Bildung
Über Innsbrucks Schüler und die "nicht-deutsche Muttersprache"

Die FPÖ spricht von besorgniserregenden Zahlen, Elli Mayr klärt auf. | Foto: pixabay
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INNSBRUCK. Seit einigen Jahren gehören die Anfragen über den Anteil der Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache im Tiroler Landtag zu Standardprogramm der Tiroler Freiheitlichen. Diesmal wurde die Anfragenserie an die Bildungslandesrätin Beate Palfrader von Christofer Ranzmaier eingebracht und spricht, entsprechend der FPÖ-Aussendung, von "besorgniserregende Zahlen." Das Stadtblatt hat dazu bei Bildungsstadträtin Elisabeth Mayr nachgefragt.

Chancengerichtigkeit

„Den urbanen Raum mit kleinen Landgemeinden zu vergleichen, greift zu kurz. Insbesondere Städte mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner zeichnen sich in Europa durch kulturelle Vielfalt, Internationalität und Mehrsprachigkeit aus, mit allen damit verbundenen Vorteilen und Chancen und auch Herausforderungen etwa im Bildungsbereich, wo es vor allem gilt Chancengerechtigkeit herzustellen“, erklärt Stadträtin Elisabeth Mayr.

Chancen fördern – für alle Kinder

Für die SPÖ-Bildungsstadträtin ist klar: „Das heißt, alle Kinder haben das Recht auf gute Bildung und Förderung von Anfang an. Welche Chancen ein Kind hat, darf nicht von der Geldtasche oder dem Bildungsgrad der Eltern abhängen. Das ist die Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, unabhängig davon, ob ein Kind in einer kleinen Talgemeinde aufwächst oder in einer größeren Stadt“, stellt Mayr klar. Die Einkommensverhältnisse und der Bildungsgrad von Eltern entscheiden in Österreich nach wie vor viel zu stark, welche Bildungs- und Berufslaufbahn ein Kind einschlagen kann und welche Möglichkeiten, die Talente zu entfalten und auszubilden, ein Kind vorfindet. „Das ist die Schieflage, die wir entschlossen bekämpfen müssen. Wenn ein Kind weniger finanzkräftige Eltern hat, ist das Notebook, der Drucker, das WLAN nicht drin, das es beispielsweise beim Homeschooling und in Zukunft auch generell braucht. Für die Sozialdemokratie war immer wichtig, dass kein Kind die Scham erleben darf, dass es zu Hause für Notwendige in der Bildung nicht reicht und deswegen Nachteile in der Bildung und im sozialen Miteinander mit anderen Kindern hat“, betont Mayr und erinnert an die Gratis-Schulbuch-Aktion der Kreisky-Ära.

Situation in Innsbruck

„Besonders in der Landeshauptstadt sind die Entwicklungen besonders schwerwiegend, die in allen drei Rankings (Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache an Kindergärten & Schulen sowie Kinder mit muslimischem Glaubensbekenntnis an Tiroler Schulen) im Spitzenfeld zu finden ist und vereinzelte Stadtteile dabei jede einzelne Tiroler Gemeinde in den Schatten stellen“, formuliert Ranzmaier in der Aussendung weiter. „Konkret haben knapp 40,40 % der Kindergartenkinder sowie 48,39 % der Schüler an Landesschulen nicht Deutsch als ihre Muttersprache, einzelne Einrichtungen in den 'Problem-Stadtteilen' sprengen dabei sogar die 80 %-Marke. Beim Anteil von
muslimischen Schülern kommt Innsbruck unserer Auswertung zufolge auf 28,92 %, wobei hier Stadtteile wie das O-Dorf, Reichenau & Pradl knapp um die 50 %-Marke rangieren“, erklärt der Freiheitliche.

Zahlenmaterial

Laut Statistikfolder der Stadt Innsbruck leben rund 37.000 Ausländer (Inländer 95.846) in Innsbruck, davon kommen 56,3 Prozent aus den EU-Ländern und 10,5 Prozent aus Asien. 10,0 Prozent kommen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien und 7,8 Prozent aus der Türkei. Die Altersgruppe an Menschen bis zum 19. Lebensjahr beträgt in Innsbruck 22.848. In Österreich werden rund 250 Sprachen gesprochen.

