Psychologie / Psychotherapie
ADHS: Partnerschaft und Sexualität

Selbstbild und Persönlichkeit

Viele Menschen mit ADHS haben ein schlechtes Selbstbild, weil sie von Kindheit an zu hören bekamen, dass sie irgendwie nicht richtig, falsch, lästig und störend seien. „So wie Du bist, akzeptieren wir Dich nicht“ wird dann im Laufe der Zeit (verinnerlicht) zu: „Mit mir stimmt etwas nicht. Mich kann man nicht mögen Ich bin nicht liebenswert oder begehrenswert“. Ein schlechtes Selbstbild im Erwachsenenalter kann erfüllte Partnerschaften und eine selbstfürsorgliche, lustvolle Sexualität sabotieren. 

Nach Jahren der Stigmatisierung sind Selbstbewusstsein und Selbstwert mitunter so schlecht, dass es den Betroffenen an Selbstsicherheit und Selbstliebe für eine gesunde erwachsene Partnerschaft mangelt. Oder es haben sich Bindungsstörungen und destruktive Bindungsmuster herausgebildet. Diese Symptome sind auf den Minderheitenstress zurückzuführen.
Als Psychotherapeut erlebe ich Menschen mit ADHS in meiner Gegenübertragung übrigens nicht als psychisch krank oder gestört, sondern eben als nicht-neurotypisch, was per se aber noch keine psychische Erkrankung darstellt. Wir tun gut daran, ADHS als eine hirnorganische Besonderheit zu betrachten.
Allerdings kommt es wie auch bei Menschen mit Asperger-Syndrom oder Autismus schnell reaktiv aufgrund der Überanpassung und verinnerlichter negativer Selbstbilder, Schemata und Glaubenssätze zu psychischen Auffälligkeiten, Störungen und Symptomen wie Depressionen, Traumafolgestörungen und Ängsten.
Aufgrund der permanenten erzwungenen Anpassung an ein neurotypisches Umfeld und wegen des oben erwähnten schlechteren Selbstbildes neigen Personen mit ADHS auch zu chronischem Stress und Depressionen. Depressionen allerdings können sexuelle Unlust und sexuelle Funktionsstörungen begünstigen und zu massiven Konflikten in Liebesbeziehungen führen.

Erwachsene Personen mit ADHS wirken auf ihre Beziehungspartner*innen meist unkonzentriert. instabil, unaufmerksam, vergesslich oder leicht ablenkbar. Hier ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass gerade dies die Symptome von ADHS sind.
Neurotypische Partner*innen sind oft entlastet, wenn Sie erfahren, dass viele sexuelle Schwierigkeiten und Beziehungsprobleme mit ADHS zu tun haben und nichts mit ihnen. Als Psychotherapeut erlebe ich es zudem tagtäglich, dass Menschen mit ADHS ihre Partner*innen bedingungslos lieben und akzeptieren und sich über die gemeinsame Sexualität freuen.

Häufig finden sich unter Menschen mit ADHS:

  • chronischer Stress und damit chronische Erschöpfung
  • Burnout
  • Depressionen
  • Ängste und Panikattacken
  • emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle
  • Menschen mit ADHS sind zudem etwas häufiger trans* (transident, transgender, transsexuell) oder non-binär/divers.

All diese psychischen Beschwerden haben wieder Wechselwirkungen mit Partnerschaften und der Sexualität und können sich negativ oder belastend auf Beziehungen und den Sex auswirken. So machen etwa Burnout, Depressionen, Stress und Ängste sexuelle Unlust, während eine mangelnde Impulskontrolle Fremdgehen, Promiskuität und zu frühes Beenden von Partnerschaften bedingen kann.
Bei starker Ausprägung von ADHS können Medikamente durchaus sinnvoll sein, weil sie eine gute Selbstfürsorge darstellen und das Leben erleichtern. Zudem mildern Medikamente wie Ritalin das Gedankenrasen und fördern die Fokussierung, Konzentration und innere Ruhe

