Ernst Aigner
"Man kann sich nur an den Kopf greifen"

Ernst Aigner wirft Corona-Zweiflern Ahnungslosigkeit und Wehleidigkeit vor. | Foto: Privat
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  • Ernst Aigner wirft Corona-Zweiflern Ahnungslosigkeit und Wehleidigkeit vor.
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FREISTADT. Ernst Aigner, geboren am 30. Juni 1955 in Reichenau im Mühlkreis, ist einem breiten Publikum als kongenialer Kabarettpartner von Günther Lainer aus Linz bekannt. In seinem beruflichen Leben unterrichtete er am Gymnasium Freistadt die Fächer Religion und Geschichte. Als Experten für historische Ereignisse haben wir ihn zum ausführlichen Interview über die Corona-Pandemie gebeten. 

Herr Aigner, vom rechten Rand der Gesellschaft werden die Maßnahmen der Regierung gegen Corona immer wieder mit dem Dritten Reich in Bezug gesetzt. Was halten Sie von derartigen Vergleichen?
Das ist einfach lächerlich und eine Verhöhnung all jener Menschen, die tatsächlich in Diktaturen unterdrückt wurden und werden. Wir alle sehnen uns danach, die Corona-Einschränkungen endlich los zu werden, halten uns aber daran, weil wir wissen, dass wir nur so einander vor einer ansteckenden Krankheit schützen können. Aber nun das Maskentragen und Abstandhalten mit mörderischer Verfolgung in einem Terror-Regime auf eine Stufe zu stellen, ist ein Zeichen von Ahnungslosigkeit und Wehleidigkeit.

Im Internet kursiert ein Video von einer Demo in Hannover, bei der eine „Jana aus Kassel“ auf offener Bühne behauptet, sie fühle sich wie Sophie Scholl, weil sie eine Maske tragen muss. Hat unsere Bildungspolitik versagt?
Ich hoffe ja doch, dass es sich bei dieser offensichtlich verwirrten Frau um einen Einzelfall handelt. In dem Video sieht man ja auch, dass ihr nach dem unsäglichen Vergleich ein Mann seine Schutzweste überreicht mit dem Satz „Für so einen Schwachsinn mach’ ich keinen Ordner mehr“. Für Medien und Satire sind solche Szenen natürlich ein gefundenes Fressen. Aber der Eindruck, wehrloses Opfer irgendwelcher dubioser Machenschaften zu sein, ist weit verbreitet.

Warum wird ausgerechnet die Nazi-Zeit so oft als Vergleich herangezogen?
Einmal gilt das Hitler-Regime mit Recht als Inbegriff des Bösen schlechthin. Wenn man sich nun mit den damals Verfolgten in eine Reihe stellt, dann stilisiert man sich zum Opfer. In Wirklichkeit ist es umgekehrt: Solche Leute, die ohne Einhaltung der Schutzbestimmungen demonstrieren, verbreiten das Virus, verlängern die Pandemie, und gefährden Menschenleben. Sie sind Täter, nicht Opfer. Ein zweiter Grund ist eine bei Neonazis beliebte Taktik: Man weist den Vorwurf, rechts zu sein, entrüstet zurück, indem man sich mit Naziopfern vergleicht. Da marschieren dann Leute durch die Straßen mit gelbem Judenstern mit der Aufschrift „ungeimpft“, und das neben bekannten Rechtsradikalen. Wer sich ein wenig in Geschichte auskennt, kann sich da nur an den Kopf greifen. Diese Täter-Opfer-Umkehr gibt es in rechten Kreisen aber schon immer. Kein Geringerer als der Hauptdarsteller im Ibiza-Video sagte am Akademikerball 2012, als er noch der Heilsbringer seiner Partei war: "Wir sind die neuen Juden".

Querdenker und Corona-Spaziergänger geben vor, sich für die Freiheit stark zu machen – tun sie das wirklich?
Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird. Die Gesellschaft hat das Recht, ja die Pflicht, vorübergehend in die Freiheit der Menschen einzugreifen, wenn man nur so ein noch größeres Übel – etwa den Verlust von Gesundheit und Leben – verhindern kann. Wir verzichten auf Kontakte, halten Abstand, tragen Masken, um längerfristig Leben zu retten. Wir verzichten auf gewisse Freiheiten, um dadurch den extremsten Freiheitsverlust, nämlich den Tod, zu verhindern. So unangenehm das auch sein mag, dieser Logik müssen wir uns beugen. Wer im Namen der Freiheit gegen Corona-Schutzmaßnahmen demonstriert, tritt in Wahrheit für Rücksichtslosigkeit ein. Corona-Verharmloser verhindern genau jene Freiheit, für die sie angeblich demonstrieren. Sie sind Teil des Problems, nicht der Lösung.

