Bezirk Tulln
Neuer Tag im Pflegeheimprozess Sitzenberg-Reidling
Der Prozess gegen vier Pflegekräfte eines Heimes in Sitzenberg-Reidling wurde fortgesetzt
SITZENBERG-REIDLING. Im Prozess gegen vier Pflegekräfte eines Heimes in Sitzenberg-Reidling konzentrierten sich die Fragen der vorsitzenden Richterin Doris Wais-Pfeffer diesmal zunächst auf den Vorwurf von Staatsanwältin Barbara Kirchner, wonach die Beschuldigten den Bewohnern eigenmächtig Medikamente verabreicht hätten, damit vor allem in der Nacht Ruhe herrsche.
In ihrer Zeugenaussage erklärte die ehemalige Vorgesetzte der Angeklagten, dass die Bewohner im fraglichen Zeitraum zwar immer sehr müde waren und ihr Zustand sich auffallend verschlechtert habe, einen Missbrauch mit Medikamenten habe sie jedoch nie in Erwägung gezogen. Nach dem Ausscheiden der Beschuldigten sei ihr aufgefallen, dass die Leute wacher waren und wieder mehr am Leben teilgenommen hätten. Erklärungsnotstand zeigte sie im Zusammenhang mit der Sicherstellung mehrerer Körbe, in denen von Abführmitteln über Schlaftabletten bis hin zu Psychopharmaka jede Menge Medikamente aufbewahrt waren, die laut Mitarbeitern übriggeblieben waren und im Notfall verwendet wurden. Auch darüber hinaus habe sie von Missständen nichts mitbekommen, die Beschuldigten seien ihr nicht negativ aufgefallen.
Eine Zeugin, deren Mutter auch während der Corona-Lockdowns im Heim lebte, stellte bei den ersten erlaubten Besuchen im Jänner 2021 fest, dass sich der Betrieb vor Ort massiv verändert hatte. Vor allem fiel ihr auf, dass sich niemand in den Gemeinschaftsräumen aufhielt, sondern alle Bewohner in ihren Betten lagen. Ihre Mutter, so die Zeugin, sei ihr extrem abgemagert und verschreckt vorgekommen. Erst später habe sie auf einem Foto, das sie von ihrer Mutter gemacht habe, bemerkt, dass die alte Dame massive blaue Flecken am Handgelenk aufwies.
„Wieso schläft er so viel?“, fragte eine weitere Zeugin eine Pflegerin, als ihr Mann bei den quarantänebedingt seltenen Besuchen vor Müdigkeit kaum ansprechbar gewesen sei. Man habe sie auch nicht darüber informiert, dass er kurzfristig in ein Krankenhaus überstellt wurde. Als sie nach seinem Tod den Spitalsbefund durchlas, erfuhr sie auch, dass ihr Mann, der sich ab 12. Jänner 2021 in der Obhut des Heimes befand, Rippenbrüche aufwies, die er zuvor jedenfalls nicht gehabt habe.
„Ich bin so müde“, sei alles gewesen, was ein weiterer Bewohner gegenüber seiner Lebensgefährtin geäußert habe, wenn eine Pflegerin ihn im Rollstuhl schlafend und ohne seine Hörgeräte in den Besucherraum brachte. Rollstuhl? – weil er so langsam gehe, keine Hörgeräte? – weil er sowieso nichts höre, habe man der Besucherin erklärt, die sich darüber nur wunderte.
Das Beweisverfahren war, laut Richterin, nach dieser Aussage zu Ende. Seitens der Verteidigung wurden jedoch weitere Beweisanträge gestellt, der Prozess damit abermals vertagt.
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