Gesundheitsdiskussion
Primar: "Wir verlieren die Patienten an die Heiler"

"Wir haben keinen Ärztemangel. Es gibt genug Ärzte, aber zu wenige sind klinisch tätig", sagt der ehemalige Leiter des Landeskrankenhauses Freistadt, Josef Friedrich Hofer. | Foto: nikolae/panthermedia
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  • "Wir haben keinen Ärztemangel. Es gibt genug Ärzte, aber zu wenige sind klinisch tätig", sagt der ehemalige Leiter des Landeskrankenhauses Freistadt, Josef Friedrich Hofer.
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Im Gespräch mit der BezirksRundschau wirft der ehemalige ärztliche Direktor des Landeskrankenhauses Freistadt einen kritischen Blick aufs Gesundheitssytem – und bekommt viel Zustimmung von Landeshauptmann-Stellvertreterin und Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander, von Oberösterreichs Ärztekammer-Präsident Peter Niedermoser und auch aus der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse

Primar Josef-Friedrich Hofer, Facharzt für Innere Medizin war von 1982 bis 2014 Abteilungsleiter und ärztlicher Direktor des Landeskrankenhauses Freistadt. Seit 2014 ist er stellvertretender ärztlicher Direktor der Diabetes-Rehabklinik Bad Wimsbach-Neydharting, zudem als Konsiliararzt des Kurzentrums Lebensquell und gerichtlich beeideter Sachverständiger tätig – seine Thesen und die Reaktionen darauf hat die BezirksRundschau zusammengefasst:

Mehr Bewerber fürs Medizinstudium zulassen

Primar Josef Friedrich Hofer: "Von 16.000 Bewerbern fürs Medizinstudium werden nur 1.600 aufgenommen – viel zu wenige, denn: 25 Prozent davon kommen aus Deutschland, 5 Prozent aus dem EU-Raum und 10 bis 15 Prozent der österreichischen Medizinstudenten wandern nach dem Abschluss ins Ausland ab. Wir verlieren also 40 Prozent – warum bilden wir nicht entsprechend mehr aus, so wie das etwa in Tschechien der Fall ist?"
Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hält entgegen."Österreich hat die zweithöchste Ärztedichte innerhalb der OECD. Die Bilanz zwischen Zu- und Abwanderung von Ärzten ist in Österreich ausgeglichen. Und trotz unbesetzter Stellen hatten wir in Oberösterreich noch nie so viele Ärzte in der niedergelassenen hausärztlichen Versorgung wie jetzt. Jetzt die Zahl der Studienplätze zu erhöhen, würde erst in zehn Jahren zu mehr Ärzten im System führen. Dabei wird sich die Zahl der Pensionierungen von Vertragsärzten ab 2025 halbieren."
Anderer Meinung ist Oberösterreichs Ärztekammer-Präsident Peter Niedermoser: "Es war immer unser Zugang, mehr Mediziner auszubilden – es sollen vorausschauend immer so viele Ärzte ausgebildet werden, wie auch gebraucht werden."
"Ich habe mich immer konsequent beim Bund für ein Ausweiten der Studienplätze eingesetzt", stimmt Gesundheitsreferentin Christine Haberlander überein.

Gesundheitslandesrätin & Ärztekammer-Präsident: Medizin-Aufnahmetests ungeeignet

Haberlander übt Kritik an den Aufnahmetests zum Medizinstudium: "Die sozialen Kompetenzen gehören stärker berücksichtigt, etwa eine ehrenamtliche Tätigkeit beim Roten Kreuz. Jetzt geht es nur ums Hineinstrebern, aber der ausgebildete Notfallsanitäter kommt vielleicht nicht zum Zug. Das muss sich ändern. Auch wer sagt, dass er Hausarzt oder Kinder- und Jugendpsychoploge werden will, an denen es mangelt, soll Bonuspunkte bekommen."
Auch der oö. Ärztekammerpräsident Niedermoser übt Kritik am Aufnahmetest fürs Medizinstudium: "Ich halte ihn für vollkommen sinnlos, um Mediziner herauszufiltern."
Laut Gebietskrankenkasse werden zu wenige Allgemeinmediziner ausgebildet: "Hier braucht es gezielt Anreize und Verbesserungen im Studium, um mehr Ärzte für den Schwerpunkt Allgemeinmedizin zu motivieren." Es gebe dazu ein Mentoring-Programm, das die Krankenkasse in Kooperation mit der Kepler-Uni entwickelt habe.

