WKOÖ-Präsidentin Hummer: Abwanderung von Unternehmen wegen Fachkräftemangel droht

Oberösterreichs Wirtschaftskammer-Präsidentin Doris Hummer: Der Fachkräftemangel hemmt das Wirtschaftswachstum. | Foto: Maybach
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BezirksRundschau: Fast jedes Unternehmen beklagt bereits einen Fachkräftemangel – wie soll das weitergehen?
Hummer: Acht von zehn Betrieben klagen, dass sie nicht genug oder nicht die richtigen Bewerber für ausgeschriebene Stellen bekommen. Dem gegenüber stehen rund 33.000 Arbeitslose in Oberösterreich, die entweder eine falsche Ausbildung haben oder aus anderen Gründen nicht am Arbeitsmarkt einsetzbar sind. Wir haben eine Situation, die tatsächlich Wirtschaftswachstum hemmt. Das hat Folgewirkungen: Ein Unternehmen, das hier nicht wachsen kann, wird es woanders tun. Es geht also nicht nur darum, dass Wachstum verloren geht, sondern dass der gesamte Betrieb hier vielleicht keine Zukunft hat. Das ist ein wirklich kritischer Befund für unsere Betriebe in Oberösterreich.

Der Wirtschaftsmotor würde ja gerade richtig brummen ...
Die Auftragsbücher sind voll, es ist sogar eine Tendenz zu einer Überhitzung spürbar. Denn viele Unternehmen haben zu Beginn des Jahres ganz, ganz viele Aufträge angenommen. Sie bekommen aber jetzt nicht die Leute, um die Aufträge zeitgerecht abzuwickeln. Da sehe ich ein riesiges Gefahrenpotenzial für die kommenden Jahre, wenn wir das nicht in den Griff bekommen.

Hälfte der JKU-Studierenden macht keinen Abschluss –

"und die wollen wir"

Laut Prognosen wird sich der Fachkräftemangel aber immer weiter verschärfen ...
Ja, aber wir müssen so ehrlich sein und sagen: Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung und wir brauchen neue Zielgruppen, die wir erschließen müssen. Deshalb haben wir uns als Wirtschaftskammer das Thema "Fachkräfte & Bildung" als eines von fünf Kernthemen in unserem Masterplan vorgenommen und gesagt: Wir brauchen neue Lösungen. Eine davon ist unsere Duale Akademie. Die Zielgruppen Maturanten und Studienabbrecher sprechen wir damit gezielt an, um sie für eine duale Ausbildung auf hohem Niveau zu gewinnen. Die haben wir im Moment nicht am Arbeitsmarkt. Das verrückte Phänomen: Einerseits fehlen uns die Leute am Arbeitsmarkt, andererseits macht die Hälfte der 20.000 Studierenden an der Johannes Kepler Uni keinen Abschluss. 10.000 sind dort geparkt – und die wollen wir gewinnen.

Streitpunkt Abschiebung von Asylwerber in Lehrausbildung:

"Wir wollen Aufenthaltstitel für Lehrlinge"

Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung, schieben aber andererseits unter dem Protest der Unternehmen Asylwerber ab, die in einem Mangelberuf eine Lehre begonnen haben ...
Ich verstehe die Kritik der Unternehmen. Endlich hat der Betrieb einen dringend gebrauchten Lehrling gefunden und ganz viel Herzblut in dessen Ausbildung gesteckt – und dann kann der dort seine Lehre nicht fertigmachen. Aber wir müssen die zwei Themen Asylrecht und Fremdenrecht, nämlich arbeitspolitische Maßnahmen, trennen. Einerseits geht es um Schutz vor Verfolgung. Das andere ist ein arbeitspolitisches Thema und im Fremdenrecht zu klären. Das heißt, einen Aufenthaltstitel zu schaffen, der auch Sicherheit gibt, dass derjenige bei uns arbeiten darf, eine Ausbildung machen darf – und genau das wollen wir und dazu sind wir intensiv mit dem Bund in Verhandlungen. Das Fremdenrecht wird ja gerade novelliert und wir möchten, so wie es im Regierungsprogramm drinnen steht, dass ein Aufenthaltstitel für Lehrlinge geschaffen wird. Es gibt einen für Schüler, für Studenten, aber für Lehrlinge haben wir das nicht. Dann gibt es Rechtssicherheit für alle Beteiligten: Den Lehrling, den Betrieb. Parallel dazu muss die Rot-Weiß-Rot-Card weiterentwickelt werden, die derzeit ja nur für Hochqualifizierte gedacht ist, damit wir auch im Fachkräftebereich eine vernünftige Beschäftigungsmöglichkeit haben. Und dann ist es ganz klar geregelt: Wer darf kommen, für welche Berufe – wir sprechen da ja nur von den Mangelberufen –, und wie lange hat er eine Aufenthaltsmöglichkeit. Wenn Asyl und das Arbeitspolitik-Thema trennt, könnten wir die momentan sehr verfahrene Diskussion entkrampfen. Die Fremdenrechts-Novelle ist ja gerade im Nationalrat. Ich hoffe, dass das Thema so rasch gelöst wird wie bei den anderen sehr erfreulichen Entscheidungen der Bundesregierung für den Wirtschaftsstandort.

