Zwischen Schmäh und Kulturerbe

Kurt Luger: „Es geht uns nicht um Feste zum Mitschunkeln, sondern um den heutigen Nutzen alten Wissens.“
  • Kurt Luger: „Es geht uns nicht um Feste zum Mitschunkeln, sondern um den heutigen Nutzen alten Wissens.“
  • hochgeladen von Stefanie Schenker

Sie erforschen immaterielles Kulturerbe. Was ist das zum Beispiel?
KURT LUGER: „Da geht es um alltagskulturelle Weisheiten, die in der Vergangenheit entstanden und für uns heute als Bräuche oder Rituale von Bedeutung sind: Das kann Handwerk genauso sein wie Liedwerk, Tänze oder Wissen – wie zum Beispiel das Heilkräuterwissen der Pinzgauerinnen. Wir wissen heute, dass Schulmedizin nicht alles heilen kann, und da besinnen wir uns wieder auf dieses alte Wissen.“

Wo verläuft – im Sinn Ihrer UNESCO-Lehrstuhltätigkeit – die Grenze zum Inszenierten, nicht echten Kulturerbe?
LUGER: „Uns geht es nicht um Feste zum Mitschunkeln, sondern darum, vielleicht über einen längeren Zeitraum verdrängtes Wissen wieder hervorzuholen und nutzbar zu machen. Das Beispiel mit dem Pinzgauer Heilkräuterverein TEH ist da nur die Spitze eines Eisbergs. Es ist sinnvoll, den zu heben. Es handelt sich dabei um Legenden aus unserem Lebensraum – und das prägt uns, ist Teil unserer Identität. Die Wissenschafter müssen fragen: Was von der alten Tradition trägt noch und was nicht, welche Praktiken etwa haben zur Lösung heutiger Probleme noch Bedeutung?“

Tänze, Rituale, Feste – das findet sich alles auch in Hochglanz-Tourismusprospekten.
LUGER: „Das darf schon sein, wenn ich ein Fest feiere, dann dürfen auch Gäste dabei sein, deswegen wird es ja nicht weniger wertvoll. Die Frage ist nur, wann kippt es, wann ist es mehr Inszenierung für die Zuschauer und wann ist es mehr unser eigenes Fest. Tourismus und Volkskultur sind vielleicht nicht gerade Zwillinge, aber sie widersprechen sich nicht – es ist eine Frage des Maßes.“

Almsommer, Bauernherbst & Co: Sind das künstliche Events oder haben die etwas mit dem immateriellen Kulturerbe zu tun?
LUGER: „Almsommer und Bauernherbst sind im Wesentlichen touristische Elemente mit einem bestimmten Rückbezug zur bäuerlichen Kultur. Da gab es auch eine Zeit des Zurücklehnens, des Rückzugs wenn die Ernte eingefahren war. Ein dem Echtheitsanspruch verpflichteter Volkskundler wird aber nicht viel Freude daran haben. Wobei die Zahlen aber für den Bauernherbst sprechen, ich glaube, auch die Bauern sind zufrieden.“

Also hat der Bauernherbst auch aus Ihrer Sicht eine Existenzberechtigung?
LUGER: „Er ist heute zum Teil authentisch, weil ja die Bauern heute auch vom und mit dem Tourismus leben. Gefährlich ist es, wenn man in den Kitsch abgleitet. Etwa indem wir den Touristen vorgaukeln, Salzburg wäre eine rein bäuerliche Gegend, wenn man eine Schütte Stroh ins Luxushotel kippt, damit es zünftig ausschaut oder wenn die Bäuerin erst in einem Kurs auf der Volkshochschule Brot backen lernen muss. Aber der Tourismus ist eben eine Branche, die ‚Gschichtln‘ erzählt. Nur: Für mich als Wissenschafter lautet die Frage nicht, wie wir möglichst viele Touristen in unsere Betten kriegen. Mich interessiert viel mehr, wie Touristen – aber auch Einheimische – etwas von unserem Kulturerbe lernen können, einen konkreten Nutzen davon haben, füreinander Verständnis gewinnen. Dabei geht es um mehr als touristisches Sightseeing, bei dem jemand herkommt, über den Dialekt schmunzelt und dann wieder heimfährt.“