Sprachförderung als Schwerpunkt

„Ob es einen Migrationshintergrund gibt oder nicht, entscheidet dagegen viel weniger über die Chancen von Kindern“, erklärt Mayr. „Was es für Kinder nicht deutscher Erstsprache, aber durchaus auch für Kinder mit Deutsch als Erstsprache vermehrt braucht, ist frühe und qualitativ hochwertige Sprachförderung in den Kindergärten, einerseits um den Spracherwerb zu fördern und auch um Mehrsprachigkeit von Anfang an zu unterstützen, denn Mehrsprachigkeit ist grundsätzlich ein Mehr und nicht ein Weniger und kann bei entsprechender Förderung ein großes Potenzial entfalten.“ In Innsbruck wurde die frühe Sprachförderung in den städtischen Kindergärten in den letzten Jahren deutlich ausgebaut. Für Schüler und Schülerinnen mit nicht-deutscher Erstsprache wurde das in Kooperation mit dem Jugendrotkreuz durchgeführte Programm „Deutsch im Sommer“ verstärkt und im letzten Sommer auf den vorschulischen Bereich erweitert. So konnten Kinder vor Schuleintritt in den Sommerferien ihre Deutschkenntnisse noch einmal festigen. Der Ausbau von Deutschangeboten für Frauen ist ein weiteres Anliegen, das für Mayr in der Bildung und Integration essentiell ist: „Wir haben insbesondere Angebote ausgebaut, die Deutschkurse mit Kinderbetreuung kombinieren, damit wir auch Mütter von Kindern erreichen. Diese Kurse werden sehr gut angenommen, zum Teil gibt es auch Wartelisten. Deshalb werden wir im März mit einem neuen Angebot in diesem Bereich durchstarten.“

Keine Trennung

„Wovon ich jedoch nichts halte – und das bestätigen auch Experten und Expertinnen im Bildungsbereich – sind Vorschläge, die Herausforderungen über Trennung bzw. Segregation von Kindern in jene mit deutscher Erstsprache und jene mit anderer Erstsprache zu überwinden. Trennen hilft nicht, sondern hat viele Probleme, vor denen wir heute stehen, erst verursacht. Die Empfehlungen von Fachleuten gehen alle in die Richtung der bestmöglichen Durchmischung. Kinder lernen am besten miteinander von voneinander, das gilt für die natürlich gesprochene Sprache genauso wie für andere Gegenstände. Und das gilt auch für den vorurteilsfreien, kompetenten Umgang mit Vielfalt und Unterschieden, aus denen eine freie, pluralistische Gesellschaft besteht“, sagt Mayr.

FPÖ-Sorge

„Gerade der Blick in unsere Kinderbetreuungseinrichtungen ist demographisch betrachtet auch ein Blick in die Zukunft unserer Gesellschaft. Und diese Zahlen, die hier am Tisch liegen, zeigen akuten Handlungsbedarf für die Politik auf allen Ebenen, um nachhaltig verhindern zu können, dass wir nicht irgendwann in den kommenden Jahrzehnten doch fremd im eigenen Land sind.“, fordert der Freiheitliche Landtagsabgeordnete.

Gemeinsames Schulmodell

Die trennenden Elemente im Bildungsbereich, etwa der frühe Druck durch die Entscheidung, vor der viele Eltern zittern, ob ein Kind aufs Gymnasium kommt oder nicht, hat zum Teil sehr kontraproduktive Folgen für die Entwicklung von Kindern . „In Südtirol geht man schon lange erfolgreich den Weg einer Gemeinsamen Schule der 6- bis 14-Jährigen. Hier wird nicht auseinanderdividiert und Angst und Druck erzeugt, sondern Schule wird vom Kind her gedacht, von den individuellen Schwächen, Stärken und Interessen. Das einzelne Kind wird dort gefördert und unterstützt, wo es das eben braucht. Und sogar im internationalen Leistungsvergleich wie etwa bei PISA schneiden Länder mit Gemeinsamem Schulmodell wie Südtirol weitaus besser ab als wir“, appelliert Mayr zu mehr Mut, Bildung endlich vom Kind her zu denken und das Bildungssystem österreichweit auf neue Füße zu stellen.

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