Landesgericht Krems
„Die Rettung kam in letzter Sekunde, wenig später wäre der Bub gestorben“
Angespannte und gedrückte Stimmung auch am zweiten Verhandlungstag im Schwurgerichtssaal des Kremser Landesgerichts, ob der grausamen Details des gepeinigten Buben aus dem Waldviertel.
NÖ BEZIRK. Schuldeingeständnis wieder abgeschwächt: Die Befragung der Zweitangeklagten, die der Mutter Anweisungen zu den schweren Misshandlungen des 12-Jährigen gegeben haben soll, begann mit einer Überraschung. Zuerst bekannte sie sich entgegen der Ankündigung ihres Anwalts für schuldig, um dies jedoch gleich wieder abzuschwächen.
Ausmaß nicht mitbekommen
Sie habe zwar der Mutter gesagt, sie solle dem Buben kaltes Wasser über die Füße gießen, auch habe sie gewusst, dass der Bub geschlagen und in die Hundebox gesperrt werde, allerdings habe sie das Ausmaß der Quälereien nicht mitbekommen, diese seien aus dem Ruder gelaufen.
Keine Gefühlsregung
Beim neuerlichen Abspielen mehrerer der Videos, die die Zweitangeklagte von der Mutter übermittelt bekam und den abgemagerten Buben wimmernd und kauernd auf dem Boden zeigen, kam von den beiden Frauen auf der Anklagebank kaum eine Gefühlsregung und wenn, dann von der Mitangeklagten, nicht von der Kindesmutter.
Medizinisches Gutachten
Wesentlichen Raum nahmen die Aussagen des medizinischen Sachverständigen ein, um die Anklage wegen versuchten Mordes gegen die Mutter zu untermauern. Der Arzt untersuchte den Buben im SMZ-Ost nach seiner Einlieferung auf die Intensivstation.
Unterkühlung der Kategorie 3
„Das Kind befand sich in einem tief bewusstlosen Zustand und wurde künstlich beatmet. Hände und Füße waren bläulich gefärbt mit kleinen schwarzen Punkten, ein klares Zeichen für Erfrierungen und eine massive Unterkühlung der Kategorie 3, Kategorie 4 ist tödlich.“
Knapp überlebt
Die Körpertemperatur des Buben betrug bei der Einlieferung nur 26,5 Grad. Außerdem wies der 12-Jährige viele Hämatome, verkrustete und eitrige Wunden auf. Zudem hatte das Kind innerhalb weniger Monate 20 Kilo an Gewicht verloren, wog bei einer Größe von 1,60 Meter nur noch 40 Kilo. „Der Bub hat nur knapp überlebt, ein paar Stunden später wäre er tot gewesen“, sagte der Mediziner. Heute ist der Bub laut dem Gutachter körperlich wieder gesund und hat sein Ursprungsgewicht wieder erreicht. Er wird kinderpsychiatrisch betreut. Er habe jedoch eine posttraumatische Belastungsstörung, da täglich starke körperliche wie auch psychische Schmerzen erleiden musste.
Toxische Beziehung
Auch die zuerst innige, später aber toxische Beziehung zwischen den beiden Beschuldigten, wurde beleuchtet. Immerhin hatten sie während der Corona-Zeit zusammen im Haushalt der Zweitangeklagten gelebt. Dann verkaufte die 33-Jährige ihr Reihenhaus, zog mit ihrem Sohn in eine Wohnung.
Geld ging an Freundin
Der Erlös des Hausverkaufs ging jedoch direkt an die Zweitangeklagte. Auf Nachfrage erklärte die 33-Jährige, die Freundin habe ihr gesagt, dass ihr Konto gehackt werde und man ihr Falschgeld auszahlen werde. Bei ihr sei es sicher, sie gebe es einem ominösen Dritten zur Verwahrung.
