EU-Wahl 2019: Spitzenkandidaten im Gespräch
Claudia Gamon (NEOS): "Unsere Neutralität ist überholt"
EU-Spitzenkandidatin Claudia Gamon, NEOS, im großen Interview
Wie geht es Ihnen dabei, wenn sie als junge Politikerin am Stammtisch mit gestandenen Vorarlbergern, dort kommen Sie ja her, diskutieren?
CLAUDIA GAMON: Ich mache das total gerne. Gerade auch die hitzige Debatte ist Teil von Politik. Es geht um Themen, die uns allen auch nahe gehen. Jeder hat "sein Thema", bei dem die Emotionen hochgehen. Es ist immer die Frage, ob das auch immer mit einer Wertschätzung kombiniert ist. Die Untergriffigkeit etwa in Sozialen Medien halte ich für gefährlich für unsere Diskussionskultur.
Sie haben bezüglich der Sozialen Medien klargemacht, dass Sie Angst haben, dass die Wahl manipuliert werden könnte. Wer soll sie manipulieren und wie?
60 Prozent der Europäerinnen und Europäer haben Angst vor Desinformationskampagnen. Etwa beim Brexit hat es Akteure von außen gegeben, die versucht haben, die Diskussion online zu leiten.
Nennen wir das Kind beim Namen: Sie befürchten, dass russische Kräfte die Europawahl beeinflussen könnten. Wie glauben Sie, könnte das passieren?
Es ist eine Art moderne, hybride Kriegsführung. Auf den ersten Blick kann man nicht erkennen, wer die Akteure sind. Daher muss europäische Sicherheitspolitik viel mehr gemeinsam gedacht werden. Es wird künftig nicht die angelegte Kalaschnikow sein, die uns bedroht, sondern Cyberangriffe.
Es gibt im NEOS-Positionspapier eine Schlagzeile: "Europa neu (be)gründen." Gefällt Ihnen Europa nicht, so wie es derzeit ist?
Ich glaube, es wäre naiv zu behaupten, dass die EU in der derzeitigen Bauart die Erwartungen der Menschen erfüllen kann: Europa soll schützen, Europa soll für Wohlstand sorgen und etwa Klimawandel und Digitalisierung schaffen. Was man dann aber hört etwa bei der Digitalsteuer – es versandet. Gescheitert. Das ist ein Versagen der Institutionen. Neu gründen heißt also: Wir haben diese Vision der Vereinigten Staaten von Europa, weil wir ein anderes Europa haben wollen.
Aber wie realistisch ist das? Denken Sie nur an Orban.
Es gibt aber auch andere Beispiele, etwa Emmanuel Macron, der europäische Politik mit konkreten Vorschlägen macht. Wenn wir die Ziele erreichen wollen, was Europa alles tun soll, dann müssen wir auf dem Weg dorthin Dinge ändern – etwa die Einstimmigkeit im Rat aufheben.
Aber das wäre eine Entmachtung der Nationalstaaten. Brauchen wir die dann – polemisch formuliert – überhaupt noch?
Wir sind für die Vereinigten Staaten von Europa, wo die Nationalstaaten ein wesentlicher Bestandteil sind. Auch weil wir an die Subsidiarität glauben: Was in Europa am besten entschieden werden kann, soll dort passieren. Was lokal besser gemacht werden kann, in den Staaten.
Die NEOS wollen ja auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik europäisch lösen, das spießt sich in Österreich allein schon wegen der Neutralität.
Ich denke, es muss kein Widerspruch sein. Aber wir haben die langfristige Vision einer europäischen Armee – die eine Berufsarmee ist, eine Verteidigungsarmee. Wir wollen nicht wie Amerika Konflikte in der Welt anheizen. Und es gibt Möglichkeiten für neutrale Staaten, wir sind ja nicht das einzige neutrale Land, ab abgewandeltes Mandat zu erstellen.
Neutralität also ja oder nein?
Für mich ist das Prinzip der Neutralität seit dem Beitritt zur EU, speziell seit dem Vertrag von Lissabon – wir haben ja schon eine Beistandspflicht – etwas überholt.
Kommen wir zur Landwirtschaft, aktuell der größte Budget-Topf in der EU. Sie wollen da etwas ändern.
Im Sinne Europas sollten wir uns mehr auf die Themen Nachhaltigkeit, Biodiversität und Lebensmittelsicherheit konzentrieren. Braucht etwa die große Agrarpolitik überhaupt eine Förderung? Agrarpolitik sollte generell auch mehr Innovationen fördern, gerade weil wir in Österreich als Bio-Vorzeigeland innovativ sind. So könnten wir auch zeigen, dass es hier spannende Jobs für junge Leute gibt.
Sie haben vorher von Fake-News gesprochen. Die NEOS werden von Hans-Peter Haselsteiner unterstützt. Wie groß ist sein Einfluss – auch in Euro?
Das können Sie auf unserer Transparenzseite neos.eu nachlesen – wie viel Geld reinkommt und für was es ausgegeben wird.
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