Im Kampf für die Meinungsfreiheit

Anna Greissing führte die Gespräche mit den Flüchtlingen zum Projekt "Flüchtlinge erzählen" | Foto: privat
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  • Anna Greissing führte die Gespräche mit den Flüchtlingen zum Projekt "Flüchtlinge erzählen"
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"Meine Geschichte in Zeilen: Von Wahlbetrug und Militärdiktatur in Ägypten.
Es ist ein Versuch, auf die Frage zu antworten, wie und warum ich von Ägypten geflohen bin. Als ich Frau Greissing kennenlernte, ermutigte sie mich, meine Geschichte zu schreiben, damit die Bevölkerung in Tirol (denn hier lebe ich nun schon seit fast einem Jahr) die Schwierigkeiten des ägyptischen Volkes besser verstehen könne.

Frühes Gerechtigkeitsgefühl

Ich wurde in einer sehr armen Familie geboren. Als ich jung war, habe ich mich immer gefragt, warum wir so arm sind.
Es tat mir weh, dass der größte Teil der Bevölkerung dort, wo ich aufwuchs, arm war. Und dass man nicht öffentlich seine eigene Meinung sagen durfte.

Als ich dann als junger Mann mein Heimatland mit europäischen Ländern verglich, sah ich, dass es vor allem die Politik und das politische System waren, die sich entscheidend auf das Leben einer Bevölkerung auswirkten.

In Ägypten herrscht seit langem das Militär, und dieses hat in unserem Land eine Diktatur etabliert. In den europäischen Staaten aber regieren Politiker, die frei gewählt wurden.

Damals habe ich mir vorgenommen, das politische System in meinem Land zu verändern. Deshalb war ich von 1993 bis 2002 Aktivist bei der Wafd Partei, der größten Oppositionspartei des Landes.

In politischer Opposition

1995 gab es Parlamentswahlen, und ich habe damals für den Wafd-Politiker Aymen Nur, einen Schriftsteller, Wahlkampf geführt. Dieser trat gegen Jahya Wahdan an, der seit Jahrzehnten im Parlament als Mubarak-Vertreter saß. Ayman Nur und seine Leute waren damals die einzige einflussreiche Partei, die sich kritisch zur Vorherrschaft des Militärs äußerte. Aber im Vergleich zur Nationalen Partei Mubaraks, die ungefähr 380 (von insgesamt 444 Sitzen) im Parlament hatte, besaß die Wafd Partei nur etwa 23 Sitze. Seit 1981 dominierte Mubarak's Regime also das gesamte politische System in Ägypten.

Aymen Nur und viele andere verließen darauf hin die Partei und gründeten eine neue - die Elgad Partei. Ich wollte Aymen Nur treu bleiben und trat also auch aus der Wafd Partei aus. Es dauerte 3 Jahre, bis die Elgad-Partei offiziell anerkannt wurde, denn die Mubarak-Regierung legte uns alle möglichen Steine in den Weg.

Gefährliche Proteste

Kurz darauf, im Dezember 2004, habe ich an einer Kundgebung für das Versammlungs- und Demonstrationsrecht vor dem Gericht teilgenommen; denn zu der Zeit gab es ein Gesetz, das Demonstrationen verbot; man konnte dafür lange Zeit ins Gefängnis kommen.

Im Februar 2005 haben wir dann auf der Internationalen Buchmesse in Kairo das erste Mal öffentlich gegen Mubarak und seine Regierung demonstriert. Nach dieser ersten Demo veranstalteten wir weitere Kundgebungen in verschiedenen Stadtteilen Kairos. Zunächst reagierte die Regierung nicht auf unsere Aktionen, wir hatten keine Probleme mit der Polizei. Aber dann, als unsere Stimme lauter wurde und immer mehr Menschen auch außerhalb der ägyptischen Grenzen von uns hörten - dank internationaler Medien - reagierte das Regime mit Repressionen. Aymen Nur kam 3 Monate in Untersuchungshaft, wurde dann aber wieder freigelassen, denn der Druck auf Mubarak wuchs – sowohl von Seiten der ägyptischen Bevölkerung, als auch seitens der Internationalen Gemeinschaft, v.a. der Bush-Regierung. Mubarak sah sich gezwungen, ein neues Gesetz in der Konstitution zu verankern: zukünftig durften mehr als nur eine Person (nämlich Mubarak selbst) bei den Wahlen kandidieren. Das war ein kleiner Sieg für uns.