Hypersensitivität

Manche Menschen mit ADHS sind auch hypersensitiv, d.h. sie erleben körperliche und taktile Empfindungen, aber auch Gerüche, Geschmäcker, sexuelle Empfindungen etc. viel intensiver als andere Menschen, mitunter auch als sehr unangenehm. Halten Sie sich als Partner*in immer vor Augen, dass Menschen mit ADHS auch beim Sex abgelenkt sein können, dass dies aber nicht böse gemeint ist oder etwas mit Ihnen persönlich zu tun hat. Menschen mit ADHS können oft gar nicht anders. Die kurze Aufmerksamkeitsspanne ist ein Hauptsymptom von ADHS und hat körperliche, genetische und hirnorganische Ursachen. Eine durchgehende Fokussierung und Konzentration auf den/die Partner*in und die gemeinsame Sexualität ist dabei oft völlig unmöglich.
Natürlich dürfen Sie es trotzdem aussprechen, wenn Sie sich verletzt und gekränkt fühlen, weil Ihr*e Partner*in beim Sex nicht aufmerksam oder achtsam ist. Eine gute erwachsene Partnerschaft braucht ein offenes Ansprechen von Wut, Verletzungen und Kränkungen. Vermeiden Sie aber Unterstellungen und Schuldzuweisungen. Denn auch wenn eine Person mit ADHS sich noch so sehr anstrengt und bemüht, ist es ihr nicht möglich, so aufmerksam und fokussiert wie ein neurotypischer Mensch zu sein.

Dokumentation: "Beziehungsunfähig durch ADHS? Erja und Tobias über ihre On-Off-Beziehung"

Der Film beleuchtet, wie sehr ADHS eine Partnerschaft belasten kann und zu schwierigen Paardynamiken führt.

Spezifische sexuelle Schwierigkeiten

Menschen mit ADHS haben oft spezifische sexuelle Probleme. Einerseits kann die Sexualität zur Sucht werden und wird dann hypersexuell ausagiert, andererseits fällt es manchen Menschen, besonders Frauen, schwer, die Konzentration beim Sex für längere Zeit aufrechtzuerhalten, am Sex und an der eigenen Lust achtsam dranzubleiben und nicht in Gedanken abzuschweifen.
Manche Personen mit ADHS wiederum stürzen sich aufgrund ihrer mangelnden Impulskontrolle vorschnell in sexuelle Abenteuer und gefährden sich dabei selbst – etwa durch sexuelle Risiken, durch sexuell übertragbare Krankheiten oder eine ungewollte Schwangerschaft.
Auch ADHS-typische Besonderheiten, wie eine Übersensitivität, was Sensorik und Sinnesreize betrifft, können die Sexualität erschweren. Darüber hinaus kann das sexuelle Verlangen tagtäglich massiv schwanken und mal asexuell, mal hypersexuell ausgeprägt sein.
Dann wieder gibt es Menschen mit ADHS, die ein unersättliches und impulsives sexuelles Verlangen an den Tag legen, die ständig sexuelle Stimulation benötigen, sich im Porno-Schauen verlieren, sexuelle Risiken eingehen und mit vielen Sexualpartner*innen ungeschützten Sex haben.

Ein ausgiebiges Vorspiel, wie es in unserer Gesellschaft zum sexuellen Mythos gehört, kann für hypersensitive Personen eine immense Belastung darstellen. Dieser Mythos besagt, dass Sexualität nur dann gut sei, wenn ein langes Vorspiel stattfände. Genau darunter können aber taktil empfindsame Menschen mit ADHS leiden. Wird hierauf innerhalb der Partnerschaft sexuell nicht oder kaum kommuniziert, dann kann es schnell zu Kränkungen, Verletzungen und Schwierigkeiten in der Paardynamik kommen, welche wiederum die sexuelle Lust und Leidenschaft negativ beeinflussen.
Sehr reizoffene und reizempfindliche Personen benötigen oft Stimulanzien, um sich achtsam auf Zärtlichkeit und Sexualität einlassen zu können. Sie und ihre Partnerschaft profitieren von der medikamentösen Therapie, und die von ADHS-Betroffenen können sich dann beim Sex bessere auf ihre*n Partner*in einlassen, die Körperlichkeit und Geilheit genießen und leichter zum Orgasmus kommen.

Bedenken Sie allerdings immer, dass es die ADHS-Persönlichkeit nicht gibt. Menschen mit ADHS sind ganz unterschiedlich, einzigartig und individuell, so wie neurotypische Menschen eben auch. Da Menschen mit ADHS einzigartige Individuen sind, können auch die Symptome sexueller Funktionsstörungen von Person zu Person sehr stark variieren.

