Mauro Mittendrin
Im Gespräch mit Christoph Jünger, UNICEF-Generaldirektor
Christoph Jünger ist seit drei Jahren Geschäftsführer von UNICEF Österreich. Der Tiroler hat sich mit dem bekannten italienischen Netzwerker Mauro Maloberti (Mauro Mittendrin) getroffen und mit ihm über seine Arbeit gesprochen.
Mauro Mittendrin: Herr Jünger, was hat Sie zu UNICEF geführt?
Christoph Jünger: In den letzten beiden Jahres meines Studiums in Innsbruck war ich mehr als 1,5 Jehre für ein Projekt tätig, bei dem es um bosnische Kriegsflüchtlinge ging. Eine Psychotherapeutin hat sich die Frage gestellt, wie man den Menschen auf der Flucht helfen kann. Dann kam die Idee auf, gemeinsam Teppiche zu weben. Ein Schafshirte hat schließlich einen Webstuhl gebaut und so ging das Projekt los. Das Projekt wurde immer größer und viele Künstlerinnen und Künstler haben sich engagiert. Ich habe während dieser Arbeit einen großen Bezug zur Thematik bekommen. Ich habe auch mitbekommen, wie es diesen Menschen im Krieg ging und was die Folgen für sie waren. Das hat mich nachhaltig geprägt und war der Grund dafür, warum ich dann im Jahr 2011 in den NPO Sektor gewechselt und in der Folge bei UNICEF „gelandet“ bin. Mir wurde bewusst, in welch privilegierter Situation ich mich befinde. Das merkt man auch, wenn man sich den globalen Rahmen unsere Projekte anschaut. Und ich wollte etwas tun, dass dann auch Sinn macht und etwas bewirkt.
Was unterscheidet UNICEF von anderen Organisationen wie dem SOS-Kinderdorf?
Es war immer schon ein Wunsch von mir, für UNICEF zu arbeiten. Schließlich ist es diese Organisation, die hinsichtlich der Kinderrechts-Konvention als „Gatekeeper“ agiert. UNICEF ist überall auf der Welt tätig, egal wo es so zu sagen brennt. Die Organisation ist langfristig in den Ländern vertreten und wird bei Katastrophen auch vor Ort bleiben, an der Seite von Kindern, egal was passiert. Sei es in Afghanistan, Palästina oder Syrien. Viele der Probleme unserer Zeit brauchen große Lösungen. Das ist keine leere Ansage. Auch in der Ukraine ist es uns gelungen, in kürzester Zeit zu helfen. Der andere Aspekt, der UNICEF von anderen Organisationen unterscheidet, ist jener, dass wir unsere Programme mit den jeweiligen Regierungen der Länder, in denen wir arbeiten, abstimmen. Daraus resultiert auch die große Stärke der Programme und die Langfristigkeit die dahintersteckt. Das sind Argumente für mich, von denen ich sage: Da möchte ich dabei sein.
Wie kann man sich die Arbeit dort vorstellen?
In Israel gibt es wie bei uns ein nationales Komitee. Da es ein wohlhabenderes Land ist, gibt es dort von UNICEF eigentlich keine Programmarbeit, ihr Mandat besteht darin, wie bei uns Kinderrechte bekannter zu machen und Spenden für internationale Programme zu sammeln. Aber wir sind mit der Regierung in Kontakt und versuchen dort zum Thema Kinderrechte zu arbeiten. In Palästina, auch in Gaza direkt sind wir vor Ort. Aufgrund des schieren Ausmaßes der Ereignisse müssen wir da natürlich im Einsatz sein. UNICEF arbeitet nach dem Prinzip zu bleiben und Hilfe zu leisten. So haben wir auch mitgeholfen Neugeborene zu evakuieren und in Sicherheit zu bringen. Wir unterstützen auch schwangere Frauen, die sich im Gazastreifen aufhalten. Außerdem versorgen wir die Kinder und ihre Familien vor Ort zu gut es geht u.a. mit sauberem Wasser und Medikamenten. So können wir zumindest etwas beitragen, die Situation der Menschen in dieser enormen humanitären Katastrophe zu verbessern. Generell zum Konflikt sind uns ein paar Sachen wichtig zu sagen.
Welche denn genau?
