EISENKRAUT. Märchen und Geschichten für Kinder, Kindsköpfe und Kindgebliebene - Teil 33

- hochgeladen von Anita Buchriegler
Überall im Land sind momentan Matura- und Abschlussprüfungen in vollem Gange. Dabei wird gelernt was das Zeug hält. Die Nerven liegen - nicht nur bei den Prüflingen - blank. Die richtigen Worte finden, Blackout vermeiden und Gelerntes auf Abruf parat haben, lautet die Devise. Als ich kürzlich mit meinem Patenkind 2 Stunden vor der alles entscheidenden Mündlichen telefonierte, und sie weinerlich in Panik auszubrechen drohte, begann ich krampfhaft zu überlegen, ob nicht auch für Prüfungen ein Kraut gewachsen ist. Gott sei Dank fiel mir das Eisenkraut ein.
Vom Wirkungsbereich her soll es antibakterielle, schleimlösende und entzündungshemmende Eigenschaften besitzen. Unsere Vorfahren hatten es außerdem bei Ritualen und für Liebeszauber in Gebrauch. Als Diplomatenpflanze soll Eisenkraut Sympathie erzeugen. Wer Eisenkraut bei Prüfungen bei sich trägt, soll der Legende nach auch mit wenig Wissen gute Resultate erzielen. Da ich in der Eile der Pflanze selbst nicht mehr habhaft wurde, habe ich meinem Patenkind ein Foto davon mitgegeben, dass sie als Talisman im Ausschnitt ihres "Kleinen Schwarzen" verwahrte. Als mich ihr Vater später fragte, ob ich an so einen Hokuspokus tatsächlich glaube, antwortete ich nur: "Ob's hilft oder nicht kann ich nicht sagen, was ich aber mit Sicherheit weiß ist, dass sehr viel im Kopf beginnt..."
Wie das Eisenkaut zum Diplomatenkraut wurde…
Es war einmal, was einmal war, und wär‘ es nicht gewesen, würde es auch nicht erzählt:
Der Hansl war traurig. Alle hielten ihn für einen Tölpel und wo er hinkam wurde er ausgelacht. Dabei war er nicht dumm und auch ganz lieb anzusehen, mit seinem welligen braunen Haar, dass er eine Spur länger trug als die anderen Dorfburschen. Nein, sie verspotteten ihn, weil er einfach anders war als sie. Dabei war er von Geburt an dazu bestimmt, ein Glückskind zu sein, so wie es alle siebenten von sieben Kindern sind. Seine liebe Mutter hatte ihm gesagt, dass er darum auch auf den Namen Johann getauft worden war, weil alle Glückspilze Johann hießen. Darauf war er sehr stolz gewesen, aber auch dieser letzte Strohhalm war zerronnen. Gestern hatten ihm die schlimmen Kinder eröffnet, dass nicht nur Glückskinder Johann hießen, sondern auch alle Tölpel. Er ist daraufhin gleich zum Herrn Pfarrer gerannt, um ihn zu fragen, ob das auch stimmte. Aber auch der hohe Herr konnte ihm nur beklommen antworten, dass die Kinder die Wahrheit gesagt hatten. So saß er nun, wie so oft, auf der Bank beim oberen Marterl und klagte sein Leid dem Eisenkraut – Eisenbleamal – wie er es liebevoll nannte. Denn der Hansl hegte eine innige Liebe zu allen Pflanzen und Tieren, dabei hatte er das Eisenbleamal als seine beste Freundin besonders ins Herz geschlossen. Kennengelernt hatte er es durch den Vater, der droben in der Eisenhütten arbeitete. Er hatte ihm einmal erzählt, dass das zarte, unscheinbare Pflänzchen eine wichtige Zutat bei der Eisenherstellung sei und es sei diesem Kraut zu verdanken, dass das Eisen hier im Dorf noch härter und widerstandsfähiger war als die anderen Eisen rundherum. Die Zauberkräfte der kleinen Pflanze faszinierten den Hansl. Von dem Tag an kam er zu ihm, wann immer ihn etwas drückte. Ihm schüttete er sein Herz aus und es hörte ein jedes mal geduldig zu während es ihn aus sanften Blütenaugen verständnisvoll ansah.
„Ach Eisenbleamal, wär ich doch gescheit und angesehen. Überall lachen sie mich aus und keiner kennt mich wirklich. Meine sechs Geschwister sind beliebt und haben viele Freunde. Nur mich nehmen sie nirgends ernst. Schön langsam verdriest‘s mich!“
Eines Morgens, es musste wohl am Tag der Sommersonnenwende gewesen sein, preschten die Reiter des Königs durchs Dorf. Die Leute munkelten er wollte dem Landesfürsten die Rechte für die Eisengewinnung mitsamt dem Geheimrezept zur Eisenhärtung gewaltvoll wegnehmen. Alles war im Aufruhr, denn die Armee des Königs belagerte die Burg des Landesfürsten und man fürchtete einen Bürgerkrieg. Besorgt stieg der Hansl wieder zum Eisenbleamal hinauf und erzählte ihm von seinen Befürchtungen. Doch als er das Pflänzchen liebevoll umfassen wollte stand plötzlich, wie aus dem Nichts, ein wunderhübsches, zartes Mädchen vor ihm, das ein blassviolettes Blütenkleid trug. „Heute ist der Tag der Sommersonnenwende, wo alle Wünsche wahr werden! Denn heute sind alle Kanäle des Himmels und der Erde offen und auch die Naturwesen sind freundlich gesinnt. Wenn du was brauchst, so rufe die Wesen des Südens und des Nordens, des Ostens und des Westens. Rufe die vier Elemente, Feuer, Erde, Luft und Wasser an, die Sylphiden, Nymphen und Naturgeister. Danach vergiss aber nicht, dem Schöpfer für alles zu danken. Ach ja, und gib acht, was du dir wünscht, denn unachtsam ausgesprochene Wünsche könnten eine unvorhergesehene Wendung nehmen!“ „Oh Eisenbleamal“, sprach der Hansl ganz verzaubert.
