Letzter Tag im Amt
Mit 1. Jänner kam das Aus für die Bürgermeister in den Fusionsgemeinden. „Brotlos“ sind die ehemaligen Ortschefs von Gratwein-Straßengel nicht, sie verdienen ihren Lebensunterhalt in zivilen Berufen, die WOCHE fragte nach.
Da hilft auch ein Lächeln für die Kamera nichts. Die Strapazen der letzten Monate sind Max Höfer, Harald Mulle, Gerald Murlasits und Wolfgang Lagger anzusehen. Auch wenn nicht alle Ortschefs mit der Fusionierung einverstanden sind, ihre Aufgaben als Bürgermeister haben sie erfüllt. In monatelanger Vorarbeit wurden die EDV-Systeme der nunmehrigen vier Ortsteil-Gemeinden Gschnaidt, Eisbach, Judendorf und Gratwein vereinheitlicht, Raumplanung und Budgets unter einen Hut gebracht, Bürgerservice und Verwaltung geregelt, an Gebühren, Förderungen und Infrastruktur getüftelt und um jeden Arbeitsplatz der Gemeindebediensteten gerungen. Das „Baby“ Gratwein-Straßengel, wie es der Klapperstorch vor dem Gemeindeamt anzeigt, war keine leichte Geburt.
Eisbach: Aufstand
Wolfgang Lagger kam am letzten Arbeitstag zu einem Interviewtermin mit seinen Noch-Bürgermeisterkollegen, um das eine Tageszeitung gebeten hatte. Bis zuletzt stemmte er sich mit Rückendeckung von 77 Prozent der Eisbacher gegen die Fusionierung. Der Linie bleibt er treu und verweigert den zentralen Handschlag beim Fotoshooting. „Ich kann jedem meiner Kollegen die Hand reichen“, sagt Lagger, „aber das Foto soll nicht den falschen Eindruck erwecken, alles sei paletti“. Später wird Lagger bei einem Begräbnis einem Gemeindebürger die letzte Ehre erweisen und zwei Geburtstagsjubilare besuchen. Lagger war fünf Jahr Bürgermeister von Eisbach und ist vom Beruf selbständiger Versicherungsmakler.
Gschnaidt: Wehmut
„Ich habe nie von meinem Gehalt als Bürgermeister gelebt“, sagt Max Höfer. Er leitete zehn Jahre das 370 Einwohner zählende Gschnaidt neben seinem Beruf als Gast- und Landwirt. „Bis 2010 passte alles, dann wurde die Schule geschlossen und die Fusionierung angeordnet“. Zuletzt setzte der Gemeinde noch ein Eisregen mit starkem Baumbruch zu. „Wir haben einen Harvester (Holzernte-Maschine) kommen lassen und die betroffenen Waldbauern unterstützt, damit Straßen und Wege wieder befahrbar sind“, blickt Höfer auf die letzten Tage zurück. Als letzte Amtshandlung überweist er 5.000 Euro für die Renovierung der Basilika von Rein.
Gratwein: Zuversicht
Den letzten Tag als eigenständiges Gratwein leitet die Marktmusik mit einem Ständchen ein. Im Gemeindeamt frühstücken zahlreiche Bürger auf Einladung der Gemeindebediensteten. Wie bei einem Popstar wollen alle die Hand des Noch-Bürgermeisters schütteln und Gerald Murlasits auf die Schulter klopfen. Danke ist das an diesem Tag am meisten ausgesprochene Wort, auch bei Murlasits, der für alle Weggefährten persönliche Dankesworte findet. Am letzten Tag im Amt hält er zwischen gepackten Kartons planmäßig seine Sprechstunde. Murlasits war sechs Jahre Bürgermeister und ist beruflich Regionalgeschäftsführer der SPÖ Graz-Umgebung-Voitsberg.
Judendorf: Neuanfang
Der frühere Bürgermeister von Judendorf wird der neue Regierungskommissär von Gratwein-Straßengel. Bis zur Gemeinderatswahl am 22. März und der konstitutionierenden Sitzung des neuen Gemeinderates (im April) leitet Harald Mulle die Geschicke der neuen Großgemeinde. Als Regierungskommissär und damit einziges Organ einer Gemeinde bezieht Mulle eine Aufwandsentschädigung in Höhe eines Bürgermeisterbezuges.
Mulle war elf Jahre Bürgermeister von Judendorf. An seinem letzten Arbeitstag zeichnete er
Erich Stindl (Tennisclub), Dr. Wolfgang Popp (Kirchenmusik-Historiker), Jakob Schartner und Heinz Suppan (Feuerwehr), Franz Dorner, Ernst Mulle und Franz Kniepeiss (Trachtenmusikkapelle) sowie Peter und Brunhilde Meder (Prälatenhaus) mit der goldenen Ehrennadel von Judendorf-Straßengel aus.
INFO
Die Gemeinde Gratwein-Straßengel umfasst die vier Ortgemeinden Eisbach, Gschnaidt, Judendorf und Gratwein und ist mit 12.700 Einwohnern die größte Gemeinde im Bezirk. Bis zur Installierung eines neuen Gemeinderates ist allein der Regierungskommissär (Harald Mulle) zeichnungsberechtigt, der die laufenden und unaufschiebbaren Geschäfte der Gemeinde führt. Ihm zur Seite steht ein ehrenamtlicher Beirat, der sich aus Wolfgang Lagger, Gerald Murlasits, Max Höfer und Manfred Niemands zusammensetzt. Die bisherigen Wappen verlieren ihre Gültigkeit, Gemeindezeitungen werden außer Kraft gesetzt.
Das Gemeindeamt von Gratwein-Straßengel (Telefon: 03124-51300) befindet sich im Ortsteil Judendorf, Amtsleiter ist Ferdinand Konrad (DW 210). Die Allgemeine Verwaltung und das Bürgerservice befinden sich in der Zweigstelle Gratwein, mit der Referatsleitung wurde Andreas Schwarzl (DW 330) beauftragt. Die Servicestelle in Eisbach wird von Ulrike Kainz und Karin Koch (DW 212), in Gschnaidt von Claudia Perstaller (DW 211) betreut. Regierungskommissär Harald Mulle hält dienstags und donnerstags von 14:00 bis 17.00 Uhr im Gemeindeamt, Hauptplatz 1, 8111 Gratwein-Straßengel Sprechstunden ab. Infos www.gratwein-strassengel.gv.at.
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