Mauro Mittendrin
Clemens Unterreiner: "Ich war als Kind blind!"
Starbariton Clemens Unterreiner übernimmt ab 1. September 2023 die künstlerische Leitung des renommierten Opernfestivals im Kamptal. Im nächsten Jahr feiern die traditionsreichen Opernfestspiele in der Babenberger Burg Gars am Kamp ihren 35. Geburtstag – damit beginnt gleichzeitig eine neue Ära für das Opernhaus des Waldviertels: Bariton und Publikumsliebling Clemens Unterreiner übernimmt im Herbst die Intendanz der OPER BURG GARS.
WIEN. Eine Tasse Kaffee in Gesellschaft von Clemens Unterreiner, Starbariton der Wiener Staatsoper. Wer Clemens Unterreiner ist, erfahren wir in einem sehr persönlichen Gespräch.
Mauro Mittendrin: Wer ist Clemens Unterreiner?
Clemens Unterreiner: Ich bin der Clemens Unterreiner. Ein echter Wiener. Geboren in Wien, aufgewachsen in Wien. Und was vor allem ganz wichtig ist, ich war immer schon ein begeisterter Stehplatzler. Das ist eine absolute Wiener Institution, der Stehplatz an der Wiener Staatsoper. Da habe ich mich schon als Kind und Jugendlicher und während der Schulzeit und Studienzeit angestellt. Für meine größten Stars und Vorbilder. Ob das jetzt für Domingo und Mirella Freni, Luciano Pavarotti, Josè Carreras war. Ich habe mir damals für fünfzehen Schillinge eine Karte gekauft. Ich war mindestens drei, vier Mal die Woche in der Staatsoper.
Ich war fünf Jahre alt und war in Kroatien, damals noch Jugoslawien, auf Urlaub. Eines Morgens bin ich aufgewacht und war blind. Klingt dramatisch, ist aber so. Es war eine sehr seltene, sehr aggressive Erkrankung. Ich war also ein blindes Kind. Meine Eltern haben nicht gewusst, wie es weitergeht. Ich konnte das damals nicht so abschätzen. Aber sie haben alles in Ihrer Macht stehende getan, um mich irgendwie wieder in die Normalität des Lebens zu führen.
Die Schulmedizin hat mich aufgegeben. Man sagte: Ich bleibe blind. Keine Chance. Wir haben aber alles Mögliche unternommen, was es damals nur gab. Es war eben auch Alternativmedizin. Im Mittelalter wären meine Eltern auf den Scheiterhaufen geworfen worden, wegen Hexerei oder was weiß ich was. Aber damals in den 70er Jahren haben wir experimentiert, ob das jetzt Akupunktur war oder Ernährungsumstellung war, also einfach auch nicht schulmedizinische Dinge. Meine Eltern haben gekämpft, damit ich wenigstens halb blind werde. Langsam habe ich dann nach einem Jahr wieder angefangen zu sehen, sodass ich überhaupt in der Schule aufgenommen wurde. Ich war damals der erste blinde Volksschüler, der in eine normale Schule gekommen ist. Das war auch nur denkbar aufgrund der Unterstützung des Direktors vom Akademischen Gymnasium und meiner Eltern. Sie haben sehr dafür gekämpft. Ich bin dann sogar als Sehbehinderter ins Gymnasium gekommen.
Aber du bist auch Autor?
Das ist ja das Lustige. Ich habe sogar, bevor ich meine ersten CDs rausgebracht habe, mein erstes Buch geschrieben. Damit wollte ich eben zeigen, mein ganzer Weg der Karriere ist ein sehr ungewöhnlicher Weg: vom blinden Kind zum Solisten der Wiener Staatsoper und von einem, der nie gelesen hat. Weil das einerseits zuerst nicht möglich war und zweitens dann eine Folter war, weil Lesen zu anstrengend für meine Augen war.
Daher war ich ein schlechter Schüler und hatte eine schwere Schulzeit. Das war alles sehr, sehr schwierig. Aber ich dachte mir, das ist eigentlich eine tolle Sache, wieder etwas zu überwinden. Also schriebe ich ein Buch. Eigentlich diktierte ich es, das war ganz wichtig. Ich habe jemanden gehabt, der den Text in den Computer getippt hat.
