Gewalt an Frauen – Realität hinter verschlossenen Türen der Nachbarschaft

Irene Schelkle und Susanne Gröbner (v. li.) vom Mädchen- und Frauenberatungszentrum St. Johann.
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  • Irene Schelkle und Susanne Gröbner (v. li.) vom Mädchen- und Frauenberatungszentrum St. Johann.
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ST. JOHANN (elis). Mittwoch, kurz vor 9 Uhr früh. Susanne Gröbner von der Mädchen- und Frauenberatungsstelle in St. Johann wartet vor dem unscheinbaren Eingang der Räumlichkeiten im Schwimmbadweg. Gröbner, die Obfrau des Vereins „Mädchen- und Frauenberatungszentrum Bezirk Kitzbühel“ winkt mir zu, um auf sich aufmerksam zu machen. Neben ihr steht eine junge Frau und grüßt mit einem freundlichen Lächeln. Frau Gröber bittet mich in den Beratungsraum, um mir mit ihrer Kollegin einen Einblick in ihre Räumlichkeiten zu gewähren. Ihre Kollegin, Beraterin, Mediatorin und Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester, Irene Schelkle, wartet bereits im Zimmer.

Die Dame vor der Tür ist jemand anders. Sie bleibt draußen, bis wir unser kurzes Gespräch beendet haben. Sie ist eine der Frauen, die Hilfe brauchen. Die erste von zumindest Dreien, die sich für diesen Vormittag angemeldet haben.

1.114 Übernachtungen, 668 Beratungen per Mail, telefonisch oder im persönlichen Kontakt, Workshops und Infoveranstaltungen über das ganze Jahr – das ist keine Bilanz einer Tourismusveranstaltung, es ist die Bilanz des Mädchen- und Frauenberatungszentrums in St. Johann. Das Beratungszentrum im Schwimmbadweg 3a ist Mo. und Mi. von 10 – 12 Uhr und am Do. von 16.30 bis 18 Uhr besetzt. Nachmittags- und Abendtermine für berufstätige Frauen finden nach telefonischer Vereinbarung statt.

Gewalt ist Realität – in unserer Nachbarschaft

Das Mädchen und Frauenberatungszentrum Kitzbühel ist eine Institution, die in ihren Kapazitäten ausgelastet ist und immer mehr Angebote für Frauen und Mädchen bereitstellt. Warum? Weil der Bedarf da ist. Weil Gewalt an Mädchen und Frauen Realität ist. Hier, im Bezirk Kitzbühel. Jeden Tag, in unserer Mitte.

„Wer sich nicht betroffen fühlt, soll doch bitte einmal kurz daran denken, dass er vielleicht keine Tochter oder keine Schwester hat, aber jeder hat doch zumindest eine Mutter“, so Susanne Gröbner. „Ein bisschen werden wir nach wie vor belächelt, dabei merken wir täglich, wie dringend wir gebraucht werden. Von den Frauen aus dem Bezirk – zum allergrößten Teil von Inländerinnen.“  Die Arbeit, die die Mitarbeiterinnen des Mädchen- und Frauenberatungszentrums leisten, ist demnach auch keine politische oder feministische Arbeit – es ist eine gesellschaftlich höchst wichtige Arbeit, es ist Menschenrechtsarbeit.

Gewalt hat viele Gesichter

Susanne Gröbner bittet mich nach dem kurzen Besuch in den Beratungsräumlichkeiten in ein Café ums Eck. Die Beratung der Frau, die schon in der Früh vor der Tür gewartet hat, übernimmt ihre Kollegin. Obwohl der Eingang zur Beratungsstelle nicht direkt von der Straße aus einsehbar und das Schild an der Türe absichtlich dezent gehalten ist, um den wartenden Frauen keinen „Stempel“ aufzudrücken, bin ich sicher, dass es eine große Herausforderung ist, den Schritt in den kleinen Raum in St. Johann zu wagen. Menschen kennen einander, begegnen einander, anonym ist, vor allem im ländlichen Raum, nur, was hinter verschlossenen Türen passiert. Eine teuflische Wahrheit – wenn es um Gewalt in den eigenen vier Wänden geht.

Immer wieder werden Studien veröffentlicht, die erschreckende Zahlen preisgeben. Und doch ist das Problembewusstsein für Gewalt an Frauen, Gewalt in der Familie und sexuelle Gewalt in Österreich gering.  Noch immer gibt es viele Männer und auch Frauen, die Gewalt in der Partnerschaft, häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt in einer Beziehung oder auch sexistische Gewalt am Arbeitsplatz nicht so schlimm finden. Die Zahlen spiegeln eine Einstellung wider, die zum einen auf höchst patriarchale Strukturen in Österreich schließen lässt und zum anderen darauf, dass das Problem vielerorts unter den Teppich gekehrt wird.

In Österreich hat jede fünfte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. 15 Prozent der Frauen haben Stalking erlebt. Jede dritte Frau hat eine Form der sexuellen Belästigung erlebt. Psychische Gewalt durch ihren Partner haben 38 Prozent der Frauen erlebt. Jede dritte Frau in Österreich war bereits Opfer von sexualisierter Gewalt. Sie wurde vergewaltigt, versucht vergewaltigt oder zu sexuellen Handlungen genötigt, die sie nicht wollte. 56,8 Prozent der Frauen haben bereits körperliche Gewalt erfahren. Jede dritte Frau eine leichte Ohrfeige, 5 Prozent wurden verprügelt. In Österreich wird jede fünfte in einer Beziehung lebende Frau von ihrem Ehemann oder Lebensgefährten misshandelt. Jede fünfte Frau wird misshandelt.

