Wiens Plätze mal anders
Auf diesem Wiener Friedhof trügt die Idylle
Menschen mit einer Sehbehinderung nehmen ihre Umgebung ganz anders wahr. So auch die Plätze in Wien – wie etwa den Friedhof der Namenlosen.
WIEN. Die Stadt aus anderer Perspektive: Dominic Schmid beschreibt spannende Orte in ganz Wien. Der stark sehbehinderte Journalist nimmt uns mit auf seine außergewöhnliche Reise durch die Bezirke. Zum Auftakt geht es zum Friedhof der Namenlosen. "Ein Ort nahe der Donau, der für mich aber trotzdem keine Erholung bietet", so Dominic Schmid.
Ganz anders als erwartet
Pünktlich zu Allerheiligen möchte ich mir einen Wiener Friedhof genauer ansehen. Gut nur, dass ich dort selbst hingefahren bin und mich niemand mit verbundenen Augen hingebracht hat, denn der Ort wirkt weder wie ein Friedhof für mich, noch kommt es mir so vor, als sei ich noch in Wien.
Ich bin nämlich am Friedhof der Namenlosen der sich in Simmering beim Stromkilometer 1.918 der Donau nahe des Albanerhafens befindet. Der Friedhof besteht aus dem alten und dem neuen Teil. Alle die bis 1900 starben, sind auf dem alten Teil begraben. Heute ist dieser wieder zum Auwald geworden, und somit nicht mehr als Friedhof erkennbar, weshalb ich mich auf den neuen Teil konzentriere.
Wanderung zum Grabstehen
Um diesen betreten zu können, heißt es zuerst einmal Stiegen steigen. Danach führt ein Waldweg steil bergauf, was mich ein bisschen an meine Schulwandertage erinnert. Die Barrierefreiheit des Friedhofes dürfte daher eher mäßig sein. Für Menschen, die wenig oder gar nichts sehen, scheint er begehbar zu sein, allerdings wohl nur mit einer Begleitung, wie das auch bei mir der Fall ist. Personen die im Rollstuhl sitzen, können den Park wohl kaum besuchen.
Oben angekommen, merke ich, dass ich auf einem Feld stehe. Vor mir befindet sich ein eisernes Kreuz, auf dem steht, dass hier eine namenlose Person liegt. Ich drehe mich langsam um und erkenne ein rundes Gebäude, das sich als Auferstehungskapelle entpuppt. Sie wurde 1935 erbaut, als der Schutzdamm verstärkt wurde. Auf einem Schild ist zu lesen, dass der nächste Gottesdienst zu Allerheiligen stattfindet.
Vom Wasserwirbel zum Friedhof
Nach Informationen der Stadt Wien lag der Friedhof früher nahe eines Wasserwirbels der Donau, an dem vieles hängen blieb, das die Donau mit sich geführt hat. Neben Gestrüpp und Bäumen waren dies oft auch Leichen von Personen die in der Donau verunglückten. Der ehrenamtliche Totengräber Josef Fuchs begrub sie dann.
Ein ganz besonderer Friedhof also. Grund genug, dass ich mich weiter umschauen möchte. Hinter der Auferstehungskapelle führt eine Treppe nach unten. Ein paar Schritte weiter sind zwei Steinmauern. Diese stehen links und rechts des Weges und bilden so eine Art Tor. Darauf stehen die Jahreszahlen 1905 bis 1940. Endlich bin ich also am neuen Teil des Friedhofs angekommen. Neugierig gehe ich durch das „Tor“ und befinde mich auf einem quadratischen Platz. Dieser ist von einer Hecke und Bäumen umgeben und erinnert so an eine Lichtung.
Und dennoch irgendetwas passt für mich nicht zum Friedhof im Wald. Da ist etwas, das mich schon die ganze Zeit stört. Ich versuche herauszufinden, was es sein könnte, komme aber vorerst nicht darauf. Daher bitte ich meine Begleitung, mir die Namen vorzulesen, die auf den Schildern der Eisenkreuze stehen. Die Kreuze sind in zwei Reihen neben dem Hauptweg angebracht. Dieser Weg, der eher ein Trampelpfad ist, führt geradlinig zur Hecke am anderen Ende des Friedhofs. Viel zu lesen gibt es aber nicht, denn meistens steht „namenlos“ oder gar „unbekannt“ dort. Nur vereinzelt sind Namen zu lesen.
Ich atme tief ein und lasse den Ort auf mich wirken. Trotz der schattenspendenden Bäume ist es nicht kalt. Die Luft riecht nach Wald und nicht einmal nach dem modrigen Geruch, der häufig von Gewässern ausgeht. Erst jetzt bemerke ich, was noch ganz anders ist, als ich es mir vorgestellt habe und mich daher so stört. Obwohl ich nahe der Donau bin, höre ich kein angenehmes Wasserrauschen. Ich höre aber auch kein Vogelgezwitscher und still ist es schon überhaupt nicht. Nein. Wie mir erst jetzt bewusst wird, begleitet mich seit meiner Ankunft das Dröhnen einer Fabrik. Denn direkt neben dem Friedhof befindet sich ein Industriebetrieb.
Denkmal für Namenlose
Ich beschließe den Friedhof wieder zu verlassen und gehe Richtung Ausgang. Doch da lässt mich etwas innehalten. Neben mir befindet sich ein Tisch. Ich trete näher und erkenne, dass sich darauf Kerzen und Steine befinden. Meine Begleitung erklärt mir, dass es sich um eine Gedenktafel für die Namenlosen handelt. Gewidmet wurde sie unter anderem vom Bezirksvorsteher des elften Wiener Gemeindebezirks Alwin Hirsch, dem Baumeister Anton Kurz und dem Spenglermeister Karl Simon.
Ich verweile noch ein wenig vor der Gedenktafel, dann mache ich mich auf den Weg zurück. Ich verlasse den Friedhof mit einem interessanten Gefühl. Der Ort hat vieles Verbunden. Es ist ein Wald, der in mir den Wunsch auslöst, zur Ruhe zukommen. Dies ist aber leider nicht gelungen, da ein ständiger Lärmpegel da war. Somit ist für mich auch nicht das typische Gefühl der Entschleunigung, das man von einem Friedhofsbesuch erwarten darf aufgekommen. Eines steht aber außer Zweifel, es ist ein durch und durch außergewöhnlicher Friedhof.
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