Zu dick für diese Welt

Für die dicken Heimkinder in Anne Leppers Stück "Seymour" gibt es in der schönen dünnen Welt keinen Platz mehr. | Foto: Schauspiel Innsbruck/Köll
  • Für die dicken Heimkinder in Anne Leppers Stück "Seymour" gibt es in der schönen dünnen Welt keinen Platz mehr.
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  • hochgeladen von Katharina Ranalter (kr)

Als größtes Dialogtalent seit Werner Schwab hat sie die ZEIT einmal beschrieben. Die Rede ist von der in Essen geborenen und seit ihrem Studium in Wuppertal lebenden Autorin Anne Lepper, die 2012 von Theater Heute zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres gewählt wurde. Also genau im Erscheinungsjahr jenes Stückes, das Frank Röder nun mit den SchülerInnen von Schauspiel Innsbruck Tirol als Abschlussproduktion erarbeitet hat. "Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier", das noch bis 1. Juli in der Alten Talstation am Rennweg zu sehen ist, ist ein ebenso eigenwilliges wie verstörendes Kinderdrama. Die ProtagonistInnen in Leppers Stück sind nämlich allesamt dicke Kinder, die von ihren Eltern in ein Sanatorium in den Bergen abgeschoben wurden. Dort sollen sie offenbar dünner werden oder sich einfach nur langsam dünnemachen. Denn Heimleiter Dr. Bärfuß, ganz offensichtlich ein Scharlatan oder möglicherweise auch nur Helfershelfer einer Gesellschaft, die sich den Anblick dicker Kinder nicht antun will, glänzt zwar durch physische Abwesenheit, ist dafür aber über seine eigenwilligen Glaubenssätze quasi omnipräsent. Die Kinder sind de facto sich selbst überlassen, vermutlich schon längst vergessen, sie kontrollieren und domestizieren sich jedenfalls selbst. Die Art und Weise, wie nun Lepper dieses Leben im Abseits in Dialoge fasst, ist ebenso hellsichtig grotesk wie schwindelerregend abgründig. Frank Röder demonstriert die Absurdität dieses Settings, das offenbar keine Fluchtmöglichkeit eröffnet, über einen konstanten Wechsel zwischen Realtime-Videos aus der Empfangshalle und klassischem Bühnenspiel in der Abfahrtshalle, wodurch man als Zuschauer/in diese um ihr Überleben strappelnden Kinder quasi ständig im Blick hat. Die Schauspielschüler/innen zeigen dabei eindrücklich, wie sich die verstoßene Körperlichkeit dieser Kinder mehr und mehr zu einem Gefängnis ausformt, aus dem es in unserer Fit for Fun-Welt offenbar kein Entrinnen mehr gibt. Ein aufwühlender Theaterabend.

Von Christine Frei

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