Ich habe alles in fast eineinhalb Jahren mühsamer Arbeit diktiert, korrigiert, habe mir dann noch einmal die Auszüge angehört, noch einmal umgestellt. Das habe ich alles selber gemacht. Der Verlag hat mich unterstützt, das war eine tolle Hilfe. Man kannte mich ja nur als Star-Sänger und Charity-Gentleman und als Society-Mitglied. Die Karriere vom blinden Kind zum Solisten der Wiener Staatsoper kannte bis dahin niemand. Der Verlag motivierte mich und sagte: So etwas gibt es nur einmal! Mach ein Buch!
Aber – und das wissen auch. nur Wenige – ich habe auch Songs komponiert, und zwar in einem anderen Genre, für Freunde von mir. Ich hatte Lust etwas in der Unterhaltungsmusik auszuprobieren. Ich habe auch begonnen, Musik für Menschen in Not zu machen. Freunde arbeiten dafür gerne gratis für mich, weil sie wissen, ihre Gage geht wirklich an Menschen in Not. Dafür brauche ich keine Werbung. Ich habe noch nie ein Engagement woanders bekommen, nur weil ich Charity mache.
Du hast also auch eine Charity-Organisation für Menschen in Not gegründet?
Ich brauche die Charity nicht, um Karriere zu machen. Ich bin sehr dankbar, dass ich eine Karriere habe. Das habe ich mir schwer aufgebaut und ich nutze meine Karriere, um Gutes zu tun, und nicht, um mich selbst weiter zu bringen. Das läuft sehr gut und ich bin dafür sehr dankbar. Es ist ein kleiner Verein, der klein bleiben soll, weil sonst mehr Aufwand entsteht. Das will ich nicht. Bei uns arbeiten alle ehrenamtlich und das soll auch so bleiben.
Aber ich wollte immer Opernsänger werden und habe als Kind zu Hause mit Leintüchern einen Vorhang gebastelt, habe den Vorhang geöffnet und dann Verbeugen geübt. Irgendwann habe ich meinen Eltern mitgeteilt, dass ich Musik studieren will.
Wie war es, als du deine Karriere begonnen hast?
Ich hätte gerne mit Don Giovanni begonnen, das war es aber nicht. Es hieß: Mach zuerst einmal Kinderoper. Da sagte ich mir, ich werde ihnen zeigen, wie gut ich in der Kinderoper bin. Dann habe ich vor Herrn Holender auf der großen Bühne vorgesungen. Er sagte: "Du hast Potenzial, du hast Talent. " Das hatten andere bis dahin nicht so gesehen. er sagte: "Ich gebe dir die Chance, und das war toll. Er hat sich wirklich ausgekannt mit großen Stimmen, hat ja viele großen Stars weltweit entdeckt und hat mir die Chance gegeben, mich von ganz unten hinaufzuarbeiten.
Es gibt keine großen und kleinen Partien, es gibt kurze Partien und lange Partien und ich habe mit der kürzesten Partie begonnen, nämlich nur Klopstock. Ich mache aus Wenig viel, mit Fleiß, mit Fantasie, mit Feuer, mit Leidenschaft. Das war immer meine Spezialität, auch Leute zu überzeugen. Das dauert oft länger, und ich habe keine Blitzkarriere hingelegt und war nicht gleich der Superstar, sondern Schritt für Schritt. Langsam, aber dafür beständig. Jetzt bin ich schon 20 Jahre im Geschäft.
Welche Tipp für junge Sängerinnen und Sänger hast du?
Lasst euch eure Träume nicht zerstören! Glaubt an eure Träume, glaubt an euch selber, an diese Kraft, an diese kreative, künstlerische Kraft, die in euch wohnt. Lasst euch das nicht verderben und verbiegen. Probiert es zumindest, weil wenn ihr es nicht probiert habt, dann werdet ihr euch immer, egal was ihr danach macht, immer sagen: "Hätte ich das doch damals versucht", und dann wird man nicht so glücklich sein, wie wenn man es zumindest versucht. Man kann scheitern, aber man kann mit Würde scheitern, und mit Stolz sagen: "Ich habe es probiert". Macht es gegen alle Widerstände der Familie, der Gesellschaft, der Professoren, der Opernhäuser, der Agenten. Geht euren Weg, probiert das, seid fleißig, seid mutig!
Danke, Clemens!
Clemens Unterreiner
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.