Kassenfusion
"Aufschrei" der Kärntner Gebietskrankenkasse

Haben große Sorgen, was die Kassenfusion betrifft: Rotkreuz-Präsident Peter Ambrozy, ÖGK-Obmann Andreas Huss, KGKK-Obmann Georg Steiner und KGKK-Direktor Johann Lintner (von links) | Foto: Gert Eggenberger
  • Haben große Sorgen, was die Kassenfusion betrifft: Rotkreuz-Präsident Peter Ambrozy, ÖGK-Obmann Andreas Huss, KGKK-Obmann Georg Steiner und KGKK-Direktor Johann Lintner (von links)
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Große Sorgen bereitet die beschlossene Kassenfusion den Vertretern der KGKK. Kärnten müsse 94 Millionen Euro an Wien abgeben. Dieses Geld würde man allerdings u. a. für regionale Verbesserungen benötigen.

KÄRNTEN. "Die Entscheidungen werden in Wien getroffen", sagt KGKK-Obmann Georg Steiner. Denn mit 1. Jänner 2020 gibt es keine Kärntner Gebietskrankenkasse (KGKK) wie gewohnt mehr. Sie wird zur Landesstelle der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). "Die Landesstellen werden entmachtet. In Zukunft gibt es einen Landesstellen-Ausschuss, der paritätisch besetzt ist. Bisher gab es zu vier Fünftel Arbeitnehmer-Vertreter und zu einem Fünftel Arbeitergeber-Vertreter. Im neuen Gesetz werden Arbeitnehmer-Vertreter hinausgedrängt und Wirtschaftsvertreter hineingeholt", kritisiert Steiner. Er ortet also eine "Machtverschiebung von Arbeitnehmer- hin zur Arbeitgeberseite". Die Wirtschaftsvertreter sind allerdings in der GKK nicht versichert, haben aber dasselbe Stimmrecht.

94 Mio. Euro wandern von Kärnten nach Wien

Landesstellen-Ausschüsse würden nichts mehr alleine entscheiden können, sie wären weisungsgebunden gegenüber Wien. Steiner: "Es ist ein völliger Umbruch. Wo wir bisher vor Ort die Probleme gelöst haben, sitzen in Zukunft die Entscheidungsträger in Wien – Personal-, Vertragspartner- und Budgethoheit." 
Kärnten sei ohnehin bei den Beitrags-Einnahmen strukturell benachteiligt. Den höchsten Schuldenstand gab es 2008 mit einem Minus von 136 Millionen Euro. Durch intensive Arbeit sei gelungen, das Minus abzubauen: Ende des Jahres 2019 rechnet man mit einem Plus von 98,6 Millionen Euro. Mit 1. Jänner 2020 müsse man aber 94 Millionen Euro davon nach Wien in die Zentrale abliefern.

Sorge wegen Finanzierung der Krankenanstalten

Dieses Geld würde man, so Steiner, allerdings dringend für Verbesserungen der Kärntner Gesundheitsversorgung benötigen, z. B. für neue Arztstellen, Erschwernis-Zulagen für Landärzte etc. "Ein großes Problem sehe ich auch, was die Finanzierung der Krankenanstalten betrifft", so Steiner. "Wie soll da der zukünftige Schlüssel sein? Wir als KGKK zahlen derzeit ca. 38 Prozent unseres Budgets in die Krankenanstalten-Finanzierung, das ist ein sehr hoher Schlüssel. Wenn dieser aber verändert wird, bedeutet das auch Mehrkosten für das Land und die Gemeinden." Die KGKK zahlt pauschal 242 Millionen Euro ein. 

Was passiert mit regionalen Projekten?

