Tanz, Performance, Poesie. Die neue Produktion von OFFTANZTIROL (ehem. Tanz 41)

Tanz, Performance, Poesie. Die neue Produktion von OFFTANZTIROL (ehem. Tanz 41)
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Ein Tanzabend der Interaktionen

Drei in Tirol lebende Choreograph/innen und eine Autorin gestalten am 20. und 21. November im Haus Vier und Einzig einen poetisch vielschichtigen Tanz- und Performanceabend.

Tanz, Performance, Poesie: So lautet der Titel des aktuellen und Genre übergreifenden Tanzprojektes von OFFTANZTIROL (vormals Tanz 41), bei dem Eva Müller, Paolo Baccarani und Benito Marcelino gemeinsam mit der Autorin Christine Frei drei Stücke präsentieren werden, die trotz ihrer thematischen, bild- und körpersprachlichen Unterschiedlichkeit doch eine zentrale Gemeinsamkeit aufweisen. Denn alle drei Arbeiten sind letztlich das Ergebnis vielschichtiger Interaktionen, zwischen ich und du, innen und außen, jung und alt, Mann und Frau, Animus und Anima und dem, was Menschen bedingt durch ihre Herkunft und Rollen in den verschiedenen ihnen zugewiesenen geschichtlichen wie realen Räumen widerfährt, was sie ebendort behindert und bewegt.

Die Innsbrucker Tänzerin und Choreographin Eva Müller zeigt mit 'chiaroscuro' etwa jenes Solo, das sie heuer als Residenzkünstlerin des Festivals durch:formen und im Auftrag des Center for Choreography Bleiburg im Steinhaus von Günther Domenig am Ossiachersee erarbeitet hat. Das Stück repräsentiert dabei ihre ganz persönliche (weibliche) Antwort auf die gleichermaßen geniale wie einschüchternd dominante (männliche) Architektur und Atmosphäre dieses Künstlerhauses, bei der sie sowohl Sichtbares wie Unsichtbares, Offenkundiges wie Verborgenes, Bewusstes wie Verdrängtes, Wohlgefälliges wie Angst- und Schambesetztes auszuloten versuchte. In ihrer Performance entwickelte Müller über Kostüm und Körper eine Art Gegenarchitektur, mit der sie sowohl den manifesten wie den lauernden Gefühlskörpern in den jeweiligen Räumen zu begegnen bzw. mit diesen zu interagieren versuchte. Dabei spielt sie mit der Gewandarchitektur eines Reifrockes, schlüpft in die Rolle des Showgirls und (inter-)agiert zudem als wandlungsfähiges Gefühlsmedium.

Der aus Mailand stammende zeitgenössische Choreograph und Performer Paolo Baccarani nimmt in seiner 2015 entwickelten Soloperformance 'Europe on the Beach' zwar unmissverständlich Bezug auf die zweifellos größte Flüchtlingsbewegung, mit der sich Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges konfrontiert sieht, er stellt sie aber gleichzeitig als ‚kolonialistische Erzählung’ in einen eindeutigen politischen und historischen Kontext. Baccarani schreckt dabei selbst vor einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft(sfamilie) nicht zurück, war doch sein Großvater Faschist und kämpfte als Offizier
im letzten italienisch-äthiopischen Kolonialkrieg. Die Krux des aktuellen Problems findet er bezeichnenderweise bereits in den geistesgeschichtlich-mythologischen Ursprüngen unserer westlichen Zivilisation: Denn so wie einst das Schicksal der von Zeus entführten phönizischen Königstochter Europa am Strand von Sidon im heutigen Libanon seinen Lauf nahm (er setzte sie bekanntlich in Kreta ab), treibt es nunmehr die Opfer des von uns stillschweigend mitgetragenen Neokolonialismus an Europas Strände. Baccarani arbeitet bei Europe on the Beach übrigens nicht nur mit den klassischen Gestaltungsmitteln der Performance (wie Symbolik, Ritus, Überzeichnung), er verwendet für seine Interaktion mit dem Publikum auch biographisches Material und Videos des legendären niederländischen Konzeptkünstlers Bas Jan Ader.

