Identitären-Demo in Wien
Vor etwas mehr als einem Jahr fand die erste Pegida-Demo in Wien statt. Auch damals gab es Gegendemonstrationen. Man konnte aber ungehindert von der einen Seite auf die andere wechseln. Sogar der Block - im später als Pressekessel bezeichneten Bereich - der sich von der genehmigten Gegendemonstration abgespalten und den Abmarsch der Pegida-Kundgebung erfolgreich verhindert hatte, war mit einiger Geduld zu durchqueren.
Auf beiden Seiten war die Stimmung angespannt, aber auf beiden Seiten konnten Gespräche geführt werden. Ernste und lustige. Es wurde sogar auf beiden Seiten gelacht.
Den heutigen Aufmarsch der Identitären erlebte ich anders. Aufmarsch ist mir einfach herausgerutscht. Aber unter Demonstration verstehe ich eine Kundgebung zu einem Thema mit einer klar-verständlichen Aussage. Aufmarsch ist keine Meinungsäußerung mehr. Aufmarsch ist Machtdemonstration. Diesen Eindruck vermittelten weniger die mehr oder weniger eingekesselten Demonstranten selbst, sondern die weitaus zahlreicheren Gegendemonstranten. Die Identitären wurden mit Knallern, Farbbomben und Sonstigem beworfen. Ich bekam den Hass selbst zu spüren, als ein Eierwerfer statt Identitäre mich traf, obwohl ich nur wenige Schritte „auf seiner Seite“ neben ihm stand. Auf meine Beschwerde hieß es nur: „Nazi-Hurensohn.“ Außerdem wurde mir sofort die Möglichkeit, mich in einer Seitengasse zu prügeln, angeboten. Mehrere Wegabeamte beobachteten den Vorfall. Als ich sie anschließend fragte, ob solche Vorfälle normal seien, erklärten sie, dass das erstens Zivilrechtssachen seien, und sie zweitens bei einer so großen Kundgebung nicht einschreiten könnten. Sie hätten den Vorfall ohnehin schon gemeldet.
Mehrere Personen wurden durch Einsatz von Pfefferspray verletzt. Es gab sogar eine mobile Einsatztruppe, die privat organisiert war, um Opfer zu behandeln.
Insgesamt herrschte eine Atmosphäre des Hasses, die unwillkürlich an die Hassminute aus Orwells 1984 erinnerte. Diesmal gab es kein Lachen. Stattdessen erzählte man mir, dass „die Häuser anzünden“, „die über Leichen gehen“, „die gefährlich sind“ - und unter allen Umstände „weg gehören“. Nicht immer wurde mir klar, wer mit „die“ gemeint war: Die Identitären oder die Gegendemonstranten. Nur ein einziges Ehepaar äußerte sich in zusammenhängenden Sätzen. Beide wirkten leicht verstört. Sie wären da hineingeraten. Sie wollten nur wieder raus. Damit hätten sie nie gerecht.
Und über Allem kreiste der Polizeihubschrauber.
Inwieweit der Bundespräsidentenwahlkampf für diese Stimmung mitverantwortlich ist, kann nur vermutet werden.
Dass es aber höchste Zeit ist, dass Grün, Rot, Schwarz, Blau, Rosa, Gelb, dass vom Bezirksrat bis zur Präsidentin des Nationalrates, von der bekopftuchten Migrantin bis hin zum eingefleischten FPÖ-Sympathisanten ein anderer, ein neuer, ein verständiger Ton anzuschlagen ist, muss jeder und jedem klar sein.
Wer noch immer spalten will, wer noch immer seinen Auftrag als Mandatar, die politische Konkurrenz anzuzeigen, sieht, wer noch immer glaubt, seine einzige politische Aufgabe sei, den Gegner zu verteufeln, der wird dafür gerade stehen müssen, wenn in weiteren 16 Monaten Steine (oder Schlimmeres) fliegen.
Die Integration muss endlich staatlich gelenkt werden. Die Politik muss sich endlich zu klaren Aussagen aufraffen. Niemand kann der Diener zweier Herren sein. Schon gar nicht, wenn diese Konträres verlangen. Dabei zeigt unser aller Alltag, wie weit Integration schon gediehen ist. Viele Migranten gehören einfach zu Wien und zu Österreich; ohne jede Begründung. Nicht Migranten stehen Nicht-Migranten gegenüber, sondern Personen, die unsere Gesellschaftsregeln akzeptieren stehen Personen, die diese – notfalls auch gewaltsam – verändern wollen, gegenüber.
Probleme gibt es nur in Bereichen, die de facto rechtsleer sind. Bereiche, in denen die Politik aus Feigheit, Stimmen zu verlieren, über „Kleinigkeiten“ hinwegschaut.
Wenn die Bundes- und die Landesregierungen nicht aufhören, diffuse Ankündigungen in konfusen Phrasen zu verpacken, sondern endlich beginnen, Klartext über Gepflogenheiten, Rechte, Pflichten und Sanktionen zu reden, wird der Regierung Kern I nur ein einziger Ausweg übrig bleiben: Neuwahlen.
Beim Westbahnhof verließ ich den Schauplatz des Versagens der Demokratie und wollte noch kurz die neue koptischen Kirche, die erst vor einigen Tagen von den Katholiken übergeben worden ist, besuchen. Leider war sie versperrt. Ein bei der Einweihung aufgenommenes Video zeigt, Integration ist nicht nur möglich, sondern tatsächlich alltäglich. Sie sollte nur von der Politik aktiv gefördert und nicht passiv erschwert werden.
Identitären-Demonstration
koptische Glaubensgemeinschaft in Wien - gelebte Integration
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