Wenn eine Zentrale die Budgethoheit hat, werde auf die Länder aufgeteilt. "Meine große Sorge dabei: Viele regionale Projekte, die wir auch in Kärnten entwickelt haben, können dann vielleicht nicht mehr entsprechend finanziert werden." 
Ein weiterer wichtiger Punkt für Steiner: Durch das künftig höhere Auftragsvolumen der ÖGK müssen nationale und internationale Ausschreibungen getätigt werden. Dann kämen mit Sicherheit weniger Kärntner Unternehmen zum Zug. Der Kärntner Wirtschaft würden so rund 25 Millionen Euro jährlich entgehen.  
Ebenso besorgt seien die Mitarbeiter, wie es weitergeht, ob alle Außenstellen bestehen bleiben etc.

"Anderer Prüfungsauftrag"

Weiters werde die Beitragsprüfung zur Finanzverwaltung übergeführt. "Die Finanz hat einen anderen Prüfauftrag als wir in der Kasse", ortet Steiner einen Verlust der Kontroll- und Schutzmechanismen für Arbeitnehmer.

Scharfe Kritik von ÖGK-Obmann

ÖGK-Obmann Andreas Huss bezeichnet sich als großen Kritiker der Kassenfusion: "Für Versicherte wird nichts besser! Die Ex-Regierung hat sich das auch gar nicht vorgenommen", zitiert er drei Ziele aus dem Vorblatt zum Sozialversicherungs-Organisationsgesetz:

  1. Strukturveränderung in der Österreichischen Sozialversicherung: Huss sieht darin eine Verschiebung der Machtverhältnisse, da nun sechs Vertreter (von zwölf) der Wirtschaft im ÖGK-Verwaltungsrat sitzen, obwohl sie (die Unternehmer) in der Versicherung gar nicht versichert sind und sie nichts einzahlen. 
  2. Senkung der Lohnnebenkosten für Dienstgeber: Huss: "Der Dienstgeber-Beitrag ist in Wirklichkeit etwas, das Arbeitnehmer erwirtschaftet haben. Wenn da die Beiträge gesenkt werden, warum gehört das Geld dann den Dienstgebern? Das werden wir rechtlich zu überprüfen haben."
  3. Zugang von privaten Gesundheitsdienstleistern im öffentlichen Gesundheitssystem erleichtern: Dies bedeute eine stärkere Privatisierung und mehr Markt für die Privatversicherungen, eine Katastrophe für Menschen, die sich eine solche nicht leisten können.

Leistungsharmonisierung gehe in falsche Richtung

Momentan beschäftigen sich 600 Arbeitnehmer der ÖGK mit 62 Fusionsprojekten. Sie hätten also keine Zeit, sich um die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems zu kümmern. 
Huss habe seit 2016 die Leistungsharmonisierung in den Kassen vorangetrieben. Das bedeutet, dass es österreichweit einheitliche Leistungen für alle Versicherten gibt – nicht nur für die neun Gebietskrankenkassen, sondern auch für Selbstständige, Beamte etc., also über alle Träger.
Die Ex-Regierung habe nur die Leistungsharmonisierung unter den neun Gebietskrankenkassen beschlossen. 

"Wo ist Patentienmillarde?"

Für die Fusion müsse man (die Versicherten) laut Huss 800 Millionen Euro im Jahr in die Hand nehmen: "Dies setzt sich aus einem zu erwartenden Einnahmen-Entgang aufgrund der Herausnahme der Beitragsprüfung aus der Sozialversicherung, Mehrkosten für einen neuen Ärzte-Gesamtvertrag, Geldverschiebungen zu Privatspitälern und der Beitragssenkung in der Unfallversicherung zusammen. Wo ist da die von der Regierung versprochene Patientenmillarde? Diese gibt es nicht als Einsparung, sondern als Mehrkosten." 
Wichtig wären den ÖGK-Funktionären die Themen Hausärzte-Versorgung oder die österreichweit unterschiedlichen Krankheitsbilder, die man nicht von Wien aus organisieren bzw. "bearbeiten" könne.
Durch die Fusionierung befürchtet Huss auch, dass gewisse Projekte zum Stillstand kommen – etwa welche im Rahmen der Versorgung von chronisch Kranken oder im Bereich der Polypharmazie. 

