Demenz und Behinderung
Marianne Wilfling kämpft für mehr Bewusstsein

- Marianne Wilfling ist Behindertenfachkraft und Pflegeassistentin und arbeitet seit 2014 im Tageszentrum von LebensGroß in Söding.
- Foto: LebensGroß
- hochgeladen von Harald Almer
Marianne Wilfling arbeitet in der Tagesförderstätte von LebensGroß in Söding. Als Fachfrau für Demenz bei Menschen mit Behinderungen setzt sie sich für Bewusstseinsbildung und mehr Ausbildung in diesem Bereich ein.
SÖDING-St. JOHANN. Demenz bei Menschen mit Behinderungen ist ein Thema, das gerne vergessen wird. Warum das so ist, fragte MeinBezirk Marianne Wilfling von "LebensGroß" in Söding.
- Im Vorjahr wurde die österreichische Demenzstrategie im großen Rahmen evaluiert. Sie waren als Fachfrau für Demenz bei Menschen mit Behinderungen mittendrin. Wie kam es dazu?
Marianne Wilfling: Ich habe bereits im Jahr 2016 begonnen, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Was folgte, war intensive Netzwerkarbeit. Es hat mich sehr gefreut, bei der Evaluation mitarbeiten zu dürfen. Vor allem deshalb, weil Demenz bei Menschen mit Behinderungen davor in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt nicht vorkam.
- Warum ist das so?
So genau kann ich das auch nicht beantworten. Aber es gab mehrere Personengruppen, die in der Demenzstrategie nicht berücksichtigt wurden. Häftlinge, Menschen mit Migrationshintergrund und auch Menschen mit Behinderungen – also vor allem psychischen Beeinträchtigungen. Sie wurden einfach übersehen. Gerade bei Menschen mit Behinderungen liegt es vermutlich daran, dass diese häufig ungewöhnliche Verhaltensweise zeigen. Woher diese genau kommen, wird halt oft nicht hinterfragt.
- Warum haben Sie begonnen, sich damit zu beschäftigen?
Im Wohnhaus und der Tagesförderstätte von LebensGroß in Söding werden viele ältere Menschen mit Behinderungen begleitet. Ich habe vor allem bei einem Teilnehmer Verhaltensänderungen bemerkt. Er wollte plötzlich nicht mehr in die Tagesförderstätte kommen, konnte Wochentage nicht mehr zuordnen und wurde teilweise auch aggressiv, wenn man ihn vom Gegenteil überzeugen wollte. Mir war klar, dass das keine momentane schlechte Stimmung ist, sondern dass etwas Anderes dahinter liegen muss. Also habe ich mich auf die Suche nach Antworten gemacht und bin relativ schnell auf das Thema Demenz gestoßen.

- Lebensgroß setzt sich für alle Menschen mit Behinderungen ein und fördert die Inklusion.
- Foto: Fraidl
- hochgeladen von Harald Almer
- Sie haben sich weitergebildet?
Genau, ich habe die Ausbildung zur Demenztrainerin gemacht und studiere aktuell Demenzstudien. Ich beteilige mich an Kongressen und dem fachlichen Austausch, um immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass man Menschen mit Behinderungen in dieser Diskussion nicht vergessen darf.
- Was hat sich für Ihren Alltag in Söding durch ihre Ausbildungen verändert?
Unser Blick auf die Personen, die wir begleiten. Wir sind jetzt besser in der Lage Verhaltensweisen einzuordnen. Wir können Screenings durchführen und die Demenz erkennen. Und wir haben uns ein Handwerkszeug angeeignet, um im Alltag besser mit den Betroffenen arbeiten zu können. Und das betrifft längst nicht nur unser Team in Söding. Wir beraten und schulen Kolleg:innen innerhalb von LebensGroß und hatten auch schon Anfragen anderer Trägerorganisationen, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten.

- Gemeinsam sind wir stark, auch ein Motto von "LebensGroß".
- Foto: Unsplash
- hochgeladen von Harald Almer
- Sie haben also schon viel geschafft. Zeit sich ein bisschen zurückzulehnen?
Ein Anfang ist gemacht, das stimmt. Aber in der aktuellen Demenzstrategie sind Menschen mit Behinderungen bei weitem noch nicht so verankert, wie es nötig wäre. Auch in der Ausbildung ist noch viel zu tun. Es gibt wirklich viele Studien, Daten und Fakten zu diesem Thema. Doch diese müssen auch zu den Fachkräften gelangen. Jede beziehungsweise jeder, die oder der eine Ausbildung im Bereich der Begleitung von Menschen mit Behinderungen hat, muss in Sachen Demenz geschult werden. Das Gleiche gilt auch für Ärztinnen und Ärzten. In Sachen Bewusstseinsbildung und Ausbildung ist also noch viel zu tun.
- Mittlerweile hat ja sogar der ORF einen Beitrag über ihr Engagement gedreht. Warum ist ausgerechnet Söding Mittelpunkt dieses wissenschaftlichen Diskurses?
Weil wir hier nahe an den Menschen sind. Wir begleiten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie Bewohnerinnen und Bewohner teilweise seit Jahrzehnten und kennen sie gut. Verhaltensänderungen werden ja nur in einem Setting sichtbar, in dem man sich wirklich auf die Menschen einlassen kann. Deshalb war und ist Söding genau der richtige Ort, um zu erkennen und miteinander zu lernen.
Information:
Marianne Wilfling ist Behindertenfachkraft und Pflegeassistentin und arbeitet seit 2014 im Tageszentrum von LebensGroß in Söding. Seit 2023 ist sie zusätzlich als Fachfrau Demenz bei Menschen mit Behinderung in der Organisation tätig.
Das könnte dich auch interessieren:



Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.