Großdemo in der Donaustadt
Transitroute durch Lobautunnel? Mit Videos und Umfrage!
Gegen den geplanten Lobautunnel und die "Stadtstraße" demonstrierten am 3. Juni 2021 tausende Menschen vom Praterstern über Hirschstetten bis nach Süßenbrunn: Die Wiener Außenring-Schnellstraße S1 könnte Teil einer internationalen Transitroute werden, so die Befürchtung.
WIEN/LEOPOLDSTADT/DONAUSTADT. Skateboards, Inlineskates, Lastenräder - die Fortbewegungsmittel waren vielfältig, mit denen die laut Polizei mehr als 1.500 Teilnehmer der Großdemonstration am Weltfahrradtag gegen den geplanten Lobautunnel und die "Stadtstraße" unterwegs gewesen sind: Die meisten fuhren nach einigen Ansprachen am Praterstern aber um 14.45 Uhr mit ihren Fahrrädern über die Lassallestraße und die Reichsbrücke zur Erzherzog-Karl-Straße und schließlich weiter zur Anfanggasse nach Hirschstetten, wo die Donaustädter "Stadtstraße" bald beginnen soll - zumindest, wenn es nach den Plänen der Wiener Landesregierung geht.
Mirjam Hohl organisierte die Protestveranstaltung mit: „In den 1980er-Jahren wurde in Hainburg der Schutz der Donauauen erkämpft. Nun ist unser Auwald aber durch den Lobautunnel erneut gefährdet." Auch aus der Donaustadt kommt Protest: "Die Kosten für die 3.200 Meter der 'Stadtstraße' sind von 231 Millionen auf aktuell 460 Millionen Euro explodiert", sagte Werner Schandl von der Bürgerinitiative "Hirschstetten-retten", die sich gegen den Bau der Autobahn-ähnlichen Verkehrsstrecke einsetzt.
"Durch die neue Straße wird es zu 320.000 neuen Autokilometern kommen - täglich", rechnete Schandl vor und warnt nicht nur vor steigenden Verkehrszahlen samt CO2-Emissionen, sondern auch vor erhöhter Feinstaubbelastung: "Am Rand der Lobau wird es einen weithin sichtbaren Rauchfang geben, der die Autoabgase von neun Kilometern Lobautunnel gesammelt ausstoßen wird. Da nützen auch viele neue Elektroautos wenig, denn auch die erzeugen viel Feinstaub."
Der Bezirk ist dafür
Im Rathaus und in der Bezirksvorstehung des 22. Bezirk ist man allerdings für den Bau der vierspurigen "Stadtstraße", die Aspern mit Hirschstetten und damit auch mit der Südosttangente verbinden soll, und des rund neun Kilometer langen Lobautunnels: Erst Ende April wurden die 460 Millionen Euro Baukosten im Wiener Mobilitätsausschuss mit den Stimmen von SPÖ, Neos, ÖVP und FPÖ freigegeben. Der Vorsitzende Erich Valentin (SPÖ) begründete die Entscheidung mit der "Entlastung der alten Donaustädter Ortskerne" und erklärte dabei, dass es widersinnig sei, "Transitverkehr, der weder Ziel noch Ursprung in Wien hat, in die Stadt hineinzuziehen."
Auch der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy (SPÖ) ist für den Bau: "Die Stadtstraße bringt Lebensqualität für die Donaustädter und ist essentiell für den Wirtschaftsstandort im Norden Wiens." Auch die ÖVP lobte die Entscheidung für die Freigabe der Baukosten: "Der Bau der Stadtstraße sowie des Lobautunnels ist ein wichtiges Infrastrukturprojekt zur Schaffung von Arbeitsplätzen", so Isabelle Jungnickel.
"Autobahnen führen zur Klimakrise"
Die Teilnehmer der Großdemonstration waren anderer Meinung: "Der Bau neuer Autobahnen ist ein weiterer großer Schritt in Richtung Klimakrise", erklärte Saskia Heberger, die mit ihren zwei kleinen Kindern mit einem Lastenrad unterwegs war. "Unsummen für klimaschädliche Großprojekte zu verschwenden, ist gerade in der Coronakrise rückschrittlich und mehr als nur fahrlässig", so die 32-jährige Volkswirtschafterin aus der Donaustadt.
Vertreten war auch die Bürgerinitiative "Rettet die Lobau" mit zahlreichen Mitstreitern: "Wir lassen uns die Zukunft nicht verbauen", waren sie sich einig, "der Bau von 'Stadtstraße' und Lobautunnel bringt nur Millionengewinne für die Asfinag, dafür wird unseren Kindern die Zukunft gestohlen."
Internationaler Schwerverkehr bald in Wien?
Zahlreiche Redner, etwa vom Wiener Naturschutzbund, warnten davor, dass "die S1, also die Wiener Außenring-Schnellstraße, mit Lobautunnel und 'Stadtstraße' Teil der europaweiten Transitroute TEN 25 werden soll, die vom polnischen Danzig über Brno bis nach Wien geplant ist. Der internationale Schwerverkehr von der Ostsee bis zum Mittelmeer wird dann über Wien fahren, was Transitprobleme ähnlich wie in Tirol verursachen wird."
