„Politischer Widerstand"
Gedenkfeier in Ternberg mit Doris Bures und Bischof Manfred Scheuer

Anita Buchberger (Initiatorin des Gedenkraums und Beauftragte für Jugendpastoral im Dekanat Weyer), Martin Kranzl-Greinecker (Vorstandsmitglied im Mauthausen-Komitee Österreich), die Zweite Nationalratsvorsitzende Doris Bures, Bischof Manfred Scheuer (v. li.).

 | Foto: kj oö / Haijes
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  • Anita Buchberger (Initiatorin des Gedenkraums und Beauftragte für Jugendpastoral im Dekanat Weyer), Martin Kranzl-Greinecker (Vorstandsmitglied im Mauthausen-Komitee Österreich), die Zweite Nationalratsvorsitzende Doris Bures, Bischof Manfred Scheuer (v. li.).

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Gut 150 Menschen gedachten am 7. Oktober 2022 in der Pfarrbaracke Ternberg auf Einladung der Katholischen Jugend der Region Ennstal der Opfer des Nationalsozialismus im KZ-Außenlager Ternberg. 

TERNBERG. Das Gedenken in Ternberg fand heuer bereits zum 14. Mal statt. 2008 war im Zuge der größten Jugendsozialaktion Österreichs „72 Stunden ohne Kompromiss“ – organisiert von der Katholischen Jugend Österreich in Zusammenarbeit mit youngCaritas und Hitradio Ö3 – mit 45 Jugendlichen aus den Dekanaten Weyer und Steyr im Keller der Pfarrbaracke in Ternberg ein Gedenkraum installiert worden. Seither findet hier jährlich eine Gedenkfeier statt, ebenso werden auf Anfrage Führungen angeboten und auch ein pädagogisches Begleitkonzept wurde erarbeitet.

Von Zivilcourage zu politischem Widerstand

Die heurige Gedenkfeierstand stand gemäß dem Jahresschwerpunkt des Mauthausen Komitees Österreich unter dem Motto „Politischer Widerstand“. Anita Buchberger, Initiatorin des Gedenkraums und Beauftragte für Jugendpastoral im Dekanat Weyer, und Reinhard Fischer, Regionskoordinator Linz +, führten durch die Feier und erinnerten zu Beginn daran, dass das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ein zentrales gesellschaftspolitisches Anliegen der Katholischen Jugend OÖ sei und es für sie zum Selbstverständnis gehöre, sich für Toleranz und Nächstenliebe im Zusammenleben einzusetzen. Die Nationalsozialisten hätten alle Menschen verfolgt, die ihren rassistischen Kriterien nicht entsprachen oder sich offen gegen ihre Diktatur stellten. In den Konzentrationslagern Mauthausen und Gusen sowie in den Außenlagern habe die Kategorie „Politische Häftlinge“ sehr unterschiedliche Personengruppen von Menschen bezeichnet, die organisiert Widerstand leisteten – bis hin zu Einzelnen, die ihr Missfallen über das NS-Regime offen zu äußern wagten. In der Zeit des Nationalsozialismus sei zivilcouragiertes Handeln, das die eng gesetzten Grenzen des Systems überschritt, oft zu politischem Widerstand geworden, so Buchberger.

