Diversität & Mut zum Ich-Sein
Warum Drag-Kunst Leben retten kann
Was für Sisyphus ein Felsbrocken ist, den er wieder und wieder auf die Bergspitze hinaufrollen muss, nur, um ihn dann doch erneut herunter purzeln zu sehen – das ist für Dragqueens und andere queere Kunstschaffende der Kampf um Akzeptanz und Wertschätzung.
WIEN/MARIAHILF. "Man muss als Dragqueen andauernd und immer wieder erklären, wie harmlos es ist, was man macht", erzählte mir der Schauspieler Patrick Weber, der hinter der Kunstfigur Grazia Patricia steckt, im Interview mit der BezirksZeitung:
Wie viele andere ist Weber das Betteln nach einer Daseinsberechtigung leid. Denn besonders aktuell werden wieder Stimmen laut, die sich gegen die Kunstform aussprechen.
Doch Drag-Kunst hat sich von ein paar Stimmen noch nie verscheuchen lassen, denn sie war schon immer da und wird auch bleiben. Seit es Performance-Künste gibt, gibt es auf der ganzen Welt Männer, die sich als Frauen verkleiden. Und umgekehrt, und alles zwischendrin, denn Drag steht längst nicht mehr nur für "Dressed as a girl" (als Mädchen verkleidet), sondern dafür, dass jeder Mensch alles sein kann.
Wie Musik, Tanz oder andere Künste kann Drag durchaus sexy und verrucht sein - muss es aber nicht. Ein Tanz kann schließlich auch von einem sexy Lapdance bis hin zu einer lustigen Polonaise alles sein. Und es mag Geschmackssache sein, aber ich würde nur einen dieser beiden Tänze mit ins Schlafzimmer nehmen.
Ein sprudelnder Quell an Inspiration
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, Drag ist Kunst in jedem Aspekt: Kostümbilden, Make-up und Bodypainting, Gesang, Tanz, Schauspiel – kombiniert entstehen lebendige Gesamtkunstwerke, die ihre Möglichkeiten immer wieder aufs Neue überschreiten. Gerade deshalb können Drag-Shows für alle, besonders aber für Kinder, eine große Quelle der Inspiration sein. Denn sie zeigen auf, was alles möglich ist und inspirieren ihr Publikum.
Vor allem eines macht Drag-Shows so wichtig: Kinder verdienen es, sich sicher zu fühlen. Sie verdienen es, zu wissen, dass sie auf dieser Welt alles sein können, was sie sein möchten. Dass sie sich einmal kleiden und schminken können, wie sie es wollen – denn Farben sind nicht männlich oder weiblich, sondern nur Pigmente. Und Kleidung besteht nur aus verschieden drapierten und geschnittenen, zusammengenähten Stoffen.
Eltern, die ihre Kinder auf altersgerechte Drag-Shows oder ähnliche Veranstaltungen mitnehmen, leben ihren Kindern auch vor, dass sie Diversität würdigen. Dass sich die Kinder auf ihre Liebe verlassen können, egal wie sie sich ausdrücken.
Es muss noch viel passieren
Immer noch werden Jugendliche von ihren Eltern nach einem Coming-out auf die Straße gesetzt. Immer noch werden queere Menschen psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt. Und immer noch gibt es Menschen, die nicht mehr leben wollen, weil sie "anders" sind.
Wenn man offen als queere Person lebt, dann hat man nicht nur ein Coming-out. Das Leben ist mit abertausenden Coming-outs gespickt, denn die meisten Menschen, die man trifft, gehen davon aus, dass man hetero ist. Und immer, wenn ein Coming-out erforderlich wird, ist die Ungewissheit wieder da: Wie wird das Gegenüber reagieren? Gefährde ich mit meiner Offenheit meine Karriere, meine Freundschaft, oder vielleicht die Chance auf eine Wohnung, die ich gerne mieten würde?
Nur weil ein paar Unternehmen zum Pride-Monat aus PR-Zwecken ihr Logo bunt einfärben (auch bekannt als "Pinkwashing"), ändert das nichts an diesen Fakten. Erst vor Kurzem wurde die Türkis Rosa Lila Villa in Mariahilf an der Wienzeile Opfer einer rechtsextremen Aktion, wie die BezirksZeitung berichtete:
Das Streben nach Akzeptanz in der Gesellschaft kommt vielen queeren Menschen, besonders den expressiven Mitgliedern der Community, wohl wie reine Sisyphusarbeit vor. Immer, wenn durch ein bisschen Repräsentation oder einen Fortschritt im Rechtssystem der Stein der Akzeptanz ins Rollen gebracht wird, werden umso mehr Gegenstimmen laut und der Stein fällt einem wieder auf den Kopf.
Aber wo dieser Stein auch ist und wie es auch um die Akzeptanz für queere Menschen steht – Es wird sie immer geben. Denn weder queer sein, noch, sich auszudrücken und sein Innerstes nach außen zu tragen, ist falsch oder gar schmutzig. Es ist natürlich.
Aus Kindern, die das lernen, werden Erwachsene, die das wissen.
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