Haberlander: "Erwarte mir
Attraktivierung der Kassenverträge"

Primar Hofer: "Wir haben keinen Ärztemangel. Es gibt genug Ärzte, aber zu wenige sind klinisch tätig: Schulärzte, Arbeitsmediziner und auch viel Wahlärzte in Nischen. Und es gibt dann noch die Ärzte, die sich nicht dem Joch der Kassen unterwerfen wollen oder es nicht können, weil sie nicht fünf Mal die Woche mit 20 Stunden zur Verfügung stehen können, weil sie etwa angestellt sind und ihre Ordination nur nebenbei betreiben."
"Ich erwarte mir von der Sozialversicherungs-Reform eine Attraktivierung der Kassenverträge", deutet auch Gesundheitslandesrätin Haberlander Verbesserungsbedarf an – den man bei der Gebietskrankenkasse nicht sieht: "Unser Angebot ist in jeder Hinsicht attraktiv. Das 'Joch' der Kassen ist ein Mythos. In einer Umfrage unter unseren Vertragsärzten bezeichnen 83 Prozent die Zusammenarbeit mit der OÖGKK als 'sehr gut' oder 'gut'."

Geld ins System statt Rücklagen

Primar Hofer: "Die oberösterreichische Gebietskrankenkasse braucht keine Rücklagen, denn die gehen ohnehin nur in jene Länder, die schlechter wirtschaften, wie etwa Wien. Die Gelder gehören ins System, für Krisen braucht es keine Rücklagen, denn da muss ohnehin der Staat einspringen."
Als "ungewöhnliche Position" wertet man bei der Gebietskrankenkassa die Sicht, dass kein Eigenkapital als Absicherung für Krisenzeiten notwendig sei: "In Krisenzeiten darauf zu setzen, dass der Staat einspringt, ist auch ein eher gewagtes Spiel, wie etwa der Blick nach Griechenland zeigt." Mit ihren Rücklagen könne Oberösterreichs Gebietskrankenkasse nur für 80 Tage die Leistungen weiter finanzieren: "Pro Tag kaufen wir für unsere Versicherten Gesundheitsleistungen um rund 6,6 Millionen Euro ein."
"Wir waren nie für Rücklagen, das war immer der falsche Weg", betont dagegen Ärztekammerpräsident Niedermoser: "Wir haben immer gesagt: Das Geld gehört in die Versorgung und deren Verbesserung."
Gesundheitslandesrätin Haberlander plädiert dafür, die Rücklagen in Projekte zu investieren, die den Präventionsgedanken in den Vordergrund stellen oder etwa jenen Ärzten "einen Benefit zu geben, die in die Gemeinden hinausgehen. Das Land Oberösterreich ist bereit, dazu in einen Prozess zu treten." Ein Teil der Rücklagen könnte laut Haberlander auch investiert werden, um das ärztliche Gespräch mit den Patienten aufzuwerten – eines der Anliegen Hofers:

Mehr Geld fürs Gespräch Arzt-Patient,
weniger für Gerätemedizin

Primar Hofer: "Der persönliche Einsatz gehört viel besser bezahlt, die Apparatemedizin reduziert. Das Patientengespräch macht 50 Prozent der Diagnose aus – wenn es aus Zeitmangel nicht möglich ist, schaffe ich keine Diagnose. Viele Ärzte machen aber derzeit Apparateanwendungen, um ihr Honorar aufzufetten. Es gibt Internisten, bei denen konsumiert man drei Apparate, bis man zum Arzt kommt. Und weil den Ärzten die Zeit zum Zuhören fehlt, verlieren wir die Patienten an die 'Heiler'."
"Ich war immer der Meinung: Das, was den Arzt ausmacht, ist das Gespräch. Es wird aber leider immer weniger wichtig gesehen – auch vom Patienten, der gerne ein MRT hat, bevor er dem Arzt vertraut", gibt Ärztekammerpräsident Niedermoser zu bedenken.
Gesundheitslandesrätin Haberlander ruft auf, bei der Sozialversicherungs-Reform auch dieses Thema anzugehen und mehr Wert auf das ärztliche Gespräch zu legen. "Und der Präventionsgedanke sollte höher bewertet werden."
Aus Sicht der Gebietskrankenkasse wurden entsprechende Maßnahmen bereits gesetzt: "Wir bemühen uns mit der Ärztekammer OÖ im Rahmen der Honorarverhandlungen vor allem diese zuwendungsmedizinischen Leistungen zu fördern." So sei heuer vereinbart worden, bei der Inneren Medizin die Laborleistungen deutlich einzuschränken, um die dadurch frei werdenden Gelder ins Diagnosegespräch des Arztes mit dem Patienten zu investieren – ebenso in der Allgemeinmedizin. "Wir versuchen auch, Ärzte von nicht-ärztlichen Aufgaben zu entlasten, um wertvolle Zeit für die Arzt-Patient-Beziehung zu gewinnen."

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