Bekenntnis zum Frieden im Sinne eines Niemals-Wieder

Magdalena Lorenz, ehrenamtliche Vorsitzende der Katholischen Jugend Oberösterreich, verwies in ihrem Grußwort auf die mehrfache Bedeutung von Gedenken: „Zunächst einmal bedeutet Gedenken, etwas zu beabsichtigen. Es ist notwendig, sich immer vor Augen zu halten, wozu Menschen fähig sind, und sich im Sinne eines Niemals-Wieder zum Frieden und zum Einsatz dafür zu bekennen. Zweitens bedeutet Gedenken, an jemanden oder etwas ehrend und anerkennend zurückzudenken. Wir gedenken all jener Menschen, die zum Opfer eines grausamen und menschenverachtenden Systems geworden sind, und sagen ihnen dadurch den ihnen gebührenden Platz in der Geschichte zu. Drittens bedeutet Gedenken, sich an die Existenz von etwas zu erinnern. Wir denken daran, dass es inmitten all des Leids Menschen gab, die gegen die Gräuel des Nationalsozialismus und die Unmenschlichkeit des Dritten Reichs Widerstand geleistet haben und deshalb unsere besondere Bewunderung verdienen.“ Als Beispiele nannte Lorenz Namen wie Hans und Sophie Scholl, Bischof Clemens August Graf von Galen, Oskar Schindler und Dietrich Bonhoeffer. Widerstand brauche eine Quelle, aus der er sich speisen könne: einen gleichsam angeborenen Mut oder einen Hang zur Aufmüpfigkeit, weltanschauliche Überzeugungen oder den Glauben, der „die Frage nach einer Hoffnungsdimension stellt, die das rein Irdische und Unmittelbare überschreitet“, so Lorenz. Nicht zuletzt sei es Aufgabe der Jugend, „mit ihren Störungen anzuecken, wachsam zu sein und Widerstand zu leisten, bevor es zu spät ist“, zeigte sich Lorenz überzeugt.

Gegenseitige Achtung

Karl Ramsmaier vom Mauthausen Komitee Steyr erinnerte in seinem Grußwort daran, dass die ehemaligen Häftlinge von Mauthausen in ihrem Appell anlässlich ihrer Befreiung am 16. Mai 1945 von Frieden und der Freiheit als Garantien des Glücks der Völker gesprochen hätten. Eine neue friedliche Welt sollte entstehen, auf den Grundlagen von sozialer und nationaler Gerechtigkeit. Als Grundpfeiler dieser neuen Welt seien „Freiheit aller“ und „gegenseitige Achtung“ genannt worden. Diese Vision, so Ramsmaier, sei auch 77 Jahre später nicht Wirklichkeit geworden. „Wir haben Krieg in Europa und die Waffen sprechen die Sprache des Todes und der Vernichtung. Alle spüren wir unsere Ohnmacht und niemand sieht einen Weg zum Frieden. Statt Verhandlungen sehen wir Eskalation. Die ehemaligen Häftlinge zeigen uns, dass wir die Vision der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freiheit trotzdem nicht aufgeben dürfen – und dass Widerstand und Zivilcourage in vielen Bereichen unserer Gesellschaft mehr als notwendig sind. Vergessen wir deshalb die Widerstandkämpfer nicht“, so Ramsmaiers Appell. Er verwies auf politischen Widerstand in Steyr gegen das NS-Regime – von Kommunisten und Geistlichen, aber auch von Einzelpersonen: Dreizehn Steyrer und Steyrerinnen wurden wegen Vergehen gegen das Heimtückegesetz angeklagt, sieben wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt. Ramsmaier erinnerte auch an die Opfer des Todesmarsches der Juden und Jüdinnen in Ternberg. „Damals gab es zu wenige Gerechte, die Widerstand leisteten. Heute brauchen wir mehr Menschen, die Zivilcourage üben. Widerstand damals – Zivilcourage heute, darum geht es.“

