Inklusions-Demo
Menschen mit Behinderung fordern Taten statt Worte

Menschen mit Behinderung fordern die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. | Foto: Michael Steger
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"Wir fordern die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention" lautete der einhellige Tenor, der Demonstrationsveranstaltung, die von ÖZIV Tirol und Integration Tirol am Mittwoch in der Innenstadt abgehalten wurde.  Die Konvention wurde vor 14 Jahren von Österreich unterzeichnet, doch noch immer ist sie nur halbherzig umgesetzt. 

INNSBRUCK. Lautstark forderten heute die Teilnehmer und Redner der Inklusions-Demo die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Hannes Lichtner vom ÖZIV Tirol und Roman Scamoni von Integration wollen "verbindliche, messbare Ziele und die dafür nötige Finanzierung, daher haben sie mit ihren Organisationen zur Mahnwache in der Innsbrucker Innenstadt geladen. Dem Aufruf folgten zahlreiche Betroffene, Angehörige, Interessensvertretungen vom Menschen mit Behinderungen sowie Dienstleister aus dem Bereich der Behindertenarbeit. Auslöser für die österreichweit koordinierten Proteste ist der ungenügende Nationale Aktionsplan (NAP)Behinderung. Trotz massiver Kritik wurde dieser im Juli 2022 beschlossen.

Selbstbestimmung

"Uns reicht es, wir wollen unsere Rechte", sagt Roman Scarmoni. Peer-Beraterin Christine Riegler erklärt weiters, dass "Menschen mit Behinderung kein Mitleid brauchen. Wir sind keine hilflosen Geschöpfe, auch wenn viele von uns auf Unterstützung im Alltag angewiesen sind. Wir sind eine politische Minderheit und fordern daher unsere Rechte ein. Wir haben ein Recht darauf, selbst zu bestimmen, wie wir leben wollen. Wir haben ein Recht darauf, selbst zu entscheiden, wo und wie wir leben wollen und wir haben ein Recht darauf, an der Gesellschaft teilzuhaben und die Gesellschaft mitzugestalten, mitzureden und nicht ausgegrenzt zu werden. Wir haben ein Recht darauf, selbst zu bestimmen, wer uns unterstützen soll und wie uns geholfen werden soll. Dafür brauchen wir die persönliche Assistenz." Persönliche Assistenz gilt als Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben und wird in der UN-Behindertenkonvention auch explizit genannt.

Roman Scamoni und vielen anderen Menschen mit Behinderung reicht es.  | Foto: Michael Steger
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Barrierefreiheit

Lydia Kremslehner ist ehrenamtlich bei der Nutzerinnenvertretung, einem Gremium des Landes Tirol, das die Politiker und Beamte berät. Sie fordert Barrierefreiheit. "Barrierefreiheit heißt, dass jeder Mensch selbstbestimmt leben kann, wie Menschen ohne Behinderung. Jeder Mensch steht einmal vor Barrieren, vor allem in einer Gesellschaft, wo Menschen immer älter werden. Barrierefreiheit muss umfassend sein, egal ob wir in den Urlaub fliegen, Sport machen, aufs Klo gehen, Kunstwerke erschaffen, Liebe machen, ob wir Leistungen erbringen, im sozialen Austausch sind oder Kinder bekommen möchten. Menschen mit Sehbehinderungen brauchen Brailleschrift, Menschen mit Hörbehinderungen brauchen Gebärdensprachdolmetschen, sie wollen auch in der Gesellschaft dabei sein", fasst Kremslehner einige Bereiche zusammen, wo Menschen mit Behinderung noch immer nicht ausreichend berücksichtigt werden. "Wir wollen keine Sonderbehandlung, wir wollen, dass Barrierefreiheit umfassend gedacht wird." ergänzt Kremslehner. 

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Aufnahmestopp in Sonderschulen

Inklusive Bildung bedeutet, dass Menschen mit Behinderung, mit Menschen ohne Behinderung in dieselbe Schule gehen. "Die Zeiten sind mittlerweile wieder vorbei, dass Kinder mit Behinderung mit Kindern ohne Behinderung in die Schule gehen. Mittlerweile werden Kinder mit Behinderung auf Wartelisten nach hinten gereiht werden. Rechtlich ist es so, dass Kinder mit Behinderung aus der Pflichtkindergartenjahr ausgeschlossen werden. Als Krönung des Zynismus wird das politisch als Entgegenkommen an die Eltern verkauft." so Sonja Tollinger, die selbst Lehrerin ist. "Wir Lehrer müssen mutig voranschreiten und trauen und wollen und viele überzeugen. Warum müssen wir Menschen ausschließen, warum brauchen wir 29 Sonderschulen? Weil niemand den Mut hat, sich hinzustellen und daran zu arbeiten. Die Bundesschulen müssen ihr System der dauernden Ausgrenzung beenden. Wir wollen eine Schule, in dem jede Kind willkommen ist, ohne Wenn und Aber, ohne dass wir Eltern betteln müssen." ergänzt Tollinger und kritisiert die gebetsmühlenartigen Argumente, dass eine inklusive Schule nur Sinn mache, wenn man dahinter eine inklusive Gesellschaft hat. "Ich kann es nicht mehr hören, welche Funktion hat denn die Schule, wenn man ihr nicht einmal mehr die Funktion zugesteht, die Gesellschaft zu bilden? Wie soll das geschehen, wenn wir von Anfang an Kinder verstecken, versperren und an der Gesellschaft teilhaben lassen?" 

Patrizia Egger machte auf fehlenden Gewaltschutz für Frauen mit Behinderung aufmarksam. | Foto: Michael Steger
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Gewaltschutz

Menschen mit Behinderungen werden in vielen Bereichen des Lebens nicht mitgedacht, wie auch Patrizia Egger von Selbstbestimmt Leben weiß: "Frauen mit Behinderungen sind extrem oft Gewalt ausgesetzt, daher braucht es genügend barrierefreie Notschlafstellen und genügend Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung. Wir geben nicht auf und wer dem dafür auf die Straße gehen, bis sich etwas ändert. 

Einige politische Vertreter nahmen den Forderungskatalog entgegen.  | Foto: Michael Steger
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Marsch zum Landhaus

Im Anschluss an die zahlreichen Redebeiträge machte sich die Protestversammlung auf und marschierte in einem Demonstrationszug zum Landhaus, um dort den Forderungskatalog zu übergeben. Der Einladung diesen Anzunehmen folgten – in alphabetischer Reihenfolge – die Grünen, die FPÖ, die NEOS und die SPÖ. „Leider waren nicht alle im Tiroler Landtag vertretenen Parteien vor Ort, um unsere Forderungen entgegenzunehmen. Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Menschen mit Behinderungen weiterhin laut und deutlich für ihre Rechte einstehen müssen – damit sie endlich gehört und berücksichtigt werden“, so Hannes Lichtner und Roman Scamoni im Namen aller unterstützenden Organisationen abschließend.

Die Forderungen im Überblick

  • Ein inklusives Bildungssystem: Alle Menschen lernen zusammen
  • Bedarfsgerechte, bundeseinheitliche Persönliche Assistenz: Jeder und jede bekommt die Unterstützung, die er oder sie braucht.
  • Barrierefreiheit: Alle Menschen haben Zugang zu Gebäuden, zu Information, zum Internet
  • Arbeit: Gehalt (kein Taschengeld) für alle, die arbeiten.
  • Teuerung kompensieren und Armut bekämpfen: Jeder bekommt genug Geld zum Leben

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