weitem entgegenläuft“, dann komme auch wieder das Strahlen in seine Augen zurück.

Mehr dazu

Übersicht

Editorial

Glosse: Weihnachten naht

Literatur: Stadtschreiberin Simone Scharbert

Austropop: Sebastian Krieger im Musikhimmel

Hilfe: Joe Höllwarth im Irak

Literatur: Gabriela Proksch-Bernabé über Pferde

Damals: Letztes Kriegsjahr im Raum Kramsach

Schmuckstück: Burg und Park Matzen

Buchtipps:
Verena Rossbacher: Ich war Diener im Hause Hobbs
99 Dinge, die du offline tun kannst
Ingrid O Volden: Unendlich mal unendlich mal mehr
Martin Suter: Allmen und die Erotik

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