Kirchenaustritte im Salzkammergut
"Annus horribilis" für die Evangelische Kirche
Evangelische Kirche im Bezirk verzeichnet so viele Kirchenaustritte wie seit 1950 nicht mehr.
SALZKAMMERGUT (km, pg). Als ein „Annus horribilis“ bezeichnet der Superintendent der Evangelischen Kirche Oberösterreich, Gerold Lehner, das vergangene Jahr. 874 Personen sind 2019 aus der Evangelischen Kirche ausgetreten. 2018 warem es nur 596. Im Durchschnitt treten pro Jahr etwa 400 bis 600 Protestanten aus, seit 1950 waren es nicht mehr so viele wie 2019. Die konkreten Zahlen für den Bezirk Gmunden liegen noch nicht vor, aber auch hier gibt es eine Zunahme. In so mancher Evangelischen Gemeinde im Bezirk hat sich die Austrittszahl verdoppelt. Nur in Gosau ist sie zurückgegangen. Drei Gründe sind für den Superintendenten entscheidend: der Kirchenbeitrag, die Diskussion um die gleichgeschlechtliche Ehe und die Karfreitags-Diskussion.
Rolle der Kirche verändert
Aber auch die Gesellschaft und die Rolle der Kirche haben sich entscheidend geändert: „War es vor hundert Jahren noch ganz normal, in einer Kirche zu sein, ist es heute eine freiwillige Entscheidung des Gläubigen. Lässt man heute ein Kind taufen, wird das bewusst getan. Nicht, weil eine Oma oder jemand anderer das erwartet“, so Lehner. Personen, die aus der Kirche austreten, machen das ganz bewusst und kalkuliert. „Bei der Karfreitags-Debatte habe ich mir erhofft, dass unsere Kirche mehr zusammenrückt, wenn der Staat Druck auf sie ausübt. Das eine oder andere Mail hat mir aber gezeigt, dass Menschen austreten, weil sie nun diesen einen freien Tag ‚verloren' haben.“ Beweggründe für einen Austritt sind heutzutage schwierig herauszufinden: „Laut Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dürfen wir ab der Abgabe des Formulares mit der Person nicht mehr in Kontakt treten.“ Eine Studie aus der Zeit vor Einführung der DSGVO zeigt aber eindeutig, dass Gläubige diesen Schritt offensichtlich so bewusst wählen, dass sie ihn fast nicht mehr rückgängig machen. Die Austritte treffen die Evangelische Kirche natürlich auch finanziell, da der Kirchenbeitrag fast die einzige Einnahmequelle ist.
739 Katholiken ausgetreten
Bei den Katholiken sind im Vorjahr 739 Personen aus der Kirche ausgetreten. Auch hier steigt die Zahl: 2018 waren es nur 678 Personen. „Die Austritte sind ein Verlust, der schmerzt und herausfordert. Wenn die Beziehung zur Kirche dünn geworden ist, genügt oft eine enttäuschende Erfahrung. Wir erleben auch, wie schwer es ist, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen", so Bischofsvikar Wilhelm Vieböck. In der Katholischen Kirche wird die formale Zugehörigkeit zur Gemeinschaft vorausgesetzt. Vorteile sind dafür der Empfang der Kommunion, Firmung, kirchliche Eheschließung mit Trauung in der Kirche, Funktion eines Tauf- oder Firmpaten sowie ein kirchliches Begräbnis. "Die Gründe, warum jemand aus der Kirche austritt, beruhen auf unterschiedlichen Ursachen. Das sind persönliche Entscheidungen von Menschen. Dazu gehören Verletzung und Kränkungen, eine Unzufriedenheit mit der weltkirchlichen Situation und bei manchen auch der Kirchenbeitrag", so Viehböck. Die Facebook-Community der BezirksRundschau Salzkammergut hat eine eindeutige Meinung zum Thema Kirchenaustritt. 76 Prozent der Teilnehmer haben geantwortet, dass der Austritt für sie Sinn macht. Als Grund wurde mehrheitlich die Kirchensteuer genannt, die als zu hoch angesehen wird.
Zur Sache
• Das Salzkammergut – vor allem der Süden des Bezirks – ist eine Hochburg der Protestanten. Im Bezirk leben rund 9.000 Protestanten, in ganz Oberösterreich sind es 48.000.
• Im Bezirk Gmunden gibt es aktuell 64.345 Katholiken, im Jahr davor waren es 64.990.
• Der Austritt aus der Kirche erfolgt rein bürokratisch bei der staatlichen Meldebehörde. Bei der Bezirkshauptmannschaft Gmunden gibt es ein Formular, das vom Antragsteller ausgefüllt und unterschrieben werden muss. Die Katholischen Pfarren werden über den Austritt informiert. Viele suchen im Anschluss den Kontakt mit diesen Menschen. Auch Bischof Manfred Scheuer sendet einen Brief. Die Evangelische Kirche nimmt die Datenschutzgrundverordnung sehr ernst. Sobald ein Gläubiger das Antragsformular unterschrieben abgegeben hat, darf er im Grunde nicht mehr kontaktiert werden.
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