Es ist völlig egal, ob ein Kind aus Palästina kommt, aus dem Gazastreifen, aus Israel oder sonst woher. Relevant ist nur, dass wir ab dem Moment, ab dem Kinderrechte verletzt werden, sofort auf diesen Missstand reagieren. Nationalität, Religion und Herkunft haben dabei keine Bedeutung: Ein Kind ist ein Kind.Und wir stehen an der Seite jedes Kindes. Wir verurteilen die Geschehnisse des 7. Oktober aufs Schärfste und von ganzem Herzen. Die Kinder in Gaza trifft, wie in jedem Krieg keine Schuld und sie sind die, die am meisten leiden. Das muss ein Ende haben. Objektiv betrachtet kann man sagen, dass zuletzt im Gazastreifen mehr Kinder getötet wurden, als im gesamten Jahr 2022 in kriegerischen Konflikten. Ganz wesentlich ist, es geht um jedes einzelne Leben und das darf man auch nie unterschiedlich werten. Wir schaffen deshalb Bewusstsein und sagen ganz klar: Der Krieg muss enden. Es ist wichtig, dass Kinder in Frieden aufwachsen können. Kinder und Jugendliche zahlen in jedem Konflikt immer denhöchsten Preis.
Gibt es noch Träume oder Ziele, die Sie sich erfüllen möchten?
Auf der einen Seite bin ich auf jeden Fall mit meiner beruflichen Aufgabe sehr zufrieden und wünsche mir, mich noch lange engagieren zu können. Auch gerade zusammen mit meinem Team können wir noch sehr viel erreichen. Wir sind gemeinsam aufgerufen, mehr für die Kinder auf der Welt zu tun, denn der Bedarf und die Not steigt. Wir konzentrieren uns auf den internationalen Fokus. Wenn man einmal in Ländern war, wo die Situation eine ganz andere ist, als wir sie hier bei uns kennen, dann relativiert sich vieles, das wir in Österreich oft als Probleme betrachten.
Woran in Ihrer Karriere erinnern Sie sich am liebsten?
Ja, eine Sequenz ist mir tatsächlich besonders in Erinnerung geblieben. Die hat mich auch darin bestärkt das zu tun, was ich jetzt tue. Es war mein erster Programmbesuch in Afrika, im Benin. Als wir dort ankamen kam eine Betreuerin mit einem Kleinkind auf uns zu. Der Programmdirektor fragte mich daraufhin, wie alt ich das Kind einschätzen würde. Ich habe dann gemeintin etwa drei oder vier Jahre. Der Direktor hat den Kopf geschüttelt und geantwortet, nein wesentlich älter. Es kam vor Kurzem ins Programm, war völlig unterernährt und hatte mit Wurmbefall zu kämpfen.Wenn die Organisation das Kind nicht aufgenommen hätte, wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit bald gestorben.So konnte es sich im Programm sehr schnell tatsächlich erholen. Da wurde mir klar, wie viel man tatsächlich bewirken kann. Oft werden solche einzelnen Schicksale einfach vergessen.
Mit Ihrem Beruf sind viele Emotionen verbunden. Was nimmt man daraus für sich selbst mit?
Es sind natürlich immer Sachen, die einen bestärken und motivieren. Es gab mehrere vergleichbare Situationen. Auch die positive Lebenseinstellung vieler Menschen in schwierigen Lebenssituationen wirkt sehr inspirierend. Das beeindruckt mich immer wieder. Viele von den Menschen, die ich treffen durfte, waren bereit, das Wenige das sie haben, dennoch zu teilen. Außerdem beeindruckt mich immer wieder die unerschütterliche Hoffnung der Menschen. In Malawi etwa habe ich eine Gruppe junger Frauen getroffen, die in einem Programm wirklich sehr viel aus eigener Initiative geschaffen haben. Wenn man den Menschen und vor allem Kindern einfach nur die Chance gibt, ihr Potenzial zu nutzen. Für mich ist es ein Privileg, Menschen in so schwierigen Situationen zu treffen und ihnen zuhören zu dürfen. Ich finde es dann schade, dass wir manchmal nicht zu schätzen wissen, in welch einer guten Situation wir uns hier in Österreich eigentlich befinden. Hierzu noch ein Nachsatz: Das soll keineswegs heißen, dass die Kinderrechtsverletzungen hier in Österreich geschehen, weniger schlimm sind. Darüber müssten wir aber wohl ein separates Gespräch führen..
Haben Sie eine besondere Vision?
Ich bin nicht der Mensch, der seine eigene Vision in den Vordergrund stellen möchteIch möchte für mich selbst versuchen, einige Dinge, die ich für richtig und wichtig erachte, auch im persönlichen Umfeld und im UNICEF Team umzusetzen. Über Dinge zu reden ist meist einfach, aber sie in die Tat umzusetzen oft um ein Vielfaches schwerer. Ich bemühe mich, meinen Beitrag zu leisten für Kinder.
Grazie, Christoph, und Ci Vediamo!
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