Podium und Film „Persona Non Grata“
Die bahnbrechende Aktivistin in Imst: Auf ein Gespräch im Kino mit Nicola Werdenigg

Wenig später füllte sich der Kinosaal mit viel Publikum, das die Filmvorführung sowie die Gesprächsrunde mit großem Interesse verfolgte. Sie sorgten organisatorisch und inhaltlich für eine starke Veranstaltung. v.l.n.r. Astrid Schuchter (Die Grünen Imst) Peter Plaikner (Medienexperte und Politikanalyst), Nicola Werdenigg (Ex-Skirennläuferin, Autorin), Bezirkssprecherin Dorothea Schumacher (Die Grünen), Fatma Ayzit (Die Grünen).
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  • Wenig später füllte sich der Kinosaal mit viel Publikum, das die Filmvorführung sowie die Gesprächsrunde mit großem Interesse verfolgte. Sie sorgten organisatorisch und inhaltlich für eine starke Veranstaltung. v.l.n.r. Astrid Schuchter (Die Grünen Imst) Peter Plaikner (Medienexperte und Politikanalyst), Nicola Werdenigg (Ex-Skirennläuferin, Autorin), Bezirkssprecherin Dorothea Schumacher (Die Grünen), Fatma Ayzit (Die Grünen).
  • hochgeladen von Alexandra Rangger

IMST(alra). Zu Film und prominent besetztem Podiumsgespräch luden „Die Grünen Imst“ am vergangenen Freitag ins FMZ-Kino. Am Programm stand der Film „Persona Non Grata“. Eine Geschichte über Missbrauch und Übergriffe im Sportbereich, über den Kraftakt, den die Wahrheit oft bedingt und den Mut, den besonders Frauen aufbringen müssen, um geschlechterbedingte Machtverhältnisse zu Fall zu bringen. Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg, deren persönliche Erlebnisse die Vorlage zum Drehbuch boten, stellte sich nach dem Film zu einem aufschlussreichen Gespräch mit Medienexperte und Politikanalyst Peter Plaikner.

Seit Ende Jänner läuft „Persona Non Grata“ (lat. unerwünschte Person) in Österreich. Die Aufführung in Imst wurde spontan möglich gemacht. Die ehemalige Verantwortliche des Kulturreferates Andrea Schaller lieferte den Impuls, den Astrid Schuchter vom Team „Die Grünen Imst“ organisatorisch aufgriff. Gemeinsam mit dem FMZ-Kino boten sie die Plattform für den einzigen Oberland Termin. Nicht nur der Film stand am Programm – Peter Plaikner führte im Gespräch mit Nicola Werdenigg durch ein breites Themenspektrum. Es reichte von ihren sportlichen Erfolgen und dem Stadt-Land-Unterschied als Lebens- und Arbeitsort über das Verhältnis zu einstigen Kolleg*innen und dem Skiverband bis zur fragwürdigen Rolle des Sportjournalismus und zum heutigen gesellschaftlichen und parteipolitischen Engagement der Protagonistin. Plaikner betonte Werdeniggs Engagement: „Ihre Initiative hat enorme Strukturverbesserungen gegen sexuellen Missbrauch im Sport bewirkt.“ Auch das zahlreiche Publikum brachte sich sehr interessiert in die Runde ein.

Starke filmische Umsetzung

Im Film „Persona Non Grata“ wird ein Trauerfall zum Auslöser für das tief verwurzelte Traumata einer Frau. Der Tod des Ehemanns von Andrea Weingartner – einer ehemaligen Skirennläuferin – versetzt sie und in Folge ihre Familie in eine emotionale Achterbahn. Die Eltern, Teil einer angesehenen Skifahrerdynastie, haben der Tochter nie nachgesehen, dass sie ihre Sportkarriere mit 22 Jahren aufgegeben hat. Die Situation spitzt sich für Weingartner zu, als ein Nachbar ihr gegenüber übergriffig wird und sie seine Frau über den Vorfall informiert. „Die spinnt ja“, so die Reaktion des Nachbarn, der die Vorwürfe lapidar von sich weist. Zeitgleich geht ein Fall von Missbrauch innerhalb der Volleyball-Szene medial unter. In Andrea Weingartner löst diese Ereigniskette etwas aus, das nach außen drängt. Sie entscheidet sich für ein Interview mit dem „Standard“ und die Veröffentlichung von schwerwiegenden Missbrauchserfahrungen während ihrer Zeit im aktiven Skisport, die lange zurückliegen, aber prägende Spuren im Leben der Frau hinterlassen haben. Der Film bietet nicht nur eine kritische gesellschaftliche Analyse, sondern skizziert auch einfühlsam ein belastetes Familiengeflecht, in dem über Generationen hinweg das Schweigen zum Thema Missbrauch geradezu wie eine verheerende Tradition weitergetragen wurde. Andreas Mutter, Chefin im Tiroler Familienhotel, ist mit und unter dem Patriarchat aufgewachsen und scheinbar selbst darin verhärtet und erkaltet. Erst die Enkelin zeigt auf, dass der Zeitpunkt gekommen ist, diese gewachsenen und geduldeten Strukturen zu durchbrechen. Sie stellt sich solidarisch an die Seite der Mutter, als diese ihren Weg an die Öffentlichkeit geht.

