Interview mit Sozialminister
Anschober: "PflegerInnen mit Reißverschlusssystem besserstellen"
Im Gespräch mit RMA-Chefredakteurin Maria Jelenko erklärt der neue Sozialminister, Rudi Anschober von den Grünen, wie er Frauenarmut bekämpfen, das Dorfsterben stoppen und PflegerInnen besserstellen will.
Herr Anschober, Sie wollen die Sozialpartnerschaft wieder stärken und erweitern. Wie genau?
Rudolf Anschober: Nachdem die Sozialpartnerschaft in den vergangenen zwei Jahren politisch ziemlich übergangen wurde, will ich das nun korrigieren, das heißt einen Dialog mit den Sozialpartnern auf Augenhöhe verwirklichen, und sie vermehrt in die politische Arbeit einbauen. Das stößt auf gute Resonanz. Ich will das System aber auch um die Zivilgesellschaft als dritten Eckpfeiler erweitern. Wir arbeiten gerade an einem Modell, wie repräsentative Vertreter inkludiert werden können. Das bedeutet ein bewusstes Signal für die Stärkung der vielen engagierten Menschen in diesem Land.
Gehört da die Pflege auch dazu?
Ich starte mit einer Dialogtour durch ganz Österreich, wo gezielt Betroffene, MitarbeiterInnen, Freiwillige, Pfleger, kritische Ärzte, Gewerkschafter, NGO zu Wort kommen. Diese bilden mit ihrem Know-how einen unermesslichen, ungehobenen Schatz. Wir wollen ein „Ministerium des Zusammenhalts“ werden. Da gehört unbedingt die Zivilgesellschaft dazu. Ich werde auch bei mobilen Diensten mitfahren, um zu evaluieren, wo die Bedürfnisse und Probleme konkret liegen. Nach Ostern gibt es dann die "Taskforce Pflege", die auch im Regierungsprogramm festgeschrieben wurde. Da wird es eine große Startveranstaltung geben, danach einen digitalen Mitspracheprozess, wo jeder sein Know-how einbringen kann. Im Herbst werden wir uns die Endergebnisse anschauen, und darauf aufbauend die politischen Maßnahmen über eine „Zielsteuerungskommission Pflege“ entwickeln. Bund, Länder und Gemeinden sollen gemeinsam die Umsetzung tragen. Das alles ist enorm wichtig, weil wir in dem Bereich auch wegen der demographischen Entwicklung vor großen Herausforderungen stehen.
Kommt die 35-Stunden-Woche für PflegerInnen?
Meine Herangehensweise: Die Arbeitsbedingungen sind tatsächlich schwer. Der Pflegeberuf ist einer der großartigsten Berufe der Welt, aber es gibt teils eine Überbürokratisierung und einen enormen Personalmangel. Der Druck auf den einzelnen Mitarbeiter nimmt laufend zu, es kommt zu massiven Überlastungen.Wir haben 141.000 Menschen in Österreich, die ausgebildet sind, 30.000 davon arbeiten nicht in diesem Beruf, einfach wegen der Arbeitsbedingungen. Das muss man sich anschauen. Der jetzige Prozess der Kollektivverhandlungen zeigt, dass ein Lösungsmodell in dem Paket so aussehen könnte, dass man ein Reißverschlusssystem einführt: ein Jahr mehr Geld, ein Jahr weniger Arbeit. Das wäre ein Kompromissmodell, über welches sowohl Finanzierbarkeit, als auch Attraktivierung des Berufs durch bessere Arbeitszeiten erzielt werden. Hier geht es auch um die Wertschätzung für diese Menschen.
Welche Maßnahmen planen Sie als Sozialminister gegen das Dorfsterben?
Wir müssen viel stärker in den ländlichen Raum schauen, weil die Konzepte oft nicht am Land Gültigkeit haben. Wir wollen Landflucht bekämpfen. Wir wollen auch in Gemeindezentren Arbeitsplatzsharing umsetzen, etwa in privaten Vereinen Arbeitsbüros einrichten, damit dort das Pendeln eingedämmt wird. Außerdem bieten wir damit den Menschen dort, gleich an ihrem Wohnort, einen Arbeitsplatz. Digitalisierung bietet nämlich auch riesige Chancen, sodass Menschen in ihrer eigenen Region arbeiten können. Gegen Dorfsterben kommt auch die Notwendigkeit dazu, Modelle für lebenswerte Wohnformen zu erarbeiten. Man muss schauen, dass man in Gemeinden spannende, kreative Wohnprojekte für alte Menschen einführt. Das fördert die Vielfalt, die Selbständigkeit. Das betrifft auch Familien, Generationen übergreifendes Wohnen. Damit attraktiviert man auch die Gemeinden. Sonst dünnen diese aus.
Maßnahmen gegen Ärztesterben am Land?
Wir kämpfen auch sehr dafür, dass wir die Gruppenpraxen deutlich ausbauen und stärken. Wir haben im Jänner einen Kredit der Europäischen Investitionsbank für Premierversorgungszentren mit 360 Millionen Euro an Land gezogen... Diese Zentren sollen stark in den ländlichen Bereich gehen, dort, wo es keine Landärzte mehr gibt. Dort sind starke Angebote nötig, wo auch Pflegerinnen oder Community-Nurses integriert werden. So wollen wir versorgungsnahe Angebote realisieren.
Gibt es konkrete Pläne, Langzeitarbeitslose im Jobmarkt zu integrieren?
Wir wollen gemeinnützige Jobs schaffen, die dem Umweltbereich dienen: Es geht vor allem um Menschen, die es sonst sehr schwer am Arbeitsmarkt haben. In Oberösterreich haben wir zum Beispiel das Projekt Re-Use gestartet. Bei Altstoffsammelzentren sollen Zentren für Wiederverwertung und Wiederverwendung entstehen. Beispiel: Ein Kühlschrank wird auf eine mögliche Reparatur untersucht, bevor er entsorgt wird. Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte sollen die nötigen Arbeitskräfte stellen, etwa Elektriker werden so wieder in eine Tätigkeit integriert. Das ist sinnvoll, weil durch ein solches Modell neue Jobs und Umwelt verknüpft, und mit der Wertschöpfung in der Region vereinbart. Zusätzlich kann man relativ preisgünstige Produkte für Bevölkerungsteile anbieten, die sich neuwertige nicht leisten können. Es ist also die Verbindung von Kreislaufwirtschaft mit Umweltschutz, und sozialen Ansprüchen. Insgesamt wollen wir in der Regierung 50 Mio Euro gegen Langzeitarbeitslosigkeit investieren.
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