„Ich danke dir tausendmal für deine Hilfe. So oft habe ich mir gewünscht, du könntest wahrhaft zu mir sprechen. Und sauber bist‘ Eisenbleamal! Sauberer als alle Madln, die ich bisher gesehen hab‘!“ Da trat ein blassroter Schimmer auf die zarten Wangen des elfenhaften Geschöpfs. „Die Zeit drängt, Hansl!“, erinnerte ihn das das Mädchen. „Geh zum Schloss und tu wie ich dir geheißen, so wirst du eine Lösung finden!“ Zum Abschied fielen sie sich um den Hals und drückten einander. „Ach wär sie doch ein richtiges Mädel aus Fleisch und Blut. Ich würd sie nicht mehr gehen lassen!“, dachte der Hansl traurig. „Ach wär ich doch ein richtiges Menschenkind!“, ging es auch dem Eisenkraut durch den Kopf. „Ich würd‘ ein Leben lang bei ihm bleiben!“
Während die Sonne an diesem Mittsommermorgen höher stieg, stieg auch der Hansl den steilen Weg zur Burg des Landesfürsten hoch. Er hatte bereits alle Naturgeister angerufen, nun bat er den Herrgott inbrünstig um Hilfe. „Hoffentlich komm‘ ich da wieder lebendig herunter“, bangte er. Recht weit kam er allerdings nicht, der Hansl, dann bald schon wurde er von den Wachen des Königs aufgegriffen. „Was willst du, Tölpel?“, schrien sie ihn an. „Bringt mich zum König. Ich weiß wie man die Situation ohne Blutvergießen lösen kann“. „Zum König?“, lachten ihn die Wachen aus. Da schritt plötzlich der Hohe Herr selbst vorbei. „Was will der Bursche?“, fragte er. „Majestät, bitte hört mich an. Ich glaube ich habe die Lösung für eine friedliche Einigung, die beiden Parteien zum Wohle gereicht“. Neugierig ließ er den Hansl sprechen. Dieser erzählte ihm von der Wunderpflanze Eisenkraut, die allein für die außergewöhnliche Härte des Stahls verantwortlich war. Der einfache Bursche fand plötzlich die richtigen Worte um dem Herrscher zu erklären, dass das Pflänzchen jedoch nur hier diese besonderen Kräfte entwickeln konnte und schlug dem König vor, die Eisenerzeugung im Dorf zu lassen. Wenn sich der König und der Landesfürst zusammentun würden und die Aufgaben teilten, so hätten beide etwas davon. „Der Landesfürst könnte hier weiterhin das Eisen herstellen lassen. Würden die Arbeitsschritte geteilt und das fertige Eisen dann zu euch geliefert, könntet ihr euch auf die Herstellung von Waffen und Gerätschaften spezialisieren, die dann wiederum der Landesfürst von euch erhält. Setzt ihr den Landesfürsten zusätzlich noch als ersten Minister ein, so wäre er auch persönlich an euch gebunden und die Zusammenarbeit müsste funktionieren.“
„Das sind höchst fortschrittliche Gedanken für so einen einfachen Burschen!“ antwortete der König nachdenklich. „Aber deine Idee gefällt mir und ich will es versuchen! Wachen, bringt einen Nachricht zum Landesfürsten, und sagt ihm ich will unverzüglich mit ihm sprechen – aber in friedlicher Absicht!“
Als sich der Hansl wieder ins Dorf hinunter aufmachte, suchte er noch kurz das Eisenkraut auf, um ihm von seinem Erfolg zu berichten. Als er jedoch auf das Bänklein blickte, saß da vor ihm wieder das wunderschöne Mädchen. „Hansl, Hansl, unsere Bitten wurden erhört! Ab jetzt bin ich ein Mädchen aus Fleisch und Blut und wir können für immer zusammen sein!“ Da nahm sie der Hansl in seine Arme und machte sie alsbald zu seiner Frau. Auch um die Zukunft mussten sich die beiden keine Sorgen mehr machen, denn der Hansl wurde vom König persönlich als Diplomat in dessen Dienste aufgenommen. Seit dieser Zeit trägt das Eisenkraut den Beinamen „Diplomatenkraut“ und es wird gemunkelt, dass es heute noch rund ums Parlament zu finden sein soll…


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