Martinsbühel
Abschlussbericht: Nichts vertuschen oder verharmlosen

Kinderheim Martinsbühel: Die Schilderungen in den durchgeführten Interviews würden zeigen, dass die Ordensangehörigen von den schutzbefohlenen Kindern stets Gehorsam, Demut, Fleiß und Frömmigkeit verlangt hatten.  | Foto: Pixabay/Counselling (Symbolbild)
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  • Kinderheim Martinsbühel: Die Schilderungen in den durchgeführten Interviews würden zeigen, dass die Ordensangehörigen von den schutzbefohlenen Kindern stets Gehorsam, Demut, Fleiß und Frömmigkeit verlangt hatten.
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Nach zwei Jahren liegt nun der Abschlussbericht der Dreierkommission Martinsbühel vor. Die wissenschaftliche Aufarbeitung zeigt strukturelle, physische, psychische und sexualisierte Gewalt in den damaligen Kinderheimen auf. Letztendlich ist die Diözese und das Land einig: Es darf nichts vertuscht und verharmlost werden.

TIROL. Der Abschlussbericht "Demut lernen. Kindheit in konfessionellen Kinderheimen in Tirol nach 1945" wurde zwei Jahre lang erarbeitet. Verfasst wurde der Bericht im Auftrag der so genannten „Dreierkommission Martinsbühel“, die im Jahr 2019 vom Land Tirol, der Diözese Innsbruck sowie den VertreterInnen der Ordensgemeinschaften eingesetzt wurde. Die Aufarbeitung, vor allem bezogen auf die strukturellen Hintergründe, stand im Vordergrund. 

Untersuchung weiterer Einrichtungen

„Im Zuge der Aufarbeitung wurde festgestellt, dass Bedarf für eine Untersuchung weiterer Einrichtungen besteht. Aus diesem Grund haben wir das Forschungsprojekt auf weitere kirchliche Heime in Tirol nach 1945 ausgeweitet“,

erinnert die Vorsitzende der Dreierkommission, Margret Aull. Konkret wurden die Heime Martinsbühel, Scharnitz, das Josefinum/Volders, die Bubenburg/Fügen, St. Josef/Mils, Thurnfeld/Hall und das Elisabethinum/Axams untersucht.

Interview mit 75 Personen

75 Personen konnten zu ihrer Kindheit oder ihrer Tätigkeit in den Einrichtungen interviewt werden. Zudem wurde im Herbst 2020 ein Lokalaugenschein in Martinsbühel vorgenommen. 
Nicht zuletzt wurde von der Wissenschaft auch das relevante Archivmaterial erhoben. Dieses war jedoch nur fragmentarisch vorhanden: Skartierungen in früheren Jahrzehnten und der unklare Verbleib von unterschiedlichen Aktenbeständen beschränkten die Forschungsmöglichkeiten. Zudem war die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Mutterkloster der Benediktinerinnen von Scharnitz sehr schwierig. Abgesehen davon könne laut wissenschaftlicher Leitung aber von einer konstruktiven Zusammenarbeit mit allen – kirchlichen wie öffentlichen – Stellen berichtet werden.

Die Missbrauchsfälle in Martinsbühel verlangten eine endgültige Aufklärung. Im jetzigen Abschlussbericht der Dreierkommission kommen so einige Erkenntnisse zutage.  | Foto: Pixabay/Counselling (Symbolbild)
  • Die Missbrauchsfälle in Martinsbühel verlangten eine endgültige Aufklärung. Im jetzigen Abschlussbericht der Dreierkommission kommen so einige Erkenntnisse zutage.
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Die Erkenntnisse der Nachforschungen?

„Es wird aufgezeigt, dass die Strukturen in den Heimen verschränkt mit den strukturellen Bedingungen von außen – dem Land, der Kirche –, aber auch der Interaktion von Ordensschwestern und deren Übergeordneten Auswirkungen auf die Heimkinder hatten“,

hält Kommissionsvorsitzende Aull fest. Die Schilderungen in den durchgeführten Interviews würden zeigen, dass die Ordensangehörigen von den schutzbefohlenen Kindern stets Gehorsam, Demut, Fleiß und Frömmigkeit verlangt hatten. Weder die fehlende erzieherische Ausbildung der damaligen Ordensfrauen, noch die Gruppengröße – in Martinsbühel musste etwa eine Schwester in den 1970er-Jahren bis zu 50 Mädchen betreuen – war für die Kinder und deren Bedürfnisse förderlich.

„Die Schilderungen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner machten uns deutlich, dass eine angstbehaftete und gewaltgeprägte Atmosphäre vorherrschte“,

so Aull.

Alle möglichen Arten von Gewalt

Die Befragten erzählten neben der strukturellen Gewalt auch von psychischer (beispielsweise das Einreden von Schuldgefühlen, etc.) sowie physischer Gewalt (beispielsweise Ohrfeigen, Schläge, etc.). Ebenfalls wurde sexualisierte Gewalt erwähnt. 

„Da sexualisierte Gewalt verschiedene Formen betrifft und sich auf weit mehr Formen als eine Vergewaltigung bezieht, verstanden manche ehemalige Heimkinder erst im Nachhinein, dass sie sexualisierte Übergriffe erfahren hatten“,

zeigt Kommissionsvorsitzende Aull auf.

Betroffene berichteten, dass die damalige Jugendfürsorge des Landes und auch die jeweiligen Schulbehörden nicht oder zumindest zu wenig genau hinschauten.

Was lernt man aus den Vorfällen?

Mit dem Abschlussbericht sind sich die Diözese Innsbruck und das Land Tirol einig, dass nichts vertuscht und verharmlost werden darf. Das Gegenteil soll der Fall sein. 

„Die teils erschütternden Berichte zeigen pädagogisches Totalversagen – das gilt für kirchliche und staatliche Einrichtungen. Die Umstände, die dazu geführt haben, werden teilweise im Forschungsbericht dargelegt. Wichtig ist es, dem geschehenen Unrecht die nötige Aufmerksamkeit zu geben.“,

so Bischof Hermann Glettler.

Tirols Soziallandesrätin Eva Pawlata zur Thematik:

"Wir müssen alles dafür tun, dass solche Geschehnisse nie wieder vorkommen. Dazu müssen wir das Thema Gewalt, auch strukturelle Gewalt, noch deutlicher ins Bewusstsein holen und dafür sensibilisieren – und das Tag für Tag.“

HIER geht es zum gesamten Abschlussbericht "Demut lernen".

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