Was bedeutet Zivilcourage

Nach den Grußworten gestalteten viele Jugendliche einen bewegenden Gedenkakt. Bereits im Vorfeld setzten sich die jungen Menschen intensiv mit der Frage auseinander, was für sie „politischer Widerstand“ bedeutet, und brachten ihre Gedanken den Mitfeiernden näher. Im Anschluss gab es ein kurzes Rollenspiel, in dem auf die bemerkenswerte Widerstandskämpferin Sophie Scholl eingegangen wurde, bevor sich schlussendlich alle Beteiligten in der Pfarrbaracke die Fragen stellten: „Was bedeutet Zivilcourage? Wann habe ich das letzte Mal Zivilcourage geleistet?“
In einer kurzen Murmelphase fand ein angeregter Austausch statt. Das Fazit: Zivilcourage ist mehr als wichtig – vor allem in einer Zeit des Konflikts, der Verzweiflung, der Ausgrenzung, der Diskriminierung und des Mobbings, auch auf diversen Online-Plattformen. Zivilcourage beginnt im Kleinen und ist nicht nur auf der Straße bei gewalttätigen Übergriffen notwendig, sondern auch am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Freizeit und im Zusammenleben angebracht. Darum ist es wichtig, nicht wegzuschauen und zivilen Mut im Alltag zu zeigen.

„Demokratie ist eine Haltung, wie wir miteinander umgehen und aufeinander zugehen“

Für die heurige Gedenkrede konnte wieder eine namhafte Rednerin gewonnen werden. Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures kann auf langjährige Erfahrung im Nationalrat zurückblicken, sei es als Abgeordnete zum Nationalrat, als Bundesministerin oder als Zweite Nationalratspräsidentin. Für sie ist das Parlament der Ort, wo vorgelebt werden muss, was Demokratie ist.
Bures brachte am Beginn ihrer Rede großen Respekt vor dem Engagement der Katholischen Jugend und ihren Mitveranstaltenden in Bezug auf die Gedenkarbeit zum Ausdruck und dankte ihnen dafür auch im Namen des Parlaments, das sie als „Herz der Demokratie“ bezeichnete: „Es ist ein unschätzbar wertvoller Beitrag, den Sie hier leisten.“ Oft sei zu hören, man solle doch nicht so viel über die Vergangenheit, sondern lieber über die Zukunft sprechen. „Ich denke, man kann nur über die Zukunft sprechen, wenn man auch die Vergangenheit in Erinnerung behält. Die große österreichische Historikerin Gerda Lerner hat das einmal so formuliert: ‚Zukunft braucht Vergangenheit‘“, stellte Bures klar. Ihre eigene Politisierung sei in jungen Jahren von Zeitzeugen und Überlebenden des NS-Terrors geprägt worden, so die Politikerin. Diese persönlichen Erzählungen seien für sie der stärkste Impuls für die Auseinandersetzung mit der Zeit des Faschismus gewesen. Nun, da es kaum noch Überlebende gebe, müsse die Erinnerungskultur für künftige Generationen auf andere Weise wachgehalten werden, so Bures.
Ihrer Überzeugung nach werde das Erinnern künftig stärker an Orte gebunden sein, denn: „Auch Orte sind Zeugen – und auch Orte hinterlassen Spuren und Erinnerungen. Wie die Lager der Vernichtung und des Massenmordes. Und doch wissen wir, dass der Faschismus nicht in den Konzentrationslagern und den Außenlagern begann, sondern in der Mitte unserer Gesellschaft. Für das ‚Wehret den Anfängen‘ ist es wichtig, auf die Anfänge des Faschismus zu blicken und sie in Erinnerung zu rufen“, betonte Bures. Die Straßen, Plätze, Häuser und Wohnungen, wo Verfolgung stattgefunden habe, seien nun „die Berührungspunkte, die uns heute an diese dunkle Vergangenheit unserer Zeigeschichte erinnern“. Aktive Gedenkarbeit bedeute, die Erinnerung wachzuhalten, wie dies auch in Ternberg alljährlich geschehe: „Zukunft braucht Vergangenheit. Sie halten durch diese Gedenkveranstaltung die Vergangenheit am Leben und leisten damit einen ganz wesentlichen Beitrag zum Niemals-Vergessen“, würdigte Bures das Engagement der anwesenden jungen Menschen.
Die Zweite Nationalratspräsidentin betonte in ihrer Gedenkrede, eine der großen Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus sei der Wert der Demokratie. „Demokratie heißt zuerst einmal, frei und geheim wählen zu können. Demokratie heißt aber auch Mitbestimmung in allen Lebenslagen – Mitbestimmung in der Schule, in Jugendorganisationen, im Lehrbetrieb, an den Universitäten. Überall ist es wichtig, dass wir mitmischen und dass wir formulieren, was die unserer Auffassung nach wichtigen Anliegen sind“, so Bures.

