Wie wir unsere Kinder retten
Ein Buch über die Auswirkungen der Corona-Krise
Anklage, Hilfestellung, Drohung: Das alles bietet das neue Buch "Wie wir unsere Kinder retten" von Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger.
WIEN. In "Wie wir unsere Kinder retten" beschäftigt sich die renommierte Ärztin und Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger mit den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Kindesentwicklung. Wächst hier eine verlorene Jugend heran? Die BezirksZeitung hat die Autorin zum Interview gebeten.
Wie viel Prozent der Kinder und Jugendlichen leiden unter den Auswirkungen der Pandemie?
MARTINA LEIBOVICI-MÜHLBERGER: Schon 2021, im Zuge der Studie "Junge Österreicher", haben uns 40 Prozent der Jungen gesagt: "Ich sehe keine Zukunft für mich!" Das ist ein Riesenprozentsatz, der da aufgibt.
Wie äußert sich dieses Aufgeben?
Ich habe nahezu täglich Anrufe von verzweifelten Eltern. „Meine Tochter hat wirklich eine Anorexie, sie ist 16 und will nicht mehr in die Schule gehen“, „Mein Sohn ist nicht mehr aus seinem Zimmer rauszubewegen und möchte jetzt Gamer werden. Was sollen wir tun?“ Das sind die stillen Opfer der Corona-Krise, die derzeit in keiner Statistik aufscheinen.
Wie können wir unsere Kinder vor größerem Schaden bewahren?
Es gibt drei Ebenen. Die erste Ebene sind die Eltern. Sie müssen aus der Betroffenheitsstarre raus. Das Wichtigste ist Bewegung in das Ganze hineinzubringen. Zu sagen: "Ok, dir geht es nicht gut, du hast die Schule abgebrochen, du willst jetzt nur im Internet surfen, aber das ist nicht das Ende der Fahnenstange. Ich habe eine Verantwortung als Mutter, als Vater." Hier geht es in erster Linie darum, die positive Kommunikation mit dem Kind, mit dem Jugendlichen zu stützen, zu stärken und zu sagen: "Wir als Familie brauchen Hilfe." Das betrifft jene Fälle, die drohen, die zukünftigen Transferleistungsbezieher zu werden.
Die zweite Ebene?
Die Politik. Ihr muss klar sein, dass es mehr als ein Entlastungspaket braucht, damit wir diese Gesellschaft flottbekommen. Sie muss etwas für die Jungen tun, denn die sind es letztendlich, die diese Entlastungspakete mit ihrer Lebensleistung einmal bezahlen. Es braucht ein offenes Ohr: Wie können wir junge Menschen einbinden? Wie können wir ihnen vermitteln: Ihr seid wichtig! Ihr seid die Zukunft!
Und die dritte Ebene?
Das ist eine gesellschaftsphilosophische Ebene. Wir lieben Heldengeschichten. Solche gibt es zuhauf, im Hinblick auf Menschen, die Reichtum erlangt haben – das hat uns beflügelt. Doch ich glaube, dass die Heldenreise des Kapitalismus dem Ende zugeht. Wir brauchen eine neue. Eine, in der es schick wird, auf den Globus zu achten. Ich glaube, das ist letztendlich die hinter allem liegende Bewältigungsstrategie. Aber dafür müssten wir dieses "höher, schneller, weiter, mehr" und vor allem "nur ich und du nicht" aufgeben.
Wie können Eltern konkret ihre Kinder stärken?
Wir müssen uns auf unsere Grundkompetenzen als Mensch besinnen. Wir sind radikal sozial und radikal kreativ. Das Wichtigste ist daher, dass Eltern ihren Kindern Geborgenheit vermitteln. Wir gehören zusammen, wir sind eine Einheit und wir werden es schaffen, uns wird was einfallen. Das Zweite ist, gemeinsam aktiv etwas zu machen: Gemeinsam ein Bild malen, einen Ausflug machen oder den Weihnachtsschmuck basteln. Das gibt uns Selbstbewusstsein und lässt uns spüren, was uns ausmacht.
Sehen Sie Ihr Buch als Hilfeschrei oder als Leitfaden?
Es ist zum Teil eine Anklage, zum Teil sehe ich es als Hilfestellung für Eltern, was sie für ihr Kind tun können. Und letztendlich sehe ich den letzten Teil des Buches als Drohung, wenn wir uns nicht um die Jungen, unsere Zukunft, kümmern.
Zum Buch "Wie wir unsere Kinder retten"
"Wie wir unsere Kinder retten - und die Welt dazu" von Martina Leibovici-Mühlberger erscheint am 4. Juli im Gräfe und Unzer Verlag. Es umfasst 240 Seiten und kostet 20,90 Euro.
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