Ernst Aigner
Freistädter nimmt Neujahrsrede von Herbert Kickl unter die Lupe

Ernst Aigner, geboren am 30. Juni 1955, war in seinem Brotberuf Lehrer am Gymnasium Freistadt. In seiner Freizeit ist er als Kabarettist tätig – unter anderem mit Günther Lainer. | Foto: Volker Weihbold
  • Ernst Aigner, geboren am 30. Juni 1955, war in seinem Brotberuf Lehrer am Gymnasium Freistadt. In seiner Freizeit ist er als Kabarettist tätig – unter anderem mit Günther Lainer.
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Ernst Aigner, pensionierter Gymnasiallehrer (Geschichte, Religion und Musik) und Kabarettist aus Freistadt, hat bei der Neujahrsrede von FPÖ-Chef Herbert Kickl genauer hingehört.

Dank FPÖ-TV kann man Herbert Kickls Rede vom 13. Jänner 2024 eingehend studieren. Ich habe das gemacht. Ich wollte ihm auf die Schliche kommen, ich dachte, der Mann, der in allen Umfragen führt, müsse doch etwas an sich haben, das die Massen begeistert. Ich wurde eines Schlechteren belehrt. Seine Rede war eine rhetorische Nullnummer, eine langweilige Aneinanderreihung unzusammenhängender Elemente, verbunden nur durch den Cantus firmus der Bösartigkeit, vorgetragen in einem seltsam belehrenden, künstlich-pathetischen Ton. Die inhaltliche Überraschung kam ganz am Ende. Sie ist der Grund, warum ich beschloss, diesen Kommentar zu schreiben. Doch der Reihe nach!

Vokabeln der alten Nazis

Von Beginn an werden alle anderen Parteien beschimpft, beleidigt, verächtlich gemacht. Kein Wortspiel ist zu billig („Blabla“ für Andreas Babler), um Lacher zu generieren, selbst vor der Verächtlichmachung körperlicher Merkmale („fette Spinne“ für Alfred Gusenbauer) schreckt Kickl nicht zurück. Er wirft alle in einen Topf, System genannt, nennt sie Peiniger, Unterdrücker, Anti-Österreich-Front und Liste-Volksverrat. Vokabeln der alten Nazis (Volkskanzler, Kampf gegen das System) und der Neonazis (Remigration) gehen ihm locker von der Zunge: Hetze in Reinkultur.

Kategorischer Superlativ als Stilmittel

Keine Spur von politischer Analyse, von Problembewusstsein oder Weitblick angesichts der vielen Krisen in der Welt. Er kennt nur Extreme, sein Stilmittel ist der kategorische Superlativ: Die anderen stehen für das Furchtbarste und Unfähigste, die Seinen sind die edelsten Wohltäter des Volkes. Was besonders komisch wirkt in Richtung des steirischen FPÖ-Chefs Kunasek. Den Mann, der bis zum Hals in Korruptionsaffären steckt, adelt er zum „Erzherzog Johann 2.0“. Seine eigene Leistung hingegen ist gar nicht hoch genug zu preisen. Seine Rede werde in die Geschichtsbücher eingehen, als Beginn einer neuen Ära, sagt er gleich zu Beginn.

Von Größenwahn zerfressen

Am Rednerpult steht ein von Hass und Größenwahn zerfressener Mensch, der einem leidtun könnte, wenn er nicht Politiker wäre, dem viele auf den Leim gehen, der nichts weniger plant, als in Österreich Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit nach ungarischem Vorbild zu ruinieren. Ich habe mein Berufsleben lang Geschichte unterrichtet und immer vor dem Faschismus gewarnt. Dass dessen Rückkehr tatsächlich denkbar ist, hätte ich mir bis vor Kurzem nicht träumen lassen.

Narzisstische Selbstüberhöhung

Die ÖVP wäre gut beraten, zu ihren kaum mehr vorhandenen christlich-sozialen Wurzeln zurückzukehren, statt immer weiter nach rechts zu rücken. Sollte sie – trotz gegenteiliger Beteuerungen – wieder mit der FPÖ koalieren, würde sie nicht nur den letzten Rest an Selbstachtung verlieren, sondern auf längere Sicht ihre eigene Existenz gefährden. Was mich als Christ aber besonders stört, ist Kickls Versuch, sich bei Menschen einzuschmeicheln, denen ihr religiöser Glaube wichtig ist. Hinter der langjährigen Praxis von Strache und Kickl, bei Interviews demonstrativ mit „Grüß Gott“ zu grüßen, steckt Kalkül. In der Neujahrsrede treibt Kickl dieses Spiel noch weiter. Er spricht von einer „gehörigen Portion Gottvertrauen“, die man brauche, von einem „Beistand von oben“. Jemand, der Menschen gegeneinander aufhetzt, kann damit nicht den Gott des Christentums meinen. Die Berufung auf Gott dient vielmehr der eigenen narzisstischen Selbstüberhöhung à la Trump, um sich den Anhängern als Gesandter Gottes, als Heilsbringer zu inszenieren. „Der Wahnsinn hat bald ein Ende, die Erlösung ist in Sicht“, verspricht er: Kickl als Erlöser im Namen Gottes. Ich bin gespannt, ob sich Vertreter der Kirchenobrigkeit endlich einmal aus der Deckung wagen, um dieser unverschämten Frechheit entgegenzutreten.

Schönen Text für hasserfüllte Rede gekapert

Eine besondere Beleidigung für alle, die sich wirklich um ein christliches Leben bemühen, stellt das Ende seiner Rede dar. Kickl liest einen Text vor, von dem er behauptet, man wisse nicht, wer der Autor sei, vielleicht sei es Franz von Assisi. Das ist falsch. Nach 0,37 Sekunden Google-Suche hätte er wissen können, dass es sich um ein Gedicht des katholischen Priesters und Schriftstellers Lothar Zenetti (1926 bis 2019) handelt. Zenetti war ein weltoffener, humorvoller und zugleich tiefgründiger Mensch. Einige seiner Texte wurden vertont und finden sich in den Liederbüchern der Kirchen. Besonders bekannt wurde das Gedicht „was keiner wagt, das sollt ihr wagen“. Künstler wie Konstantin Wecker, Reinhard Mey oder Hannes Wader haben es in ihr Repertoire aufgenommen. Und diesen schönen, einfachen Text kapert Kickl für seine hasserfüllte Rede.

Parallele zu Hitler

Es gibt übrigens eine Parallele dazu von Adolf Hitler: In seiner ersten Rede als Volkskanzler am 10. Februar 1933 im Berliner Sportpalast geißelte er zunächst die „Systemzeit“, und schloss, indem er eine Nazi-Variante des Vaterunsers in den Saal krächzte. Er beschwor das „neue deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit“, und endete mit dem jüdischen Gebetsschluss „Amen“. Wir wissen, was folgte. Wehret den Anfängen. Es ist höchste Zeit!

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