Überfall

Am 5. Mai 2005 waren wir am Weg von Kairo zu der Stadt Kafr Sakr, um dort eine neue Parteizentrale zu gründen. An dem Tag wurden wir zum ersten Mal von Mubarak-Männern überfallen. Sie hatten Stöcke dabei und schlugen auf uns ein. Es gab zahlreiche Verletzte, aber Gott sei Dank keine Toten. Mubarak wollte uns sichtlich einschüchtern.

Trotz dieses Zwischenfalls haben wir aber nicht aufgegeben. Wir kommunizierten weiter mit Menschen auf Facebook und auf der Straße, und machten auf die politischen Missstände aufmerksam.

Für die Meinungsfreiheit

Von Mai bis September 2005 konnten wir politische Kampagnen für die Elgad Partei in mehreren wichtigen Städten Ägyptens führen. Ich schrieb viele Artikel in unserer Parteizeitung. Immer mehr Menschen traten unserer Partei bei, auch einige von der Wafd-Partei. Der Großteil der Bevölkerung aber war bis dahin von gar keiner Partei vertreten worden und trat also das erste Mal überhaupt einer Partei bei. Ende 2004 hatte die Elgad Partei geschätzte 10.000 Mitglieder; im August 2005 waren es bereits knapp 600.000 Mitglieder.

Folterung von der Geheimpolizei

Im September 2005 gab es zuerst Präsidentschaftswahlen, dann im November Parlamentswahlen. Mubarak und seine Partei gingen wieder als Sieger hervor. Die Wahl war allerdings gefälscht, denn Umfragen auf der Straße ergaben ein ganz anderes Ergebnis. Ich schrieb darüber in unserer Zeitung. Ein paar Tage nach der Wahl wurde ich festgenommen, eingesperrt und von der Geheimpolizei verhört. Sie wollten mich überreden, für sie als Spion zu arbeiten, was ich verweigerte. Daraufhin haben sie mich geschlagen und gefoltert. Ich war sevhs elende Monate im Gefängnis. Im April 2006 ließen sie mich endlich frei. Wenn ich erzählen müsste, was im Gefängnis passiert ist, bräuchte ich dafür ein ganzes, schmerzvolles Buch...

Heute ist die Situation noch viel schlimmer. Viele Gefangene sind in den letzten Jahren einfach spurlos verschwunden. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen sitzen heute mindestens 50.000 Menschen in Ägypten im Gefängnis. Die Dunkelziffer ist bestimmt noch viel-viel höher.

Im Juni erfuhr ich, daß Ayman Nur zu 5 Jahren Haft verurteilt worden war. In den Monaten danach wurde die so geschwächte Partei durch die Geheimpolizei zerschlagen. Viele wurden verhaftet.

Natürlich haben wir Anzeigen gemacht über die verschwundenen und eingesperrten Leute, aber vergeblich. Mubarak regierte weiter mit eiserner Hand. Im Lauf des Jahres 2007 hatte Mubarak ungefähr 32 Mal die Verfassung geändert, damit sein Sohn Gamel "bedient" werden konnte. Das war allerdings zu viel für das Volk. In jedem Haus in Ägypten wurde darüber geredet und in den sozialen Netzwerken häuften sich die Beschwerden und der Zorn gegen das Mubarak-Regime.
Am 6. April 2008 hat unsere damals noch existierende Elgad Partei zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Das Motto war: "Geh nicht Arbeiten- Bleib in deinem Haus!"