Da ist viel Lob für die bisherige Performance der Bundesregierung zu hören ...

Als oberste Repräsentantin für den Wirtschaftsstandort Oberösterreich bin ich sehr zufrieden, weil wir es geschafft haben, einen Kurswechsel einzuleiten: Mit den Entscheidungen rund um die Arbeitszeitflexibilität, mit dem erstmals tatsächlich in der Datenschutzgrundverordnung verankerten Prinzip "Beraten statt Bestrafen". Da wurde sehr intelligente Interessenspolitik gemacht, was die Datenschutzgrundverordnung betrifft, ich hoffe, dass wir damit auch europaweit Vorbild sind.

An der Arbeitszeitflexibilisierung hat es ja sehr viel Kritik gegeben – auch weil vieles unklar war oder noch ist.
Ich bin davon überzeugt, dass diese gesetzliche Regelung, die wir jetzt haben, die ja nur den Rahmen vorgibt für alles, was dann in den Kollektivverträgen ohnehin noch genauer definiert wird, endlich einfach die Realität abbildet. Wir waren immer in einem Graubereich unterwegs – und das wussten alle Beteiligten. Ich möchte Verlässlichkeit für meine Betriebe haben und nicht davon abhängig sein, ob im Streitfall etwas so oder so interpretiert wird, ob der Arbeitsanfall tatsächlich kritisch war und deshalb mehr gearbeitet werden durfte oder nicht. Wir hatten hier eine schwammige Formulierung im Arbeitszeitgesetz und die wurde jetzt konkretisiert. Und das kann alle Beteiligten nur freuen. Was jetzt festgelegt worden ist, ist ja, was in vielen Kollektivverträgen ja schon möglich war. Aber mit geht es um die Klein- und Mittelbetriebe. Was in meinem Industriebetrieb schon bisher möglich war, soll auch rechtssicher bei einem Malerbetrieb mit fünf Leuten möglich sein. Die Großen konnten es sich bisher richten mit entsprechenden Vereinbarungen, die Kleinen waren an das ganz starre Arbeitszeitgesetz gebunden. 

"Der größte Gewinner bei jeder Lohnrunde ist der Staat"

Wenn nach der Arbeitszeitflexibilisierung noch ein Standortsentwicklungsgesetz hoffentlich ohne automatische Genehmigung kommt – was braucht die Wirtschaft in Österreich noch?
Entlastung – bei den bürokratischen Auflagen, die immer mehr werden. Und bei der Steuerlast, wir sind immer noch ein internationaler Spitzenreiter. Da muss an der Steuerschraube gedreht werden, um ein attraktiver Wirtschaftsstandort zu sein und um den Faktor Arbeit zu entlasten. Wenn ich einem Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung von 100 Euro brutto gebe, kommen bei mir als Arbeitgeber mit Lohnnebenkosten und so weiter rund 200 Euro zusammen und der Mitarbeiter kriegt vielleicht 50 Euro raus. Der größte Gewinner bei jeder Lohnrunde ist der Staat und nicht der Mitarbeiter. Und bezahlt wird es von der Wirtschaft. Wir brauchen ein System, damit sich auch Mehrarbeit auszahlt. Ich wäre dafür, dass Mehrstunden steuerlich begünstigt werden. Wir haben einen Arbeitskräfte-Engpass, wir können die Arbeit gar nicht auf mehr Köpfe verteilen, wovon manche immer träumen.

"Werden genau auf Analyse der Kinderbetreuung schauen"

Wenn vom Arbeitskräfte-Enpass die Rede ist: Das Steigern der Frauenbeschäftigung wird als eine Abhilfe gesehen, gleichzeitig wurde die Nachmittagsbetreuung von der Landesregierung kostenpflichtig gemacht ...
Wir werden als Wirtschaftskammer ganz genau auf die Analyse der Kinderbetreuung in Oberösterreich schauen, weil es unser gemeinsames Ziel ist, dass wir dort weiter ausbauen. Das ist mir persönlich ein Anliegen. Aber es geht darum, die zur Verfügung stehenden Mittel bestmöglich einzusetzen. Wir müssen auf jeden Fall in dem Bereich qualitativ aber auch quantitativ weiter wachsen, das ist eine klare Forderung der Wirtschaft.