Studentin Hanna von "Fridays For Future" hielt am geplanten Startpunkt der "Stadtstraße" in der Hirschstettner Anfanggasse ebenfalls eine Rede: "65 Prozent des öffentlichen Raumes gehören den Autos, also Straßen und Parkplätze. Und das, obwohl sie nur fünf Prozent der Zeit gefahren werden und sonst nur herumstehen. Wir benötigen mehr Raum für Öffis, Räder und Fußgänger!"
"Mit den Millionen für die Stadtstraße könnte man die Öffis im ganzen Osten Wiens ausbauen und modernisieren, und wahrscheinlich auch noch im halben Marchfeld", sagte Teilnehmer David, der an der TU Elektrotechnik studiert und als Fahrradbote arbeitet, "wenn man die Öffis aber nicht ausbaut, zwingt man die Leute fast ins Auto, was wiederum horrende Kosten für Straßen und Pendlerpauschale nach sich zieht. So eine Politik ist kurzsichtig und überhaupt nicht nachhaltig."
Heidi Sequenz ist Gemeinderätin der Donaustädter Grünen, auch sie radelte die ganze Strecke bei strahlendem Sonnenschein mit: "Danke den vielen umweltbewussten und klimabewegten Menschen jeden Alters, die heute gemeinsam gegen diese megateuren Wahnsinnsprojekte protestieren", so Sequenz. "Die Zukunft liegt in nachhaltiger Mobilität, Öffis und sicheren Rad- und Fußwegen. Die kosten nur einen Bruchteil, brauchen aber Flächen, die von 'Stadtstraße' und S1 unnötig versiegelt werden."
Mit ihrem Fahrrad war auch Barbara Neuroth unterwegs - viele Jahre war sie stellvertretende Bezirksvorsteherin (Grüne) auf der Wieden und ist heute Bezirksrätin. Was macht sie im 22. Bezirk? "Die Donaustädter Grünen unterstützen, die sich seit Jahren gegen 'Stadtstraße' und Lobautunnel einsetzen." Den Bau neuer Autobahnen findet auch sie "widersinnig, denn dadurch steigt nur der Verkehr weiter an."
Unterstützung aus der Gesellschaft
Die Großdemo wurde von zahlreichen Organisationen im Vorfeld unterstützt, darunter "Stopp Lobau-Autobahn", "Platz für Wien", "AktionsAkademie", "BürgerInnen Netzwerk Verkehrsregion Wien-NÖ/Nordost", "Hirschstetten-retten", "System change, not Climate Change", "Fridays For Future Vienna", "Geht-doch.wien" und "Selbstbestimmtes Österreich".
Aber auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte sich zu Wort gemeldet: "Das fossile Megaprojekt Lobauautobahn ist ein klima- und verkehrspolitisches Totalversagen und wird Österreich in Sachen Klimaschutz um Jahre zurückwerfen. Mitten in der Klimakrise sollen hier Betoniererfantasien aus den 1970er-Jahren verwirklicht werden.“
Auch die Weltnaturschutzunion IUCN stemmt sich gegen das Straßenbauprojekt und drohte zuletzt mit der Aberkennung des Nationalpark-Status des Nationalparks Donauauen, wenn sich der Lobautunnel negativ auf das Ökosystem in der Lobau und insbesondere auf den dortigen Grundwasserspiegel auswirkt: "Das komplexe Ökosystem im Auwald lebt vom Grundwasser, daher kann dort ein Tunnel nicht ohne Auswirkungen sein."
Der Abschluss der Protestveranstaltung fand ab 18 Uhr zwischen Süßenbrunner Feldern und der Lärmschutzmauer der Schnellstraße S2 statt: Die Molekularbiologin Martha Krumpeck erklärte, dass sie sich "seit 21. Mai im zeitlich unbegrenzten Hungerstreik" befindet. "Alle Projekte, die zu einem Mehrausstoß von Treibhausgase führen, müssen sofort eingestellt werden!"
Viele Demonstranten hatten selbstgebastelte Schilder und Transparente mitgebracht, darauf stand etwa "Stadtautobahn stoppen!", "Lobau bleibt" oder "Stopp Stadtstraße!" zu lesen. Von Pensionisten ("Omas For Future") bis zu Kleinkindern waren beim Protest alle Altersstufen vertreten, dabei radelten auffallend viele Familien mit. "Die geplante 'Stadtstraße' soll genau neben der 'Smart City Seestadt' vorbeiführen, die als autofreies europäisches Vorzeigeprojekt groß beworben worden ist", so eine Mutter von zwei Kindern. "Was für eine Heuchelei!"
Nach den letzten Reden applaudierten die Teilnehmer minutenlang den begleitenden Polizistinnen und Polizisten, die überwiegend ebenfalls auf (Dienst-)Fahrrädern unterwegs gewesen waren. Danach löste sich der Protest langsam, aber friedlich auf und die Demonstranten gegen "Stadtstraße" und Lobautunnel machten sich mit ihren Fahrrädern, Lastenrädern, Skateboards und Inlineskates auf den Heimweg. Manche sind sogar zu Fuß vom Praterstern bis in die Felder von Süßenbrunn marschiert. Mit dem Auto ist von den tausenden Teilnehmern übrigens kein einziger gekommen.
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