Hintergründe und Parallelen

Antonin Svobodas Drama „Persona Non Grata“ basiert vorwiegend auf der wahren Geschichte der ehemaligen Tiroler Skirennläuferin Nicola Werdenigg. Der Film weckt Erinnerungen an Reaktionen, als sie im Jahr 2017 Vorfälle aus ihrer Karriere im Skisport öffentlich machte. Gegenüber dem „Standard“ deckte sie sexualisierte Gewalt und systematischen Machtmissbrauch durch Trainer und Kollegen auf. Was folgte, war ein Spiegelbild für ein tiefsitzendes gesellschaftliches Problem. Die Reaktionen waren mitunter von abwehrenden, beschwichtigenden Aussagen geprägt, die sich teils sogar bis hin zur Opfer-Schuld-Umkehr zuspitzten und der ÖSV stellte sogar ein mögliches juristisches Nachspiel zu den Vorwürfen in den Raum.

Vieles bewegt und umgesetzt

Nicola Werdenigg hielt dem Druck entschieden stand. Sie sah sich selbst längst nicht mehr in einer geschwächten Opferrolle, sondern als reife, reflektierende Betroffene. Mit Besonnenheit und Kalkül begegnete sie dem enormen Interesse, das „ihr Fall“ auslöste. Die Ereignisse sorgten sogar international für Aufsehen und gerieten zum #MeToo-Skandal Österreichs. Es folgten jedoch positive Entwicklungen, etwa die Gründung der Initiative #WeTogether, weiters wurde die Vertrauensstelle vera* für Sport und Kultur eingerichtet. „Mir ging es nie darum einzelne Täter öffentlich anzuprangern, sondern das System, die Machtverhältnisse und die sexualisierte Gewalt“, so Werdenigg, die sich für nachhaltige Veränderungen der Strukturen einsetzt und diese auch erfolgreich mitbewirkt.

Eingängiges Werk mit Tiefenwirkung

Regisseur Svobodas filmisches Werk ist auf Nicola Werdeniggs Erlebnissen aufgebaut – sie hat auch aktiv an der Story mitgearbeitet. Ergänzt wurden auch weitere Erfahrungsberichte aus anderen Fällen. Entstanden ist eine besonders eingängige Geschichte abseits eines Tatsachenberichtes. Weder journalistische Recherche noch visuelle Aufbereitung der Missbrauchsvorfälle dominieren die Handlung. Vielmehr sind es die stark gespielten psychologischen Momente in „Persona Non Grata“, mit Gertrud „Gerti“ Drassl in der Hauptrolle, die berühren und bewegen. Abseits des Gezeigten sind es die Ahnungen, die um vieles, das sich im Leben der Protagonistin ereignet hat, spürbar werden. Ein schwieriger Weg vom Gefühl des Erduldens, des jahrzehntelangen öffentlichen Stillschweigens, dem Kraftakt, sich von einer Form selbst auferlegter Schuld zu befreien – bis hin zum gezielten Schritt nach außen, der eine Lawine losgelöst hat, die allerdings nicht begrub, sondern vielmehr den Weg für eine Revolution in Bezug auf den Umgang mit Missbrauch und sexualisierten Machtstrukturen ebnete.

Interview mit Nicola Werdenigg:

Die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg stand vor der Vorführung des Films „Persona Non Grata“ in Imst für ein Gespräch zur Verfügung. Ihre eigenen Erfahrungen zum strukturelleN Machtmissbrauch sowie sexueller Gewalt im Skisport inspirierten das Drehbuch und bildeten den Kern eines aufschlussreichen Gesprächs mit Peter Plaikner, das unmittelbar nach der Filmvorführung stattfand. In diesem Interview tauchen wir tiefer in die Diskussion ein und erhalten persönliche Einblicke zum Thema und den Entwicklungen der letzten Jahre.

Wie lange haben Sie ihre persönlichen Erfahrungen mit sexueller Belästigung im Skisport für sich behalten?

Nicola Werdenigg:
„Ich habe die Erlebnisse damals meiner besten Freundin geschildert, die selbst Skifahrerin war – sie war ratlos. Auch meinem mittlerweile verstorbenen Mann habe ich mich früh anvertraut. Für mich behalten habe ich das Geschehene nicht, sondern es über einen sehr langen Zeitraum therapeutisch aufgearbeitet.“

Was war der auslösende Moment, darüber öffentlich zu sprechen?