Benito Marcelino, einst gefeierter Solist beim renommierten Stuttgarter Ballett und mittlerweile international gefragter Choreograph und Tanzcoach, wagte sich in seinem Tanzstück an die Interaktion mit einem dichten lyrischen Text der Autorin Christine Frei. Die gab ihm zunächst ihren 2005 geschriebenen eRose-Zyklus, eine lyrische Paraphrase über die (missglückte) Begegnung von Eros und Psyche, welche mit dem Erwachen der Rose als sich selbst vermählter Braut endet. Da jener Text primär die Gefühlswelten von Psyche und Aphrodite als deren Wächterin widerspiegelt und sie für das gemeinsame Projekt 'Interaction' auch Eros eine Stimme geben wollte, schrieb Frei für Marcelino diesen Sommer noch den Gegenzyklus ERos Reply. Der formte in seiner szenisch-choreographischen Umsetzung, für die er beide Zyklen ineinander verwob, ein dichtes Geflecht von innerpsychischen, zwischenmenschlichen, geschlechts- wie genreübergreifenden Interaktionen. So treffen Mann und Frau auf Mann im Frau und Frau im Mann, auf das eigene wie das andere innere Kind, trifft Liebe auf Eros, Gegenliebe auf Gegenwind, Schauspiel auf Tanz, Wort auf Musik. Marcelino wird in seiner ersten OFFTANZTIROL-Produktion freilich nicht nur inszenieren, sondern (als Ersatz für den leider verletzungsbedingt ausgefallenen Hauptdarsteller) auch selbst den Part des ER(os) übernehmen. Die Schauspielerin Luka Oberhammer spielt und tanzt sein weibliches Gegenüber, der 13-jährige Lorenz Weiss jene des inneren Kindes. Für die Rolle des Anteros (der Gegenliebe) konnte Marcelino zudem Constanze Korthals gewinnen, die Tanzbegeisterten noch als ausdrucksstarke Solotänzerin aus der Ära Birgit Scherzers am Tiroler Landestheater bestens in Erinnerung sein dürfte. Der 16-jährige Musikgymnasiast Eneas Leon Weiss wird ihren Auftritt mit Chopins Andante Spianato am Klavier begleiten. Marcelinos Ballettelevinnen Sibylle Moser, Tonja Sauper und Elisabeth Stoß verkörpern indessen die verschiedenen widerstreitenden emotionalen Stimmungen.

'Tanz, Performance, Poesie' ist die erste abendfüllende Produktion seit der Umbenennung des Vereins Tanz 41 in OFFTANZTIROL. Das erklärte Ziel des rührigen Vereins ist es, der ebenso lebendigen wie vielschichtigen freien Tanzszene einen entsprechenden Nährboden sowie ein professionelles Forum für Weiterentwicklung und Präsentation zu bieten. Der aktuelle Tanzabend 'Tanz, Performance, Poesie', der am 20. und 21. November im Haus Vier und Einzig über die Bühne gehen wird, ist zweifelsohne ein weiteres starkes Zeichen dieser künstlerischen Vielfalt.

DAS PROGRAMM:

Eva Müller: Chiaroscuro 
Paolo Baccarani: Europe on the Beach 
Benito Marcelino & Christine Frei: Interaction 

DIE MITWIRKENDEN:

Eva Müller 
Paolo Baccarani 
Constanze Korthals 
Luka Oberhammer 
Christine Frei 
Benito Marcelino 
mit 
Sibylle Moser 
Tonja Sauper 
Elisabeth Stoß 
Lorenz Weiss 
Eneas Leon Weiss 

Wann: 20.11.2015 20:30:00 Wo: Haus Vier und Einzig, Haller Str. 41, 6020 Innsbruck auf Karte anzeigen
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