Die Macht der Bilder
Wenn wir einen Schatz vertrauter Bilder teilen, bewohnen wir ein Stück gemeinsamer Realität.
Daran ändern Auffassungsunterschiede nichts. Anders ausgedrückt: Können wir uns über Bilder verständigen, haben wir fundierte Wege zu einander.
Der bosnische Maler Radenko Milak zeigte beim heurigen Gleisdorfer Kunstsymposion eine Auswahl aus seinem Werk „365“, kuratiert von Mirjana Peitler-Selakov. Nun sorgte die Arbeit in ihrer großen Ausführung für Aufsehen in der Kunsthalle Darmstadt.
Im Verlag Buchhandlung Walther Koenig ist mittlerweile das Buch zu diesem künstlerischen Kraftakt erschienen. Milak hat jeden Tag eines Jahres mit einem historischen Datum belegt. Dazu schuf er für jedes Ereignis ein Aquarell. So entstand ein Bogen von 365 Werken zu geschichtsträchtigen Momenten.
Das üppige Bilderbuch, um einige Begleittexte ergänzt, eignet sich vorzüglich für eine Art Meditation über das radikale Jahrhundert das hinter uns liegt. Milkas Durchforsten unserer Geschichtsschreibung und der Bestände mächtiger Bilder, die teils wie Ikonen Wirkung ihre Wirkung entfalteten und dabei Rang gewannen, bietet uns mehrere Reflexionsebenen an.
Ich erinnere mich an manche der Bilder, die mich in meinen Kinder- und Jugendtagen beeindruckt haben. Ich blicke von heute aus anders auf diese Motive und weiß mehr über ihre historischen Zusammenhänge. Ich bin aber auch mit jener Medienmaschine konfrontiert, die solche Bilder stanzt. Und ich finde hier genau das, die Macht eines gigantischen Medienapparates, an der individuellen Leistung des Malers Milak gebrochen.
Aquarelle, so verriet er mir, sind eine wesentlich kraftraubendere Arbeit als andere Kunsttechniken. Sie verlangen ihm ein hohes Maß an Konzentration ab. Da ist aber auch die Mühe der Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte in Zeiten, wo Wissenserwerb meist als lästige Mühe und nicht als Geschenk betrachtet wird.
Milak hat seine Reflexion des Weltgeschehens nicht auf das 20. Jahrhundert beschränkt, bringt aber dennoch hauptsächlich diese Epoche zum Klingen, da Imperien versanken, teils durch Revolutionen, teils durch Kriege weggefegt wurden. Da gab es noch Königsmorde und es wurde das Weltall erreicht. Staaten erfuhren ihre Gründung, andere verlöschten.
Stets waren wir alle in diese Vorgänge irgendwie eingebunden. Die Bilder, an denen sich Milak abgearbeitet hat, erreichten uns so oder so, sei es via Zeitungen, per TV oder in Wochenschauen, wie sie einst im Kino den Spielfilmen vorangingen.
Immer wollten uns Vermittler von Kolportage, Gerüchten und Geschwätz, aber auch von Informationen und Schlußfolgerungen mit ihren Deutungen erreichen. Milak antwortet mit seiner großen Arbeit, den 365 Aquarellen, und dem üppigen Buch auf diese Anmaßung konsumorientierter Deutungseliten. Der einzelne Künstler beansprucht etwas von dieser Dedeutungshoheit und regt uns an, es ihm gleichzutun.
Wir kennen fast alle der Bilder, wir sollten auch individuelle Vorstellungen davon haben, was sie bedeuten.
Radenko Milak: 365 - DARMSTADT, KUNSTHALLE - Katalog.
Darmstadt 2014/15. Vorw. von León Krempel. Beitr. von Jonathan Blackwood & Branislav Dimitrijevic. 400 S. mit 370 farb. Abb., brosch. - Mit einem Textbooklet - Text in dt. & engl. Sprache
+) Milak in Gleisdorf: [link]
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