Wer warst du, Mitzi? Märchen und Geschichten für Kinder, Kindsköpfe und Kindgebliebene – Teil 13

Leider gibt es von Mitzi kein erhaltenes Foto. Dieses hier habe ich symbolisch eingestellt. Es zeigt meine Urgroßmutter. Die Spiegelung im Foto bin ich.
  • Leider gibt es von Mitzi kein erhaltenes Foto. Dieses hier habe ich symbolisch eingestellt. Es zeigt meine Urgroßmutter. Die Spiegelung im Foto bin ich.
  • hochgeladen von Anita Buchriegler

Wer warst du, Mitzi? Wie ein altes vergilbtesTotenbild durch Zufall Anlass zu unbändiger Freude gab ...

Vor kurzem bin ich auf Meinbezirk auf die Gruppe „Freunde alter Fotos“ gestoßen. Dabei kam mir meine heutige Geschichte in den Sinn – die Geschichte eines viel zu kurzen Lebens, die vom Vergessen werden erzählt und davon, wie ein vergilbter alter Zettel unbändige Freude ins Herz einer alten Dame brachte.

Mit alten Fotos ist es oft so eine Sache. Viele werfen sie weg – entsorgen sie – weil die Leute darauf sowieso keiner mehr kennt. Gerade jetzt, wo das neue Jahr noch jung ist, die Vorsätze überquellen und wir geradezu getrieben scheinen vom Drang nach Sauberkeit und Entrümpelung, landet oft alles, was keinen Wert besitzt, im Mistkübel.

Als wir unsere erste kleine Wohnung im Elternhaus ausgebaut haben, stießen wir auf einen alten Kasten. Er musste wohl an die 100 Jahre auf dem Buckel gehabt haben, war noch top beisammen, hatte ein schön glänzendes Furnier und wartete regelrecht darauf, mit Regalen und einer Glasscheibe versehen zu werden, um seinen Dienst als Vitrine in unserem neuen Heim anzutreten.

Beim Ausräumen fiel mir ein altes Totenbild in die Hände, das ich beinahe zum Gerümpel geworfen hätte, aber irgendwie zog mich das Stückchen Papier magisch in seinen Bann und so begann ich es zu lesen. Der Text erzählte von einer Maria Giedenbacher, die 1939 im Alter von 15 Jahren in der Lungenheilanstalt Hochzierl gestorben war. Foto war allerdings keines darauf. Als Zierde diente lediglich die färbige Zeichnung eines Engels.

Als ich daraufhin zu recherchieren begann, erfuhr ich jedoch nur, dass es sich um die Nichte meines Großvaters gehandelt hatte. Mehr wusste niemand mehr von dem Mädchen. Es schien, als wäre sie in Vergessenheit geraten. Irgendwie tat sie mir leid und deshalb beschloss ich, das Totenbild aufzubewahren.

Der Besuch der alten Dame

Es muss wohl einige Jahre später gewesen sein, als uns eines Tages eine alte Dame besuchte. Sie hatte als junges Mädchen auf unserem Bauernhof gearbeitet, war dann bald darauf nach Wien übersiedelt. Da sie gerade im Nachbarort Urlaub machte, hatte sie beschlossen, den Ort wieder aufzusuchen, an dem sie ein Stück ihrer Jugendzeit verbracht hatte.

Ich hatte damals gerade begonnen, die Familiengeschichte zu erforschen und packte natürlich die Gelegenheit beim Schopf, ihr Fragen über früher zu stellen – und sie begann mit Freuden zu erzählen.

Es dauerte nicht lange, da kam sie auf ihre beste Freundin zu sprechen – die Mitzi. "Ja das war schon ein Spaß damals", erzählte sie, während ein tiefes Leuchten in ihre Augen trat. "Im Frühjahr, als das große Reinemachen anfing, da gingen wir hinunter in den Wald um uns ein paar Bäume zu holen. Später legten wir sie über den kleinen Teich hinterm Haus. Darauf wuschen die Mitzi und ich dann das Bettzeug und die Winterwäsche. Die Mitzi war meine beste Freundin. Sie war etwas jünger als ich – aber dafür umso mutiger! Egal wie sehr sich auch die Balken bogen – die Mitzi hat immer gelacht, dabei konnte sie nicht einmal schwimmen."

Schön langsam dämmerte es mir, dass es sich bei dieser Mitzi nur um das Mädchen vom Totenbild handeln konnte.

"Die alte Großmutter hat Mitzi auch immer zu gerne ausgelacht. Besonderen Spaß hatten wir, wenn ein Flugzeug über uns drüber geflogen ist. Dann hat sich die Großmutter vor lauter Angst flach auf den Boden geworfen. Mit der modernen Technik konnte sie sich nicht anfreunden.

Und hübsch war die Mitzi: groß, blond und sehr schlank. Ich kann mich noch so gut an sie erinnern. Aber dann ist sie krank geworden - hat nicht mehr aufgehört zu husten. Sie schickten sie noch in die Lungenheilanstalt Hochzierl. Geholfen hat es allerdings nichts. Die Mitzi ist nicht mehr heimgekommen. Sie starb dort, als sie 15 war."

Da erstarb das Leuchten in den Augen der alten Frau und es schien, als ob sie eine tiefe Traurigkeit packte. "Nicht einmal ein Foto habe ich von ihr. Ich denke so oft an sie, dabei wünschte ich, ich hätte nur ein einziges Foto."

Mit einem Foto konnte auch ich nicht dienen. Dafür waren die Zeiten damals zu schlecht, die Familie zu arm.

Aber ich hatte wenigstens das Bild. Also rannte ich zum Computer und kam kurze Zeit später mit der Kopie zurück in die Küche.

"Ein Foto existiert leider auch bei uns nicht mehr", sagte ich. "Aber ich möchte Ihnen das hier mitgeben", dabei legte ich das Totenbild vor ihr auf den Küchentisch.

An ihre genauen Worte kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Nur so viel weiß ich noch, dass ich ihr mit dem Stückchen Papier eine große Freude bereitet habe, und Freude schenken macht auch selbst glücklich, denn so oft ich an diesen Moment denke, so oft sehe ich ihr Strahlen und ihre Erleichterung vor meinem inneren Auge. Endlich hatte sie ein Andenken gefunden – an ihre beste Freundin – die Mitzi.

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Foto: Cityfoto
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