Huss fasst zusammen: "Diese Fusion wirft uns in der Weiterentwicklung der Versorgung um Jahre zurück, zusätzlich kostet sie uns 800 Millionen Euro im Jahr, zusätzlich werden wir keine einheitlichen Leistungen für alle Versicherten bekommen und das nur, damit die Ex-Regierung ihre Machtverschiebung umsetzen konnte."

Gefahr für Rotes Kreuz

Für das Rote Kreuz als wichtiger Vertragspartner äußert Präsident Peter Ambrozy seine Bedenken: "Die Kassenreform ist eine massive Verschiebung der Entscheidungsgewalt nach Wien. Warum haben die Länder das zur Kenntnis genommen?" Für das Rotes Kreuz komme der Vertrags- und Verhandlungspartner auf Landesebene abhanden: "Und zwar in zwei wesentlichen Bereichen: im Rettungs- und Krankentransportdienst und im Bereich der Laborleistungen für unsere Blutzentrale. Es wird für uns schwieriger werden, hier Verträge zu verhandeln, und in der Lage zu sein, auf regionale Bedürfnisse, die spontan entstehen, zu reagieren und Lösungen zustande zu bringen."

Wie geht es mit Finanzierung weiter?

KGKK-Direktor Johann Lintner umreißt die Leistungen der KGKK, die er gefährdet sieht. Als Beispiele bringt er die multimodale Schmerztherapie, die ambulante geriatrische Remobilisation, den Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung für Kinder und Jugendliche, das Polypharmazieboard in Kärnten oder Projekte im MR- und CT-Bereich. "Wie es mit der Finanzierung und der Fortsetzung dieser so wichtigen Versorgungsangebote aufgrund der neuen Struktur weitergeht, ist ungewiss. Da den Landesstellen kaum noch Verantwortung zukommen soll, gibt es auch einen großen Know-how-Verlust", so Lintner.

Einige angesprochene Punkte wurden beim Verfassungsgerichtshof eingeklagt. 

Reaktion der FPÖ: "Klagelied der KGKK"

Für den Kärntner FPÖ-Gesundheitssprecher Harald Trettenbrein ist dieser "Aufschrei" der KGKK ein "Klagelied": "Die bisherige Verwaltung durch die Kärntner Gebietskrankenkasse war nicht so, dass man ihr eine Träne nachweinen muss, wenn in Zukunft die Österreichische Gesundheitskasse den Kurs vorgeben wird."
Die GKK gelte als "Hort von Privilegien", als eine Kasse mit hohen Eigenbeiträgen und mit zu wenigen Vertragsfachärzten. "Die neue Gesundheitskasse verdient jedenfalls eine faire Chance, es besser zu machen", so Trettenbrein. 

Reaktion der SPÖ: "Kassenfusion ist gescheitert"

Die Kärntner SPÖ mit Landesgeschäftsführer Andreas Sucher unterstreicht die Kritikpunkte der KGKK. Sucher: "LH Peter Kaiser hat ausdrücklich vor dieser Fusion gewarnt. Die Gesundheitsreferentin des Landes Kärnten, LH-Stv. Prettner, hat mehrmals auf die zu erwartenden Nachteile für die Kärntner Patienten hingewiesen."
Sucher fragt: "Ging es bei dieser Fusion wirklich um die Versicherten oder doch eher um Profite und Rendite?"

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Die Kassenfusion:
Aus 21 Sozialversicherungsträgern werden fünf, diese wären: 

  • Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) – Fusion der neun Gebietskrankenkassen
  • Sozialversicherung für Selbstständige (Gewerbe und Bauern)
  • Versicherungsanstalt für den Öffentlichen Dienst (Beamte und "Eisenbahner")
  • Pensionsversicherung
  • Unfallversicherung

Die ÖGK wird also der zentrale Träger für die neun Gebietskrankenkassen. Mit 1. Jänner 2020 gibt es die KGKK nicht mehr – sie wird eine Landesstelle der ÖGK.

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