Problematiken können sein:

  • Maßlosigkeit und Hypersexualität
  • Fremdgehen und dadurch ein Gefährden von Partnerschaften
  • Sexsucht
  • Völliger Verlust der Libido und des sexuellen Interesses
  • Sexuelle Langweile oder rasche Langeweile innerhalb der Partnerschaft
  • Pornosucht
  • Verschuldung aufgrund zu häufiger Bordellbesuche
  • Vorschnelles Beenden von Partnerschaften aufgrund von Langeweile und der Suche nach neuen Kicks

Hypersexualität und Sexsucht

Hypersexualität geht meist mit mangelnder Impulskontrolle einher. Da beim Sex Endorphine freigesetzt werden, beruhigt dieser gerade Personen mit ADHS. Ihre Gedanken werden ruhiger, Ängste und Unruhe mildern sich. Sexualität wird somit als Belohnung erlebt und dient als Selbstmedikation. Manchmal entwickelt sich dann eine Sexsucht.Da Menschen mit ADHS häufiger Substanzen missbrauchen und dabei noch mehr die Selbstkontrolle verlieren, gehen sie auch öfters ein sexuelles Risikoverhalten ein.
Bei lang wirksamen Stimulanzien kann die Hypersexualität zurückgehen, d.h. die sexuelle Lust des/der ADHS-Partners*/Partnerin* wird geringer. Auch die Gedanken kreisen nun weniger um sexuelle Inhalte. Viele Paare erleben diese sich normalisierende Libido als Erleichterung und Entlastung für ihre Partnerschaft.

Hyposexualität

Hyposexualität meint, dass Menschen kaum oder gar keine sexuelle Lust spüren. Die Betroffenen verlieren jedes sexuelle Interesse oder sind asexuell. Leidet ein Mensch nicht unter seiner Hyposexualität, so ist alles gut. Denn Asexualität ist eine gesunde sexuelle Orientierung.
Anders ist es, wenn die Hyposexualität wegen Nebenwirkungen von Medikamenten oder Depressionen auftritt und die Betroffenen unter der Lustlosigkeit leiden. Gerade Depressionen und Antidepressiva in Kombination führen zu sexueller Lustlosigkeit und zum Verlust jeder Libido. Hier sollten dann die Medikamente ausgetauscht oder die Dosis verringert werden.
Manche Personen mit ADHS können sich auch nicht auf den Sex konzentrieren, weil ihre Aufmerksamkeitsspanne zu kurz ist. Auch dann kann Hyposexualität auftreten.

Tipps zum Umgang mit einem/einer ADHS-Partner*in

  • Verurteilen Sie Ihre*n Partner*in nicht für seine/ihre Unaufmerksamkeit.
  • Teilen Sie ganz klar Ihre eigenen Emotionen und Bedürfnisse mit.
  • Vermeiden Sie im Schlafzimmer grelles Licht.
  • Je nach Hochsensitivität des/der Partners*/Partnerin*: vermeiden Sie starke Parfums.
  • Vermeiden Sie unnötige Ablenkungen, die für Personen mit ADHS sehr irritierend sein können. Musik, ein laufender Fernseher, ein klingelndes Handy etc. können Betroffene massiv irritieren, ablenken und die sexuelle Lust und Erregung verringern. Besprechen Sie mit Ihrem/Ihrer Partner*in, was diese*n irritiert und unaufmerksam macht.
  • Teilen Sie Ihrem/Ihrer Partner*in mit, worauf Sie beim Sex stehen, welche Praktiken Sie bevorzugen und welche Stellungen Sie als geil und lustvoll erleben.
  • Sprechen Sie sexuelle Schwierigkeiten möglichst im Vorfeld an.
  • Nehmen Sie paartherapeutische oder sexualtherapeutische Hilfe in Anspruch, wenn Sie sich schwer tun, offen und authentisch über Ihre Emotionen, Bedürfnisse und über Ihre Sexualität zu kommunizieren. Eine Paartherapie öffnet den Raum für eine gute Kommunikation. Sexualtherapeut*innen helfen Ihnen über Sexualität und sexuelle Bedürfnisse zu sprechen, wenn Ihnen dies schwerfällt.
  • Sie können zusammen mir Ihrem/Ihrer Partner*in Achtsamkeits- und Meditationsübungen machen.
  • Nehmen Sie sich beide als Paar viel Zeit und Raum für Sexualität, Kuscheln und Körperkontakt.

Film: "Can ADHD Affect Your SEX LIFE?"

Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Salzburg / Hamburg
(Existenzanalyse)

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