Nicola Werdenigg:
„Als im Frühling 2017 der Fall von 50 Missbrauchsfällen durch einen Volleyballtrainer bekannt wurde, jedoch das Ganze in den Medien keine Wellen geschlagen hat, wollte ich etwas tun. Zeitgleich ist die MeToo Bewegung immer mehr zum Thema geworden. Erst dachte ich daran nur teilweise an die Öffentlichkeit zu gehen, doch dann entschied ich mich für ein „all in“ und das Standard-Interview mit Philipp Bauer.“

Welche Herausforderungen haben Sie während der ersten Zeit erlebt, in der sie ihre Geschichte öffentlich gemacht haben, und wie sind Sie damit umgegangen?


Nicola Werdenigg:
„Es war sehr schwierig, dass von allen Seiten Namen gefordert wurden. Mir ging es jedoch nie um einzelne Täter, sondern um das System, den Machtmissbrauch und die sexualisierte Gewalt, die stattfindet.

Welche Ratschläge würden Sie Frauen, Betroffenen generell geben, die ähnliche Erfahrungen durchmachen wie Sie? Welche Unterstützung benötigen Athlet*innen, die Missbrauch oder Belästigung erleben, um sich sicher und unterstützt zu fühlen, wenn sie ihre Stimme erheben?

Nicola Werdenigg:
„Darüber zu reden ist das Wichtigste. Mit jemandem, dem man vertraut und der einem glaubt. Eine Therapie und die Hilfe von Fachleuten helfen dabei, vom Gefühl wegzukommen, sich selbst die Schuld zu geben. So kann man mit sich selbst wieder ins Reine kommen. Ich rate davon ab, an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn die Erlebnisse nicht aufgearbeitet sind.

Wie hat sich Ihre persönliche Einstellung zum Skisport und zum Sport im Allgemeinen durch Ihre Erfahrungen verändert?

Nicola Werdenigg: „Ich war und bin noch immer begeistert davon, verbringe viel Zeit auf der Piste und komme auch jetzt direkt vom Skifahren.“

Welche Rolle sehen Sie für die Medien und die Öffentlichkeit bei der Aufdeckung und Bekämpfung von Missbrauch im Sport?

Nicola Werdenigg: „In diesem Bereich ist es wichtig, dass nicht spektakulär angeprangert wird, sondern systematisch hinterfragt. Die korrekte Sprache ist zu berücksichtigen – Dinge sind so darzustellen, wie sie tatsächlich sind – etwa Begriffe wie Sexskandal sind nicht korrekt in Bezug auf eine Vergewaltigung.“

Wie können ehemalige Athlet*innen wie Sie dazu beitragen, das Bewusstsein für die Herausforderungen im Spitzensport zu schärfen und positive Veränderungen herbeizuführen?

Nicola Werdenigg: „Es treten ohnehin nur ehemalige Athlet*innen in diesem Zusammenhang auf – keine Aktiven. Darüber zu reden, dadurch das Bewusstsein für das Thema zu schärfen und dazu zu ermutigen, aktiv hinzuschauen. Das sind Beiträge, die geleistet werden können, damit jemand, dem Gewalt angetan wird, sich nicht schuldig fühlen muss. Wir müssen uns dessen gewahr sein, dass im Sport, aber auch im Bereich Kunst und Kultur das Thema Missbrauch kein reines Frauenproblem ist. Männer sind ebenfalls betroffen und für sie ist es erfahrungsgemäß noch schwieriger, darüber zu reden.“

Welche Schritte oder Maßnahmen würden Sie vorschlagen, um den Sportbereich in Bezug auf Belästigung, Missbrauch sicherer und unterstützender für Athlet*innen zu machen? Haben Sie Vorschläge, wie Trainer*innen und Betreuer*innen besser ausgebildet werden können, um Anzeichen von Missbrauch oder Belästigung frühzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren?

Nicola Werdenigg: „Kein Verein, kein Verband kann es sich leisten, dass er mit Übergriffen und Machtmissbrauch in Verbindung gebracht wird. Mittlerweile kommen die Vereine von sich aus und wollen Konzepte und Schulungen, um den Eltern und Athlet*innen Sicherheit zu geben. Es gibt viele Angebote für effektive Präventionsarbeit.

Haben sich Ihrer Meinung nach die Wahrnehmung und der Umgang mit sexueller Belästigung im Sport seit Ihrer Enthüllung nachhaltig verändert oder ist das Thema wieder in den Hintergrund geraten? Sie waren Vorsitzende und Mitbegründerin der Initiative #WeTogether, die hier vieles bewegt hat.

Nicola Werdenigg: „Durch unsere Arbeit hat sich insofern etwas verändert, dass das Thema derart stark in die Öffentlichkeit gedrungen ist, dass Vereine von sich aus die Initiative ergreifen und Maßnahmenpakete in Anspruch nehmen. Der Verein war sehr wichtig, um gegen das System vorzugehen und Fälle aufzudecken – es haben sich sehr viele Menschen an uns gewandt. Der ist durch den Beschluss im Nationalrat obsolet geworden. Jetzt gibt es offiziell, gesetzlich befugte Stellen für Kunst, Kultur und Sport. Im Sport sind wir durch die vorangehende Arbeit sehr gut aufgestellt.“

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Weiter Infos unter:
www.vera-vertrauensstelle.at

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