Zusammen mit der Österreich-Werbung und der UNESCO-Kommission arbeiten Sie aber an einem Projekt zur Entwicklung hochwertiger touristischer Angebote. Was kann das konkret sein?
LUGER: „So etwas wie das Beispiel TEH. Wenn nun die Germanen im Pinzgau eine Tour machen können, bei der sie selber Kräuter pflücken und den Prozess zum Heilkräuterprodukt miterleben, gewinnen sie neues Wissen und gleichzeitig profitiert der Tourismus. Das ist doch eine gute Alternative zum Fünf-Sterne-Hotel, in dem man eine Ayurveda-Substanz auf die Stirn geträufelt bekommt – obwohl das auch seine Berechtigung hat, nur hat es nichts mit dem Pinzgau zu tun.“

Kann nachhaltiger Tourismus auch Massentourismus sein oder wird das immer ein Nischenprodukt bleiben?
LUGER: „Ich glaube, dass mit der Masse die Qualität abnimmt. Wenn ich bei einer Veranstaltung zehn Touristen habe, dann stören mich die nicht, aber was, wenn es mehr Touristen als Einheimische sind? Irgendwann kippt das, das Flair geht flöten und damit auch das Erlebnis.“

Sie beschäftigen sich auch mit dem Weltkulturerbe der Stadt Salzburg.
LUGER: „Ja, und wir haben gerade eine Umfrage gemacht: Auf der Straße wie in den Hotels wissen die Menschen fast gar nichts darüber – wozu das gut ist, welche Verpflichtungen damit verbunden sind, das wird alles ausgeblendet. Auch die Touristen wissen es nicht, vielleicht, weil man es ihnen nicht sagt. Es gibt ja auch keinen einzigen Wegweiser in der Stadt, der sagt, hier bist Du an einem ganz besonderen Platz, mitten im Welterbe der Menschheit. Man versteckt diese Auszeichnung ja gerade!“

Und warum sollte man sich dafür interessieren?
LUGER: „Es ist unser Lebensraum, unsere Identität, ein Unikat der Menschheit – und wir wissen gar nicht, was das für uns bedeutet. Jemand, der aus Bielefeld herkommt, scheint das höher zu schätzen als die Salzburger. Man hat den Eindruck, das Weltkulturerbe gehört den Salzburgern gar nicht, genauso wenig wie die Festspiele – das ist etwas für die Anderen. Das zeigt sich auch daran, dass die Altstadt hauptsächlich von Touristen belebt wird. Es wohnen wieder mehr Leute in der Altstadt, aber es stehen etliche Häuser leer und einige Spekulanten wollen damit viel Geld verdienen.“

Nehmen wir den Wintertourismus: Jährliche Millioneninvestitionen der Seilbahnindustrie, immer höhere Liftpreise und eine nach immer neuen Höhepunkten strebende Eventkultur in den Wintersportregionen: Was sagt der Kulturerbe-Forscher dazu?
LUGER: „In einigen Gegenden ist diese Entwicklung leider nicht mehr umkehrbar – und da gehören so Wintertourismusgemeinden wie Saalbach dazu. Der Pongau ist weltweit das dichteste Tourismusgebiet, da ist die Abhängigkeit vom Tourismus natürlich enorm hoch. Und diese Maschinerie muss immer wieder gefüttert werden. Ich glaube aber, in 30 Jahren werden wir – vor allem wegen der Klimaerwärmung – kalte Betten und einen schwitzenden Planeten haben. Wir werden in etwa 20 Jahren einen Paradigmenwechsel weg vom Ho-ruck-Tourismus hin zu einem neuen Wintersportbegriff erleben. Da wird es vielleicht ein beschneites Band zum Skifahren geben, aber keinen Hochwinter-Gauditourismus mehr, wie wir ihn heute kennen. Es wird sein wie ein Frühling, in dem man keinen Vogel singen hört. Ich sehe darin eine ziemliche Bedrohung für das Bundesland Salzburg. Nur: Die Seilbahnwirtschaft horcht da nicht hin, will das nicht hören. Aber tausende Studien können nicht irren, auch wenn man sich das wünschen würde.“

Aber vielleicht hat sich das Aprés Ski-Verhalten bis dahin in ein Kulturerbe verwandelt?
LUGER (lacht): „Sie meinen, so wie auch der österreichische Charme als immaterielles Welterbe von der UNESCO ausgezeichnet werden sollte? Da wird wohl etwas mit hoher Dienstleistungsqualität verwechselt.“

Apropos Dienstleistung: Immer mehr ostdeutsche Saisonniers arbeiten auf Salzburger Skihütten. Können die heimische Gastlichkeit verkaufen?
LUGER: „Sie müssen das nicht unmittelbar verkaufen. Hier geht es um eine hohe Dienstleistungsqualität – und dazu braucht man nicht unbedingt einen österreichischen Schmäh.“

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