Barrierefreiheit in Tirol
Selbsteinschätzung der Tiroler Gemeinden

- Der Tiroler Monitoringausschuss konnte 2022 die Ergebnisse einer tirolweiten Gemeindebefragung veröffentlichen. Allen Gemeinden wurde die Umfrage zugeschickt.
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2022 wurden alle Tiroler Gemeinden nach ihrer Selbsteinschätzung bezüglich der Barrierefreiheit in der eigenen Gemeinde gefragt. Für den Tiroler Monitoringausschuss schafften die Ergebnisse der Befragung einen Überblick über die Situation in Tirol. Wie sich die Gemeinden selbst eingeschätzt haben, erfahrt ihr hier.
TIROL. Der Tiroler Monitoringausschuss konnte 2022 die Ergebnisse einer tirolweiten Gemeindebefragung veröffentlichen. Allen Gemeinden wurde die Umfrage zugeschickt. Nur fünf von insgesamt 279 Gemeinden verweigerten trotz mehrmaliger Bitte die Zusammenarbeit, dies entspricht einer Rücklaufquote von 98%. Zum Zeitpunkt der Befragung gab es noch 279 Gemeinden in Tirol. Die Reaktionen auf die Umfrage reichten von äußerst positiv und bemühten Rückmeldungen, bis hin zu absolutem Desinteresse und Unverständnis, warum Gemeinden daran teilnehmen sollen.
Keine verifizierbare, objektive Aussage
In der öffentlich einsehbaren Darstellung der Ergebnisse der Befragung, betonte der Tiroler Monitoringausschuss allerdings, dass die Umfrageergebnisse auf einer Selbsteinschätzung der befragten Gemeinden basieren. So haben die Ergebnisse keine verifizierbare, objektive Aussagekraft. Dabei wurden nicht immer alle Fragen beantwortet, was bei den Ergebnissen zu sehen ist.
"Unsere Erfahrung aus der Praxis zeigen, dass zur Umsetzung von Barrierefreiheit oft unzureichende Kenntnisse bestehen, sodass zwar Barrierefreiheit angedacht, aber nicht korrekt ausgeführt wird (z.B. Rampe mit einer Stufe am Ende; barrierefreier Veranstaltungssaal ohne barrierefreie Toilette; Blindenleitsysteme die im Nichts enden)."
Barrierefreiheit innerhalb der Gemeinde
Als Erstes wurden die Gemeinden zu ihrer Selbsteinschätzung in Bezug auf Barrierefreiheit im Allgemeinen befragt. Diese führte zum Ergebnis, dass sich nur zehn der teilnehmenden Gemeinden als umfassend barrierefrei bezeichneten und vier Gemeinden das absolute Gegenteil angab. Anzumerken ist hier, dass sich über 90% in der oberen Hälfte sehen.

- Selbsteinschätzung der Gemeinden in Bezug auf Barrierefreiheit.
- Foto: Screenshot: Gemeindenbefragung
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Als Nächstes wurden die Gemeinden zu der Thematik "Barrierefreiheit im öffentlichen Leben" befragt. Die Erhebung zeigte, dass sich die teilnehmenden Gemeinden in diesem Bereich sehr barrierefrei einschätzen. Sie gaben an, dass ein hoher Prozentsatz an öffentlichen Gebäuden bereits barrierefrei ist. Ob diese Einschätzung der Realität entspricht, konnte nicht überprüft und müsste, laut dem Monitoringausschuss, aufgrund der Erfahrungen leider infrage gestellt werden.
Als am ehesten barrierefrei zugänglich, gaben die Gemeinden Banken (94,05%), Apotheken (93,88%) und Arztpraxen (93,13%) an. Am wenigsten zugänglich wären, laut der Befragung, Kirchen (27,62%) und Gastronomie, die in Besitz der Gemeinde steht (26,60%).
Auf die Frage, ob und welche Projekte zum Thema Barrierefreiheit geplant sind, antworteten über 60 %, dass in Zukunft keine Projekte geplant seien. Einige Gemeinden nannten Projekte wie den Umbau von Kirchenzugängen, die barrierefreie Planung eines neuen Bildungscampus und die Adaptierung von Gemeindeämtern, Kindergärten und Volksschulen im Sinne der Barrierefreiheit. Außerdem wurde die Schaffung von weiteren Behindertenparkplätzen und die Verbesserung von Straßenübergängen, Pflasterung und Beschilderung bei einer Gemeinde genannt. Die Errichtung barrierefreier Sanitäranlagen, sowie die Errichtung von Blindenleitsystemen stehen im Vordergrund. Über 40 % der teilnehmenden Gemeinden gaben zu hohe Kosten als Grund für fehlende Maßnahmen zur barrierefreien Adaptierung an.
Wie sieht es mit der Teilhabe am öffentlichen Leben aus?
Auf die Frage, welche Unterstützungsleistungen die Gemeinden anbieten, wurde folgendermaßen geantwortet:

- Angebot an Unterstützungsleistungen (257 von 279 Gemeinden)
- Foto: Screenshot: Gemeindenbefragung
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Hier deutlich zu sehen: Gebärdensprach-Dolmetscherinnen und -Dolmetscher sind in den meisten Gemeinden eine Rarität. Am meisten gibt es laut eigener Aussage der Gemeinden barrierefreihe Wahllokale und die Möglichkeit zur Schulassistenz.
Im Bereich der öffentlichen Verkehrsanbindung gaben die Gemeinden an, dass rund dreiviertel - laut ihrer Angabe - barrierefrei erreichbar seien. Haben Menschen mit Behinderungen einmal die Gemeinden erreicht, kommt es allerdings zu Barrieren durch die Gestaltung des öffentlichen Raums. Kaum bis gar nicht sind Straßenübergänge mit taktilen Leitsystemen oder akustischen Signalen versehen. Einige Gemeinden nannten die Erweiterung/Errichtung von Leitsystemen und die Einführung von Brailleschrift als Priorität.
Das Problem ist, dass bei Planungen umfassende Barrierefreiheit meist nicht berücksichtigt wird. Mag ein Spazierweg auch barrierefrei für Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer nutzbar sein, heißt das nicht zugleich, dass eine blinde oder sehbehinderte Person den Weg barrierefrei nutzen kann. Grundsätzlich gibt es kaum Freizeitangebote für blinde und sehbehinderte Personen.
Thema Wohnraum und Schulbereich
Etwas unter 50% der teilnehmenden Gemeinden gaben an, dass es barrierefreien, gemeindeunterstützten Wohnraum, welcher vor allem für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ausgerichtet ist, gibt. Für Menschen mit Lernschwächen, Seh-und Hörbeeinträchtigungen gibt es ein deutlich geringeres Angebot. Tatsächlich gehen Schätzungen aber davon aus, dass in Österreich nur 4-5 % des Wohnraums barrierefrei ist.
Knapp drei Viertel aller Gemeinden sagten aus, dass das Angebot an barrierefreien Wohnangeboten ausreichend sei und kein Bedarf zur weiteren Errichtung besteht. Die Gemeinden meldeten, dass barrierefreier, gemeindeunterstützter Wohnraum zu 90 % nicht nur an Menschen mit Behinderungen vergeben wird, Menschen mit Behinderungen aber in über 60 % der teilnehmenden Gemeinden bevorzugt werden. Zudem gab ein Drittel aller Gemeinden an, Unterstützungen bei der Bewerbung für eine Gemeindewohnung anzubieten.
Fast alle Gemeinden verfügen über verschiedene Bildungseinrichtungen. Vor allem in Bildungseinrichtungen ist die Verfügbarkeit von Unterstützungsleistungen besonders relevant. Über die Hälfte der teilnehmenden Gemeinden gab an, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf die Schule besuchen. Trotzdem ist es essenziell, Schulen barrierefrei zu gestalten und über entsprechende Unterstützungsleistungen zu verfügen, da sich die Notwendigkeit jederzeit ändern könnte. Außerdem ist zu bedenken, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch deren Eltern, oder eine Lehrperson eine Behinderung haben können.