Frauen ertragen die Leiden, die ihnen zugefügt werden, oft sehr lange. Wenn sie dann die Möglichkeit einer Trennung in Betracht ziehen, kommen weitere Probleme auf sie zu. Psychische Gewalt, so Gröbner, ist viel mehr als wir uns vorstellen. „Wenn du mich verlässt, nehm' ich dir die Kinder weg“, ist eine Drohung, die angesichts oft teilzeit arbeitender oder nur geringfügig beschäftigter Frauen eine große Angst und Verunsicherung auslösen kann. Was wenn er die Kinder bekommt, weil er mehr verdient, vor Gericht glaubhaft machen kann, dass er besser für die Kinder sorgen kann?

Abhängigkeit und das Wissen um die eigenen Rechte

Frauen, die von Gewalt betroffen sind, leben nicht immer aber häufig in einer fatalen Kombination. Einerseits sind sie finanziell von ihrem Partner abhängig, andererseits wissen sie oft nur sehr wenig über ihre Rechte und Möglichkeiten bescheid. Die Beratungsschwerpunkte der Frauenberatung spiegeln diese Situation wider: Finanziell Existenzsicherung, Wohnungsprobleme, psychische Überlastung, Gewalt und Ehe- und Partnerschaftsprobleme – das sind die häufigsten Beratungsthemen.

„Eine billigere Putzfrau als dich bekomme ich nicht mehr,“ ist ein Spruch, den Frauen zu hören bekommen - der auf diese fatale Abhängigkeit hindeutet. Oder auch: „So lange deine Füße unter meinem Tisch sind, tust du, was ich sage.“ Der größte Teil der Frauen, die Beratung und Hilfe suchen ist 35-55 Jahre alt, verheiratet und hat ein oder zwei Kinder.

Schnelle, unbürokratische Hilfe

Die Beratungen des Mädchen und Frauenberatungszentrums sind kostenlos. Die Beratungsstelle arbeitet parteilich (also immer im Sinne der Frauen) und anonym. Zudem stehen drei Übergangswohnungen zur Verfügung, die von Frauen mit ihren Kindern in Notsituationen für begrenzte Zeit genützt werden können. Diese Wohnungen wurden 2016 von 10 Frauen mit jeweils bis zu zwei Kindern mit insgesamt 1.114 Übernachtungen in Anspruch genommen. „Wir möchten Frauen dazu bringen, dass sie selbstbestimmt werden und ihr Leben wieder in den Griff bekommen“, so Gröbner.

Obwohl die Akzeptanz in der Bevölkerung grundsätzlich gut ist und die Beratungsstelle keine Probleme mit etwa „verärgerten“ Männern verzeichnet, wird das Problem vielerorts belächelt oder verleugnet. „Ich schicke unseren Tätigkeitsbericht aus und bekomme trotzdem von manchen Entscheidungsträgern zu hören, dass das doch ein Problem von Ausländern sei und „bei uns“ nicht so wäre. Dabei ist der größte Teil der betroffenen Frauen Inländerinnen, Einheimische“, so Gröbner weiter. Information, so die Expertin, sei das Wichtigste. „Das darf er nicht“, muss in den Köpfen der Menschen verankert werden. Je mehr Frauen um ihre Rechte wissen, umso besser.

„Daher haben wir zur Zeit besonders die Mädchen im Fokus unserer Arbeit. Wir wollen Mädchen stärken, ihnen erklären, dass sie ihre Grenzen ziehen dürfen. Daher bieten wir Workshops für diese Zielgruppe. Diese fanden 2016 in der HAK Kitzbühel und im JUZ in St. Johann statt. Außerdem stehen Selbstverteidigungskurse auf dem Programm. Der nächste etwa am Sa, 25. 3. und Sa, 1. 4. jeweils von 9 - 12.30 Uhr im JUZ/St.Johann.
Der Kurs wird von Trainer Alexander Pacher gehalten und bietet Frauen und Mädchen ab 14 Jahren die Möglichkeit, Methoden zu lernen, die ihnen bei Übergriffen gezielt helfen können. 25 € kostet der Kurs pro Person. Anmeldungen und Infos über info@frauenberatung-stjohann.at.

Nach zwei Stunden verabschiede ich mich von Frau Gröbner. In dieser Zeit, so wird mir bewusst, haben drei Frauen die Hilfe der St. Johanner Institution in Anspruch genommen. Hoffentlich, denke ich, haben sie die Kraft, sich für einen selbstbestimmten Weg zu entscheiden. In dieser Zeit, auch das wird mir bewusst, wurden in Österreich Frauen geschlagen und gedemütigt. Denn jede Fünfte von uns lebt in einer Partnerschaft, in der Misshandlung den Alltag bestimmt.

Infos und Kontakt

Mädchen und Frauenberatung Kitzbühel
Schwimmbadweg 3a, 6380 St. Johann
05352/62222
info@frauenberatung-stjohann.at
www.frauenberatung-stjohann.at

Irene Schelkle und Susanne Gröbner (v. li.) vom Mädchen- und Frauenberatungszentrum St. Johann.
Selbstverteidigungskurs für Mädchen und Frauen | Foto: privat
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