Warum erleben Verschwörungs- und Weltuntergangsfantasien gerade in Zeiten der Pandemie Hochkonjunktur?
Zunächst einmal ist es verständlich, dass die Nerven blank liegen. Noch nie in der Geschichte gab es eine Pandemie, die die ganze Menschheit betraf und alle das auch wussten. Gerade in entwickelten Ländern dachte kaum jemand daran, dass so etwas passieren könnte. Seuchen und andere Naturkatastrophen waren bisher immer ganz weit weg. Und plötzlich ist eine Seuche da und sie kann jeden treffen. Das löst Angst und Unsicherheit aus und verführt manche zur Vorstellung, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Und schon ist man anfällig für Verschwörungstheorien, die für alles eine einfache Erklärung anbieten. Und wenn sich solche Leute ihre Informationen nur mehr aus den eigenen Kreisen holen, wie das in Internet-Blasen geschieht, können sich die absurdesten Theorien bis zum sektenartigen Wahn steigern.

Es gibt ja auch Leute, die überhaupt leugnen, dass es eine Pandemie gibt. Wie kommt man denn bitte auf so etwas?
Ein Beispiel dafür ist Sucharit Bhakdi, Epidemiologe im Ruhestand, der im vergangenen Sommer ein Buch herausbrachte, in dem er Covid-19 als harmlos wie eine Grippe einschätzte, und sich seitdem immer weiter von der Realität entfernt. Das Buch wurde ein Bestseller, obwohl seine Thesen von der Fachwelt, vor allem aber von der Realität täglich widerlegt werden. Aber er macht weiter! Bis heute leugnet er die Gefährlichkeit des Virus. Die vielen Toten erklärt er mit „Krankenhausinfektionen“, Masken sieht er als schädlich an, Lockdowns als sinnlos und die Impfung als „größtes Verbrechen der Geschichte“. Man muss kein Experte sein, um zu sehen, dass Bhakdi längst den Boden der Tatsachen verlassen hat, aber Leute wie er sind Stars unter den Coronaleugnern. Klar, dass man auf die Regierung zornig wird, wenn man wirklich glaubt, dass all die Einschränkungen und Schutzmaßnahmen gar nicht nötig wären, sondern ein geheimer Menschenversuch dahintersteckt. Und das kann auch politisch gefährlich werden.

Inwiefern?
Indem populistische Parteien versuchen, den verständlichen Frust und Ärger über die Corona-Maßnahmen in fundamentalen Widerstand gegen die Regierung umzumünzen. Es ist schon erstaunlich, dass sich eine Partei wie die FPÖ mit einer langen Geschichte zum Sprachrohr der Corona-Leugner macht. Anfang März hat etwa Klubobmann Herbert Kickl im Wiener Prater vor Tausenden Menschen im Namen der Freiheit gegen die Regierung gewettert, als hätte sie das Virus auf die Leute losgelassen, um sie zu unterdrücken. Er stellte alles in Frage, was vor Corona schützt: die Masken seien „chinesisches Klumpert“, die Impfung ein „Akt der Unterdrückung“. Über die Frage, was er tun würde, um die Pandemie einzudämmen, sagte er nichts, ausgenommen die vollmundige Behauptung: "Wir alle haben ein intaktes Immunsystem“ – ganz im Stil der sozialdarwinistischen Vorstellung, dass sich in der Natur sowieso das Starke durchsetzt. Ähnliche Töne haben zu Beginn der Pandemie auch Trump in den USA und Bolsonaro in Brasilien hören lassen, mit entsetzlichen Folgen. 

Wie soll es, wie wird es weitergehen? Wie lange werden wir noch auf eine Rückkehr zur Normalität warten müssen?
Wenn ich das wüsste. Ich kann nur empfehlen, sich weiterhin an die Empfehlungen der wirklichen Experten zu halten, wir haben keine andere Wahl. Ich glaube, dass die Pandemie ihren Schrecken verliert, wenn möglichst viele Menschen geimpft sind. Wissenschaft und Forschung werden aber noch lange gefordert sein, Impfstoffe und Medikamente an die Mutationen, die zu erwarten sind, anzupassen. Wir müssen lernen, bei so großen Problemen wie einer Pandemie, engstirniges Denken nach Partei- oder Ländergrenzen zu überwinden. Längerfristig sehe ich den Kampf gegen Covid-19 als Aufforderung zum Lernen, als Probelauf für das Problem Klimawandel: Die ganz großen Fragen werden wir nur weltweit gemeinsam lösen können.

Danke für das Gespräch!

Ernst Aigner wirft Corona-Zweiflern Ahnungslosigkeit und Wehleidigkeit vor. | Foto: Privat
Ernst Aigner | Foto: Volker Weihbold
Kabarettduo (von links): Ernst Aigner, Günther Lainer
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