- Angebot an Unterstützungsleistungen in Bildungseinrichtungen (252 von 279 Gemeinden)
- Foto: Screenshot: Gemeindenbefragung
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Digitale Barrierefreiheit, Politik und Arbeitsmarkt
Nicht alle sind mit diesem Begriff vertraut und können sich etwas darunter vorstellen. Daher ist es wichtig, diesen Begriff eingangs zu erläutern: Digitale Barrieren schließen viele Menschen aus: Menschen mit Behinderung, ältere Menschen und viele andere. Beispielsweise verwenden blinde Menschen bzw. Menschen mit Sehbeeinträchtigungen Programme (sogenannte Screen Reader), die ihnen Webseiten-Texte vorlesen. Diese Texte müssen aber so aufbereitet und in die Webseiten eingepflegt werden, dass die Programme Zugriff auf die Informationen haben.
Die Umfrage ergab, dass sich bereits rund 90 % aller teilnehmenden Gemeinden mit dem Begriff „Digitale Barrierefreiheit“ auseinandergesetzt haben und sich darunter etwas vorstellen können. Die Umsetzung weist aber noch einige notwendige Verbesserungen auf. Wie bereits erwähnt, müssen Informationen für alle Menschen zugänglich sein. Texte in leichter Sprache ermöglichen einem Teil der Bevölkerung gerade diesen Informationszugang. Zum heutigen Zeitpunkt haben unter 50 % der teilnehmenden Gemeinden Texte in leichter/vereinfachter Sprache. Eine Aufbereitung von Texten für die Kompatibilität mit Screen Readern ist nach eigenen Angaben bei knapp 60 % aller teilnehmenden Gemeinden vorhanden. Verbesserungen in diesem Bereich sind stetig auszubauen, um Informationen für alle zugänglich zu machen.

- Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit – Personenkreis (246 von 279 Gemeinden)
- Foto: Screenshot: Gemeindenbefragung
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Wie bereits erwähnt, wurde angegeben, dass über 85 % aller Wahllokale barrierefrei zugänglich sind. Zudem bieten 90% der Gemeinden mobile Wahllokale und verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten an. Für Menschen mit Lernschwäche werden deutlich weniger Unterstützungsleistungen angeboten (rund 60 %). Wesentlich wäre auch, den Zugang zu politischer Beteiligung zu erweitern und Menschen mit Behinderungen auch innerhalb der Politik eine Stimme zu geben und sie aktiv in Entscheidungsprozesse einzubinden.
Zudem ist die Prozentanzahl von Menschen mit Behinderungen in den Gemeinderäten gering. Nur rund 10 % aller teilnehmenden Gemeinden gaben an, Menschen mit Behinderungen in ihren Gemeinderäten zu haben. Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Politik kann auch in Form einer Zusammenarbeit mit Selbstvertretungsorganisationen geschehen. Diese Form der Teilnahme wird nur von knapp einem Viertel aller Gemeinden wahrgenommen.
Zur Sicherstellung der Chancen am Arbeitsmarkt bietet das Gesetz einen Rahmen für die Einstellung von Menschen mit Behinderungen. Dieses schreibt eine verpflichtende Einstellungsquote von Menschen mit Behinderungen vor. Im Detail bedeutet dies, dass pro 25 Bediensteten 1 Person mit einer Behinderung eingestellt werden muss. Erfüllt eine Gemeinde dies nicht, muss sie eine Ausgleichszahlung leisten. Etwas über 50 % der teilnehmenden Gemeinden gaben an, die Einstellungsquote zu erfüllen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es auch Gemeinden gibt, welche nicht über 25 Bedienstete verfügen und das Ergebnis der Umfrage daher verfälscht ist.
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