Demokratie ist eine Haltung

Eine liberale, stabile Demokratie brauche auch Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit und lebe von der Gewaltentrennung: von einer unabhängigen Justiz, einer guten Balance zwischen Regierung und Parlament, zwischen Exekutive und Legislative. Das allein sei aber noch nicht ausreichend: „Demokratie ist auch eine Haltung – eine Haltung, wie wir miteinander umgehen, aufeinander zugehen, wie wir einander zuhören, wie wir versuchen, einander zu verstehen, wenn Menschen unterschiedliche Lebenserfahrungen einbringen“, machte Bures klar. Es gebe nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern ein großes Spektrum dazwischen – und dieses Dazwischen sei der Ort, an dem ihrer Erfahrung nach gemeinsame, konstruktive Lösungen gefunden werden könnten, so die Politikerin. „Dazu müssen wir aber bereit sein, diesen Ort aktiv zu suchen. Wir müssen bereit sein, unsere Mitmenschen zu verstehen, auch in ihrem Anderssein und möglicherweise auch in völlig unterschiedlichen Einstellungen. Wir müssen bereit sein, uns gemeinsam auseinanderzusetzen – das gilt für uns alle.“
Der Umgang der Menschen miteinander entscheide wesentlich über die Stärke der Demokratie, zeigte sich Bures überzeugt. Dies bedeute, dem Gegenüber auch immer mit Respekt zu begegnen. „Auch gerade dann, wenn wir einmal anderer Meinung sind, muss es eine Form des demokratischen Streitens sein, eine gemeinsame Lösung zu finden. Und das schaffen wir, wenn wir mit mehr Empathie, mit mehr Respekt und mehr Neugier aufeinander zugehen“, unterstrich die Gedenkrednerin. Ihr Appell an die Anwesenden: „Im Gegenüber – trotz unterschiedlicher Standpunkte und einer kritischen Auseinandersetzung – den anständigen Charakter zu suchen und den Menschen dahinter zu sehen: Das ist etwas, das wir als aufrichtige Demokrat:innen immer im Herzen und im Bewusstsein tragen müssen. Und mit diesem Bewusstsein schaffen wir es auch, aus der zweifelsohne dunklen Vergangenheit, an die uns auch hier das ehemalige Außenlager des KZ Mauthausen erinnert, an einer hellen, friedlichen und humanistischen Zukunft für unsere Kinder und Enkelkinder zu bauen.“
Im weiteren Verlauf der Feier wurden die bekannten Namen der Opfer des KZ-Außenlagers Ternberg verlesen. Bischof Manfred Scheuer und Diözesanjugendseelsorger Vitus Glira sprachen gemeinsam ein Gebet. Zum Abschluss wurden vor der Pfarrbaracke Kränze niedergelegt.

Breit mitgetragenes Gedenken

Die musikalische Gestaltung oblag dem Bläser-Ensemble des Musikvereins Ternberg und dem Jugendchor „re-member“. Das Anliegen des Gedenkens in Ternberg wird mittlerweile sehr breit mitgetragen. Als Mit-Veranstalter fungierten die Markt- und Pfarrgemeinde, der Musikverein, das Rote Kreuz, das Katholische Bildungswerk, die Katholische Frauenbewegung, die Katholische Männerbewegung, die Landjugend und das Mauthausen Komitee Österreich. Zahlreiche Ehrengäste aus der kirchlichen und politischen Öffentlichkeit nahmen an der Gedenkfeier teil.

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