Das "zivile Ungehorsam"

Einen Tag, bevor der "zivile Ungehorsam" passieren sollte wurden wir von der Geheimpolizei in unserer Parteizentrale ich mit Kollegen in unserer Parteizentrale verhaftet.Während wir am 6. April zu Mittag wieder freigelassen wurden, starben in der Stadt Mahala 50 Leute, weil sie gegen Mubarak auf die Straße gegangen waren. Mubarak ließ einfach Panzer in die Menschenmenge fahren. In den Wochen darauf gingen in vielen Städten die Menschen auf die Straßen; doch jedes Mal wurden sie von Panzern und Milizen gewaltsam zurückgeschlagen.

Aus diesen Ereignissen entstand eine politische Gruppe, die sich "6. April" nannte. Ich war einer der Beteiligten und ich habe bei allen Aktivitäten vom 6. April teilgenommen.

Zum zweiten Mal festgenommen

Ein paar Monate später, in November 2008, kam die Geheimpolizei zu mir nach Hause und nahm mich vor den Augen meiner Familie fest. Ich wurde zum zweiten Mal eingesperrt und verhört. Im Gefängnis war ich nicht mit anderen politischen Gefangenen zusammen, sondern mit Schwerverbrechern, die sie gegen mich aufhetzten. Wieder folterten sie mich, diesmal noch schlimmer, als beim ersten Mal. Wieder dauerte es fünf furchtbare unendliche Monate, bis ich freigelassen wurde. Danach war ich traumatisiert, depressiv und stark entmutigt. Ich hatte kein Geld mehr, um mich und meine Familie zu versorgen.

In dieser Zeit kam Dr. Mohammed El Baradie nach 25 Jahren aus Österreich wieder nach Ägypten zurück. Es war ein Hoffnungsschimmer. Aber bei den Parlamentswahlen 2010 erlosch diese Hoffnung wieder mit einem Schlag. Obwohl El Baradei bei der Bevölkerung sehr beliebt war und viele ihre Hoffnungen in ihn gesetzt hatten, gewann Mubaraks Partei die Wahl mit 98%. Es konnte sich wieder nur um absoluten Wahlbetrug handeln.

Politisch unmöglich

Damals hatte ich den Glauben an eine Wende zum Besseren verloren. Ich wurde sehr depressiv. Zumal meine Angst groß war wieder vor der Geheimnispolizei festgenommen zu werden. Da wurde mir bewusst, daß ich nicht weiter mit dieser bedrohlichen Situation leben konnte und beschloss aus Ägypten zu fliehen.

Mit Hilfe eines Freundes bekam ich ein Visum in die Türkei. Um aber aus Ägypten herauszukommen, musste ich die Polizei mit 30.000 ägyptischen Pfund (ca. 5.000 €) bestechen. So kam ich bei der Passkontrolle durch und erreichte Istanbul am 8. Dezember 2010. Es sollte weitere 4 Jahre dauern, bis ich endlich in Österreich ankam und bleiben konnte. In dieser Zeit hatte ich mehrmals versucht über Rumänien nach Österreich zu kommen, wurde aber immer wieder zurückgeschickt. Beim letzten Mal nahm ich einen Umweg über Norwegen. Via Dublin erreichte ich schließlich am 20. Dezember 2013 Österreich. Am 1.Oktober 2014 kam ich endlich nach Innsbruck.

Seitdem bin ich hier und warte auf mein erstes Interview. Mir wurde gesagt, daß ich warten müßte, bis sie mit den Syrern "fertig" wären. Aber ich frage Euch: wann wird das sein? Wird das überhaupt irgendwann sein?
In der ganzen Zeit, in der ich nun in Österreich bin, wurde ich nie wirklich gefragt, warum ich Ägypten verlassen habe. In dieser ganzen Zeit durfte ich nicht arbeiten, nicht studieren, nicht reisen.

Mein größter Wunsch wäre es, meine kranke Mutter, die ich in Kairo zurücklassen musste, noch einmal sehen zu dürfen, bevor sie stirbt, denn sie ist sehr krank....

Anna Greissing führte die Gespräche mit den Flüchtlingen zum Projekt "Flüchtlinge erzählen" | Foto: privat
Anna Greissing im Gespräch mit Moussa | Foto: privat
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