Zehn Millionen Euro Einsparung pro Jahr in der Wirtschaftskammer OÖ

Wie weit ist die Reform der Wirtschaftskammer, was fehlt noch?
Wir sind mit Eilzugsgeschwindigkeit unterwegs. Wir haben österreichweite Ziele, die gesetzlich beschlossen sind – das Senken der Kammerumlage, ab 1.1.2019 ist das ja gültig. In Oberösterreich haben wir draufgesetzt, dass wir das Gesamtangebot des Hauses durchleuchten und mit dem Wifi angesehen: Was sind die wichtigsten Punkte, wo müssen wir Schwerpunkte setzen, investieren? Und wie müssen wir dafür die Organisation aufstellen? Da sind wir in allen Bereichen voll in der Umsetzung, haben bei den Produkten einiges rausgestrichen, was wir nicht mehr machen. Personell sind wir über Pensionierungen runtergefahren und haben so drei Millionen Euro bereits eingespart. Gesamt haben wir uns zehn Millionen Euro jährlich vorgenommen. Sechs Millionen davon entfallen auf geringere Kammerbeiträge für unsere Unternehmen. Mit den restlichen vier Millionen dotieren wir einen Standortfonds mit den Schwerpunkten Bildung, Innovation, Export und Interessensvertretung beziehungsweise Entbürokratisierung. Da sind Themen rausgekommen wie die Duale Akademie, das Rechtsschutzpaket für unsere Betriebe, den chatbot fürs 24-Stunden-Service – die finanzieren wir aus dem Standortfonds. 
Und wir haben die interne Organisation in Richtung Branchenverbünde neu organisiert, organisieren unser Haus neu, um unsere Betriebe besser zu servicieren. Derzeit werden von einer Geschäftsstelle oft Berufsgruppen gemeinsam betreut, die nichts miteinander zu tun haben. Die Branchenverbünde, die wir jetzt machen, etwa zum Thema Gesundheit, Bau, Transport, die sind jetzt homogen innerhalb einer Wertschöpfungskette aufgebaut.

Es wird jedoch kritisiert, dass die Reform nicht auch tiefer ins bestehende System der Sparten und Fachgruppen eingreift – weil der Wirtschaftsbund um seine Mehrheiten fürchte ...
Das stimmt absolut nicht. Erstens legen wir in der Verwaltung und Betreuung zwei Sparten zusammen: Banken, Versicherung und Industrie legen wir zusammen und strukturieren das neu. Aber die Veränderung von Sparten und Fachgruppen betrifft das Wirtschaftskammergesetz. Das kann ich gar nicht in Oberösterreich. Das ist eine Diskussion, die müssen wir österreichweit führen und davor habe ich keine Angst. Diese Strukturen sind in den großen Wirtschaftskammerreformen auch immer verändert worden. In Oberösterreich haben wir so schnell als möglich reformiert, was geht.

Die Wirtschaftskammer Oberösterreich hat sich eine Schlankheitskur verordnet, die Zahl der Präsidenten wuchs aber von drei auf fünf – wie passt das zusammen?
Erstens wollte ich die Expertise zu Ein Personen-Unternehmen von Margit Angerlehner und zu Gewerbe und Handwerk von Leo Jindrak im Präsidium haben. Zweitens wollte ich die politische Interessensvertretung stärken, sodass die anderen Fraktionen inhaltlich mitarbeiten können. Wir haben zwei neue politische Ausschüsse, bei denen alle Fraktionen mitarbeiten können, zu den Ein Personen-Unternehmen und zur Gewerbeordnung. Da wollte ich, dass nicht nur der Wirtschaftsbund die Richtung vorgibt, sondern wir mit allen Fraktionen diskutieren. Drittens haben wir das Präsidium erweitert, weil ich meine Rolle als Präsidentin der Wirtschaftskammer vor allem so sehe, dass ich diesem Haus wie als Aufsichtsratsvorsitzende und Themensetzerin vorsitze. Andererseits bin ich auch Unternehmerin und möchte beide Rollen operativ ausführen. Das geht nur, wenn man das gemeinsam macht. Denn es ist eine andere Qualität der Interessensvertretung, wenn man sich selbst jeden Tag mit den Themen beschäftigt, im eigenen Unternehmen, wenn man Vorstellungsgespräche und Kundengespräche führt. Oder wenn man weiß, was es heißt eine Datenschutzgrundverordnung im Unternehmen umzusetzen, damit habe ich mich selber beschäftigt. 

Wie viel Ihrer Zeit sind Sie als Unternehmerin operativ tätig, wie viel als WKOÖ-Präsidentin?

Jeweils fifty-fifty, wenn man Abende und Wochenenden, an denen ich in erste Linie für die Kammer unterwegs bin, nicht mitzähle.

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