Plötzlich verschwunden
Kurz darauf war das Geld verschwunden und die 40-jährige Zweitangeklagte erzählte der Kindesmutter, dass beim ominösen Dritten eingebrochen und das Geld gestohlen worden wäre. Daraufhin lieh sich die 33-Jährige mehrmals Geld von ihrem Vater. Auch dies ging großteils an die Freundin. Diese versprach im Gegenzug, für sie einzukaufen.
Kaum noch Mittel
Weshalb sie diese abstrusen Geldgeschäfte akzeptierte, konnte die Erstangeklagte nicht beantworten. Sie sei abhängig von der Freundin gewesen, habe sie zu allem um Rat gefragt und ihr auch ihre Kontoauszüge geschickt. Sie habe kaum noch Bargeld für alltägliches zur Verfügung gehabt.
Völlig teilnahmslos
Jene Sozialarbeiterin, die nach einem Anruf der mutmaßlichen Komplizin am 22. November mit dieser zur Wohnung der Kindesmutter fuhr und letztlich dafür gesorgt hatte, dass diese nach mehreren Aufforderungen endlich die Rettungskräfte verständigte, sagte, „dass die 33-Jährige an diesem Abend einen sehr verwirrten Eindruck auf sie hinterlassen habe. Sie wirkte völlig teilnahmslos. Ich glaube nicht, dass sie die Realität wahrnahm.“ Bei früheren Besuchen habe sie den Gewichtsverlust des Kindes angesprochen, die Mutter habe gesagt, sie finde das nicht so schlimm. Zu einer auffallenden Beule am Kopf des Buben sei ihr geantwortet worden, er sei am Vortag gestürzt.
Schon gefrühstückt
Auch eine Lehrkraft der Sonderschule, die der Bub besuchte, wurde zu Wahrnehmungen über den Gesundheitszustand und die wochenlangen Fehlzeiten des Schülers befragt. Diese gab an, bei einer Unterredung und der Frage nach seiner Ernährung, habe der Bub geantwortet, „dass er schon gefrühstückt habe“. Ein Angebot der Schule für Nachmittagsbetreuung habe die Mutter abgelehnt.
Bei Nachbarn geläutet
Sie habe auch Kenntnis davon, dass der Bub einmal abends bei Nachbarn geläutet hätte und dort schlafen wollte. Die Nachbarn hätten die Polizei verständigt. Die Beamten hätten den 12-Jährigen wieder zurück zur Mutter gebracht.
Zehn Weckerl
Als der Schüler einmal zehn Weckerl auf einmal kaufen wollte und zudem das Jausenbrot eines Mitschülers verzehrt habe, hätten die Alarmglocken geschrillt und „das Hauptproblem des Hungers wurde uns bewusst“.
Gefährdungsmeldung
Als die Mutter kurz darauf mitteilte, dass ihr Sohn die Schule verlassen wolle, habe man am 25. Oktober „eine Gefährdungsmeldung abgesetzt und die Kinder- und Jugendhilfe informiert“. Ihres Wissen nach hätte das Spital später eine zweite Gefährdungsmeldung abgesetzt. Bereits einige Zeit vorher hätten Ärzte des regionalen Spitals die Mutter dringend aufgefordert, den Buben stationär aufnehmen zu lassen. Das hätte die 33-Jährige jedoch ignoriert.
Nachschau
Am 28. Oktober suchten zwei Mitarbeiter der Behörde Mutter und Sohn auf. Der Bub hatte Verletzungen an den Armen und antwortete nur einsilbig. Vier-Augen-Gespräch mit dem Buben gab es keines. Die Abmagerung des 12-Jährigen sei nicht besorgniserregend gewesen. Bei einem weiteren Besuch am 18. November, vier Tage bevor das Kind in die Intensivstation eingeliefert wurde, sahen die Mitarbeiter keine Gefahr im Verzug.
Lebenslang und 15 Jahre
Am Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt. Der Kindesmutter droht bei einer Verurteilung lebenslange Haft, der Zweitangeklagten bis zu 15 Jahre, beiden auch eine Einweisung in eine forensisch-therapeutische Anstalt.
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